Stellungnahme der dggö zur Verordnungsentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zur 1. Verordnung zur näheren Regelung von Verfahren nach dem Gesetz zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten
Stellungnahme
Zum Verordnungsentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zur 1. Verordnung zur näheren Regelung von Verfahren nach dem Gesetz zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten hat die dggö eine Stellungnahme veröffentlicht.
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Die Deutsche Gesellschaft für Gesundheitsökonomie e.V. (dggö) ist eine wissenschaftliche Fachgesellschaft. In ihr sind mehr als 700 Gesundheitsökonominnen und Gesundheitsökonomen organisiert. Zum Referentenentwurf nimmt die Fachgesellschaft aus gesundheitsökonomischer Perspektive Stellung.
Die dggö begrüßt die Anstrengungen des Bundesministeriums für Gesundheit zur Verbesserung der Nutzung von Gesundheitsdaten in der Wissenschaft. In dem vorgelegten Entwurf der 1. Verordnung zur näheren Regelung von Verfahren nach dem Gesetz zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten sieht sie einen weiteren wichtigen Schritt zur maßgeblichen Verbesserung der Nutzungsmöglichkeiten, der es der Wissenschaft ermöglichen wird, zur Stärkung des Gesundheitssystems und der Gesundheitsversorgung beizutragen.
Insbesondere begrüßt die dggö die Umstellung der Datenübermittlungsfrequenz von Berichtsjahren auf Berichtsquartale sowie die Erweiterung des durch die Krankenkassen zu liefernden Datenkranzes in Artikel 1, §3, beispielsweise um Informationen zum Sterbedatum, den Grad der Pflegebedürftigkeit oder die Arbeitsunfähigkeit. Gerade die Arbeitsunfähigkeit ist für die gesundheitsökonomische Forschung eine wesentliche Ergebnisgröße. Wichtig sind auch die Erweiterung um die Hybrid-DRGs sowie die Informationen zum ambulanten Operieren mit sektorengleicher Vergütung. In diesem Zusammenhang sei allerdings angemerkt, dass der Datenkranz in Zukunft zur Ermöglichung gesundheitsökonomischer Forschung weiter ausgeweitet werden sollte. Beispielsweise sollte neben der Information zur Arbeitsunfähigkeit auch die Information zur Höhe des bezogenen Krankengelds aufgenommen werden. Des Weiteren könnte der Datenkranz um Merkmale zum sozioökonomischen Status der Versicherten ergänzt werden. Idealerweise sollten Informationen zur Zuzahlungsbefreiung nach §62 SGB V und das beitragsrelevante Einkommen des Versicherten bzw. für Familienmitversicherte das Einkommen des Mitglieds, über das Versicherte familienversichert sind, in den Datenkranz aufgenommen werden. Eine weitere Information, die bislang nicht in dem Datenkranz enthalten ist, aber essentiell ist für Forschungsprojekte zu Wirkung von Versorgungsleistungen während der Schwangerschaft bzw. für Vorsorgeleistungen, die erst ab einem bestimmten Alter in Anspruch genommen werden können, ist der Geburtsmonat der Versicherten. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der Geburtsmonat darüber bestimmt, ob Versicherte (oder ihre Mütter) eine bestimmte Leistung als Regelleistung der GKV in Anspruch nehmen können, bspw. weil die Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit eingeführt wurde. Zusätzlich ist der Geburtsmonat relevant, um bspw. für Kinder und Jugendliche das wahrscheinliche Einschulungsalter und die Klassenstufe zu ermitteln, was wiederum wesentliche Informationen über Gesundheitsdeterminanten und das Umfeld der Versicherten liefert (siehe z.B. Wuppermann et al., 2015).
