Vortragssitzung
Trends im Gesundheitssystem
Talks
ESPRI-Studie: Explorative Analyse von Gesundheitsservices in der Privaten Krankenversicherung
Christian Olaf Jacke, Wissenschaftliches Institut der PKV (WIP), Verband der Privaten Krankenversicherung e.V.
Einleitung / Introduction
Die Privaten Krankenversicherungen (PKV) setzen ihre „vom Payer-zum-Player“-Strategie fort und stehen vor der Herausforderung, ihre Gesundheitsservices und -angebote kontinuierlich und systematisch an den Bedarfen ihrer Versicherten auszurichten. Trotz diverser Marktstudien („graue Literatur“) fehlt bislang eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit analogen wie digitalen Gesundheitsservices unterhalb der Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs). Die ESPRI-Studie (Explorative Studie zu PRIvaten Krankenversicherungen und ihrem Leistungs- und Gesundheitsmanagement) zielt auf diese Informationslücke ab und will einen umfassenden Überblick über die vorhandenen Dienstleistungen bieten.
Methode / Method
Die Studie ist als zweiteiliger Mixed-Method-Ansatz konzipiert. In der ersten Studienphase zielt ein explorativer, qualitativer Forschungsansatz mittels leitfadengestützter Interviews mit Vertretern von 19 privaten Krankenversicherungen auf die Felder Versorgungs- und Gesundheitsmanagement, Vertragsmanagement und Leistungskontrolle ab. Das Feld des Tarifmanagements ist indirekt enthalten. Die Datenanalyse erfolgte mittels einer typenbildenden qualitativen Inhaltsanalyse, orientiert an der „Patient Journey“, die die Phasen der Prävention bis zur Nachsorge bzw. Pflege umfasst. Insgesamt wurden 39 Interviewpartner bei einer durchschnittlichen Interviewdauer von 58 Minuten befragt.
Ergebnisse / Results
Die Analyse identifizierte insgesamt 296 Dienstleistungen mit 708 Funktionen, die nach sechs Hauptkategorien unterschieden sind: Gesundheitsförderung und Prävention (22,1 % aller Funktionen), Zugang (13,5 %), Versorgungs- und Behandlungssystem (51,2 %), Rehabilitation und Nachsorge (6,1 %), Pflege (2,8 %) sowie Verwaltung und Service (2,6 %). Der Schwerpunkt aller Dienstleistungen liegt auf dem Versorgungs- und Behandlungssystem. Die weitere Unterteilung identifiziert analoge und digitale Angebote, die sich als Case-, Care- und Disease-Management-Programme abstrahieren lassen. Die Studie offenbart die unterschiedliche Herangehensweise der Versicherungsunternehmen, den Bedarfen der Versicherten entlang der „Patient Journey“ zu begegnen.
Zusammenfassung / Conclusion
Die ersten Ergebnisse der ESPRI-Studie geben einen Überblick über das Leistungsspektrum der Gesundheitsservices in den PKVn. Die Versorgung und Betreuung akuter und chronischer Erkrankungen sowie Interventionen im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention bilden die Schwerpunkte. Handlungsbedarf besteht insbesondere in der Vernetzung der verschiedenen Services. Die freiwillige Inanspruchnahme insbesondere von Leistungen im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention bleiben eine echte Herausforderungen, da die PKVn keine rechtliche Grundlage für die direkte und personalisierte Ansprache ihrer Versicherten haben.
Authors
Christian Olaf Jacke, Wissenschaftliches Institut der PKV (WIP), Verband der Privaten Krankenversicherung e.V.
Julia Schaarschmidt, Wissenschaftliches Institut der PKV (WIP), Verband der Privaten Krankenversicherung e.V.
Kilian Gundlach, zeb Consulting
Hendrik Knutzen, zeb Consulting
Mirko Theine, zeb Consulting
GKV-Ausgabenprognosen für einzelne Leistungsbereiche unter Berücksichtigung risikogruppenspezifischer Lebenserwartungen
Valeska Hofbauer-Milan, AOK Baden-Württemberg
Einleitung / Introduction
Die zukünftige Ausgabenentwicklung in unterschiedlichen Leistungsbereichen der GKV (Krankenhaus, ambulante ärztliche Versorgung, zahnärztliche Versorgung, Arzneimittel, Krankengeld, Dialyse und Sonstige) hängt grundsätzlich von angebots- und nachfrageseitigen Faktoren ab, die eng mit der zukünftigen demografischen Entwicklung verbunden sind. Nachfrageseitig dürfte entscheidend sein, welche Patientengruppen künftig von einem Zugewinn an Lebenserwartung profitieren werden. Das Statistische Bundesamt trifft in seiner 15. Koordinierten Bevölkerungsvorausrechnung 2022 in der mittleren Variante L2 die Annahme, dass es bis 2070 zu einem Zugewinn von 5 bzw. 6 Jahren an Lebenserwartung bei Geburt für Frauen bzw. Männer kommen wird. Sollte dieser Zugewinn v.a. auch in Hochkostenrisikogruppen generiert werden, hätte dies z.B. einen hohen Einfluss auf Ausgabenbereiche wie Arzneimittel oder Dialyse. Hingegen wäre zukünftig eher mit einem gemäßigten Wachstum zu rechnen, wenn v.a. niedrige Kostenrisikogruppen vom Zugewinn an Lebenserwartung profitieren. Herkömmliche Status-quo-Fortschreibungen, die heutige Querschnittsprofile auf eine alternde Bevölkerung übertragen, können solche Effekte nur unzureichend abbilden.