Generell sieht die dggö die Notwendigkeit der Pseudonymisierung der Angaben der Leistungserbringer in §5. Positiv bewertet die dggö, dass nach der Verordnung relevante Informationen über die Leistungserbringer wie die regionale Zuordnung oder die Kennzeichnung besonderer Versorgungsbereiche und der fachärztlichen Spezialisierung der Leistungserbringer explizit separat übermittelt werden sollen. Dennoch besteht durch die Pseudonymisierung die Gefahr, dass weitere relevante Informationen über die Leistungserbringer nicht in Analysen herangezogen werden können. So ist es beispielsweise für Analysen zur onkologischen Versorgung von Bedeutung, ob der Leistungserbringer ein zertifiziertes Organkrebszentrum ist (siehe z.B. Schmitt et al, 2023).Für einige Vorhaben von großer gesellschaftlicher Bedeutung, wie für die Evaluation von Reformen der Versorgungsstruktur, ist es darüber hinaus zentral, weitere Informationen über die Leistungserbringer – bspw. aus der Krankenhausstatistik oder den Qualitätsberichten der Krankenhäuser – hinzuspielen zu können. Um in Zukunft die Weiterentwicklung der Versorgungsstruktur auf eine breitere Evidenz stützen zu können, wäre eine Verknüpfung mit den genannten und weiteren externen Daten auf Ebene der Leistungserbringer von wesentlicher Bedeutung. Um dies generell zu ermöglichen, wäre es sinnvoll, die Pseudonymisierung nicht – wie geplant – auf Ebene Spitzenverbands Bund der Krankenkassen durchzuführen. Stattdessen sollte zum Beispiel über die Vertrauensstelle ermöglicht werden, weitere Informationen zu den Leistungserbringern anzuspielen. Es sei betont, dass es nicht um die Identifikation einzelner Leistungserbringer geht, sondern lediglich um das Hinzuspielen kategorisierter Informationen auf Ebene der Leistungserbringer, die es erlauben, verlässliche Erkenntnisse über Auswirkungen der Versorgungsstruktur zu generieren. Um zu verhindern, dass die Datennutzung durch gewerbliche Nutzer zu Wettbewerbsverzerrungen führt, könnten zudem die Anforderungen an die Pseudonymisierung nach Nutzerkreis unterschiedlich gestaltet werden.
Die dggö begrüßt ausdrücklich den in §8 des Entwurfs geregelten Opt-Out bei der Übermittlung von Daten aus der elektronischen Patientenakte. Neben der generellen Umstellung auf das Opt-Out ist vor allem auch die Möglichkeit des Teilwiderspruchs gegen die Datenübermittlung für bestimmte Nutzungszwecke positiv hervorzuheben. Hierbei sollte sichergestellt werden, dass insbesondere Teilwidersprüche einfach und unmissverständlich abzugeben sind, damit die Gefahr reduziert wird, dass Teilwidersprüche als Gesamtwidersprüche gewertet werden müssen.
Positiv bewertet die dggö auch die Konkretisierung zu den im Datennutzungsantrag zu machenden Angaben in §17 sowie zur Antragserfassung und -prüfung in §18. Hierdurch wird eine rasche und transparente Entscheidung sowie durch Beratung und die Bereitstellung von Testdatensätzen an die Nutzungsberechtigten eine effiziente Durchführung der Projekte ermöglicht. Die dggö hält es für nachvollziehbar, dass Auswertungen auf Ebene einzelner Krankenkassen die Zustimmung der betroffenen Kasse bedürfen. Sie weist aber darauf hin, dass Fragen zum Krankenkassensystem nur untersucht werden können, wenn generell Analysen auf Krankenkassenebene möglich sind. Analog zur Situation der Leistungserbringer geht es hier nicht um die Identifikation der Situation einzelner Krankenkassen, sondern um Auswertungen anhand bestimmter Merkmale auf Kassenebene (wie bspw. Kassengröße oder Höhe der Zusatzbeiträge, jeweils gruppiert, so dass keine Rückschlüsse über einzelne Kassen möglich sind).
Neben der Regelung der Verpflichtungen für den Antragstellenden unter §17 (3) wäre es aus Sicht der dggö zusätzlich sinnvoll zu regeln, welche Konsequenzen auf die Nichteinhaltung der Verpflichtung folgen. Hier könnten bspw. die in anderen Ländern geltenden Regelungen als Vorbild dienen.
Grundsätzlich sollte in Zukunft dringend weiter daran gearbeitet werden, auch die Verknüpfung mit anderen Daten auf Leistungserbringer-, Versicherten- und Krankenkassenebene zu ermöglichen. Neben den Krebsregisterdaten könnten dies bspw. Daten des Forschungsdatenzentrums des Statistischen Bundesamtes wie die Krankenhausstatistik, der Mikrozensus oder der Einkommensteuerstatistik sowie die Daten des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung sein. Solche Datenverknüpfungen würde die Analyse sozial- und wirtschaftswissenschaftlicher Fragen zu Gesundheit und dem Gesundheitssystem ermöglichen, die in unseren Nachbarländern bereits möglich sind (siehe Fischer et al., 2023).
Kritisch sieht die dggö die pauschale Beschränkung der Nutzung der gesicherten Analyseumgebung für die pseudonymisierten Daten auf maximal 30 Arbeitstage (§20) sowie die Erhebung von Nutzungsgebühren pro Arbeitstag. Generell erscheint es zwar sinnvoll, die Nutzerinnen und Nutzer zu einer ressourcenschonenden Nutzung und Auswertung der Daten anzuhalten, um möglichst viele Projekte zu ermöglichen. Eine pauschale Beschränkung auf 30 Arbeitstage kann aber die Auswertung der Daten für datengetriebene Projekte z.B. die Anwendung von Machine Learning Methoden oder komplizierter statistischer Schätzverfahren unmöglich machen. Diese Beschränkung scheint angesichts der nach Nutzungstagen oder -Intensität gestaffelten Gebühren unnötig und sollte aufgehoben werden. An ihre Stelle könnte eine standardisierte Dauer der Projektlaufzeit treten wie bspw. beim Forschungsdatenzentrum des Statistischen Bundesamtes. Alternativ wäre es sinnvoll und notwendig, ein transparentes und einfaches Verfahren für eine Projekterweiterung über die 30 Arbeitstage hinaus festzulegen.
Die Nutzungsgebühren pro Arbeitstag erscheinen nicht sinnvoll, weil die Auslastung und Nutzung der Umgebung sich nicht nur in der Dauer an Tagen widerspiegelt, sondern von der zu jedem Zeitpunkt benutzten Rechenleistung abhängt (Anzahl der genutzten CPUs oder GPUs). Da Auswertungsskripte komplizierterer Schätzverfahren auch mehrere Arbeitstage in Anspruch nehmen können, scheint es sinnvoller, die Abrechnung nach Stunden vorzunehmen als nach Tagen. Damit könnten auch „angefangene Arbeitstage“ bei über mehrere Tage laufenden Auswertungsskripten angemessen berücksichtigt werden. Sinnvoll erscheint es zudem generell, einen Standardumfang an Rechenkapazitäten zu definieren, der in den Basiskosten pro Stunde (oder Tag) verfügbar ist und die Auslastung durch Warteschlangen bei gleichzeitigen Nutzern zu optimieren. Für Projekte mit höherem Bedarf an Rechenleistung sollte die Möglichkeit bestehen, für zusätzliche Gebühren weitere Rechenleistung zu erhalten und diese dann ohne Warteschlangen nutzen zu können. Zusätzlich stellt sich die Frage, ob es möglich sein wird, über den Beitrag eigener finanzieller Mittel an das FDZ die vorhandenen Rechenkapazitäten in der sicheren Datenumgebung zu erweitern. Dies sollte potentiell zum Aufbau weiterer Rechenkapazitäten, die dann auch anderen Projekten zu Gute kommen könnten, als Finanzierungsquelle ermöglicht werden.
Vorstand der dggö:
Prof. Dr. Amelie Wuppermann
Prof. Dr. Jürgen Wasem
Prof. Dr. Juliane Köberlein-Neu
Prof. Dr. Hendrik Schmitz
Federführung: Prof. Dr. Stefan Mangelsdorf, Prof. Dr. Hannes Ullrich, Prof. Dr. Amelie Wuppermann
Rückfragen: vorstand@dggoe.de