Methode / Method
In dieser Arbeit entwickeln wir ein Markov-Modell, das insb. diese Effekte in unterschiedlichen Szenarien berücksichtigt. Basis hierfür ist ein Datensatz der AOK Baden-Württemberg aus den Jahren 2013-2022. Mittels eines Ordered Logit-Verfahrens werden Inputfaktoren für alters- und geschlechtsspezifische Zugehörigkeitswahrscheinlichkeiten zu unterschiedlichen Kostenrisikogruppen (Versicherte, die die höchsten 1, 2-5, 5-10 usw. Prozent der Kosten verursachen), risikospezifische Sterbewahrscheinlichkeiten sowie Übergangswahrscheinlichkeiten zwischen den Risikogruppen geschätzt. Diese Inputfaktoren werden in einem zweiten Schritt zusammen mit den Komponenten der Bevölkerungsprojektion in einem Markov-Modell fortgeschrieben.
Ergebnisse / Results
Anhand des Modells lässt sich durch unterschiedliche Annahmen insb. für die Parameter der Hochkostenrisikogruppen simulieren, inwieweit die verschiedenen Leistungsbereiche von der zukünftigen demografischen Entwicklung betroffen sein können. Die resultierenden Ergebniskorridore für einzelne Leistungsbereiche werden abschließend Status-quo-Fortschreibungen gegenübergestellt.
Zusammenfassung / Conclusion
Für eine möglichst zielgenaue Planung der nachfrageseitigen Entwicklung der GKV-Ausgaben in einzelnen Leistungsbereichen, aber auch für eine adäquate Planung des dafür notwendigen Angebots, ist neben der Demografie-bedingt veränderten Kohortenstruktur auch entscheidend, welche Kostenrisikogruppen in welchen Kohorten von einer höheren Lebenserwartung profitieren. Diese Erkenntnisse lassen dann bessere Ausgaben- und damit Beitragssatzabschätzungen für die Zukunft zu.
Authors
Stefan Fetzer, Hochschule Aalen
Christian Hagist, WHU - Otto Beisheim School of Management
Valeska Hofbauer-Milan, AOK Baden-Württemberg
Christian Neumeier, Hochschule Aalen
Handlungsfelder und Maßnahmen zur Überwindung bestehender Versorgungsdefizite in der Diagnostik und Therapie von Menschen mit Down-Syndrom und Demenz
Theresa Hüer, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Einleitung / Introduction
Menschen mit Down-Syndrom (DS) haben im Vergleich zur normativen Bevölkerung genetisch bedingt ein deutlich erhöhtes Risiko, an einer Early Onset Alzheimer-Demenz zu erkranken. Vor diesem Hintergrund wird es immer wichtiger, bedarfsgerechte Versorgungsstrukturen aufzubauen. Es fehlt jedoch bisher an Versorgungskonzepten für diese Patient:innengruppe. Ziel des Innovationsfondsprojektes „(Zugang zur) Diagnostik und Therapie demenzieller Erkrankungen bei Menschen mit einem Down-Syndrom (DS-Demenz, 01VSF21030)“ ist es daher, Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung von Menschen mit DS und Demenz zu entwickeln.
Methode / Method
Unter Verwendung von qualitativen (u.a. Expert:inneninterviews) und quantitativen (Routinedatenanalysen) Methoden wurden Defizite in der medizinischen Versorgung der Zielgruppe sowie Lösungsansätze identifiziert. Aufbauend auf diesen Vorarbeiten erfolgte die Entwicklung eines Maßnahmenkonzepts, welches in einem Diskussionsworkshop mit ca. 20 Expert:innen (Vertreter:innen von Patient:innen, Leistungserbringenden, Wohn- und Arbeitseinrichtungen, Krankenkassen) auf Basis der World-Café-Methodik diskutiert wurde. In einer abschließenden Online-Befragung wird das weiterentwickelte Maßnahmenkonzept den Expert:innen noch einmal zurückgespiegelt mit dem Ziel, von diesen eine Einschätzung zur Zielgenauigkeit und Realisierbarkeit einzelner Maßnahmen im GKV-System zu erhalten.
Ergebnisse / Results
Es wurden acht Handlungsfelder identifiziert, die im Folgenden exemplarisch vorgestellt werden sollen: Ein zentrales Handlungsfeld ist die fehlende Verfügbarkeit spezialisierter Leistungserbringender (z.B. Medizinische Zentren für Menschen mit Behinderungen, MZEB). Zu einer bedarfsgerechten Versorgung mit MZEBs könnte eine gesonderte Bedarfsplanung mit Sicherstellungsauftrag an die Krankenkassen beitragen. Als weiteres Feld wurde eine fehlende Zusammenarbeit zwischen den einzelnen an der Versorgung beteiligten Leistungserbringenden, z.B. im Austausch zwischen Haus- und Fachärzt:innen, festgestellt. Hier könnte die Etablierung eines bundesweiten Kompetenznetzwerks zur Vernetzung bundesweiter Expertise eine sinnvolle Maßnahme darstellen. Beklagt wurden außerdem fehlende Ressourcen, um die deutlich zeitaufwändigere Versorgung von Menschen mit einer intellektuellen Beeinträchtigung bedarfsgerecht zu gestalten. Zur Berücksichtigung der Mehraufwände bei der Behandlung dieser Patient:innengruppe wurden Vergütungsanreize für Leistungserbringende diskutiert.
Zusammenfassung / Conclusion
Handlungsfelder bestehen entlang des gesamten Versorgungsprozesses, angefangen von Zugangshindernissen über eine unzureichende Diagnostik und nicht angemessene therapeutische Ansätze. Daran anknüpfend wurden konkrete Maßnahmen erarbeitet, um Verbesserungen in den angeführten Handlungsfeldern einzuleiten.