Vortragssitzung
Methodische Aspekte der gesundheitsökonomischen Evaluation
Talks
Gesundheitsökonomische Betrachtung komplexer sektorenübergreifender Versorgungsmodelle: Methodische Herausforderungen und Lösungsansätze am Beispiel des Childhood-Haus Modells
Adrienne, Frederique, Ghislaine Alayli, Fachbereich Versorgungsforschung im Kindes- und Jugendalter, Klinik für allgemeine Pädiatrie, Neonatologie und Kinderkardiologie, UKD Düsseldorf und Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Einleitung / Introduction
Sektorenübergreifende Versorgungsmodelle sind häufig durch Kontextabhängigkeit und Dynamik bei der Umsetzung geprägt. Die sich daraus ergebende Komplexität stellt Herausforderungen an die Methoden der gesundheitsökonomischen Evaluation. So sind Kosten beispielsweise stark abhängig von vorhandenen Strukturen und Angeboten an den Umsetzungsstandorden, Konsequenzen vielfältig und relevant für unterschiedliche Stakeholder. Alternative Methoden zu Kosten-Effektivitätsanalysen, um diesen Herausforderungen zu begegnen sind kaum umfassend untersucht. Ziel dieses Beitrags ist es, mögliche Ansätze anhand des Versorgungsmodells „Childhood-Haus“ zu diskutieren. In einem Childhood-Haus erhalten Kinder mit (vermuteter) Gewalterfahrung und ihre Familien unterschiedliche Hilfen unter einem Dach. Diese umfassen u.a. medizinische und forensischen Untersuchungen, polizeiliche Befragungen, ermittlungsrichterliche Vernehmungen, psychologische sowie sozialpädagogische Beratung.
Methode / Method
Angelehnt an die CHEC-List-Kriterien zur Bewertung der methodischen Qualität gesundheitsökonomischer Evaluationen identifizieren wir methodische Herausforderungen, die sich bei einer Evaluation des Versorgungsmodells Childhood-Haus ergeben. Hierzu ziehen wir Studien und Diskussionsbeiträge aus der wissenschaftlichen Literatur sowie eigene Erfahrungen beim Design der gesundheitsökonomischen Analyse von Childhood-Häusern in unterschiedlichen Bundesländern heran. Für diese Herausforderungen eruieren wir mögliche Lösungsansätze, die etablierte und seltener verwendete gesundheitsökonomische Ansätze sowie qualitative Methoden umfassen.
Ergebnisse / Results
Bezogen auf das Versorgungsmodell Childhood-Haus präsentieren wir Vorschläge zur Umsetzung der genannten Lösungsansätze. Wir zeigen u.a. wie die Komplexität des Childhood-Haus Modells bei der Formulierung von Evaluationsfragestellungen berücksichtigt werden kann, wie Konsequenzen auf Ebene verschiedener Stakeholder sowie auf Systemebene darstellbar sind und mit welchen Studiendesigns dynamische Veränderungen erfasst werden können. Zudem diskutieren wir, wie in einem Multiple Case Study Design Auswirkungen historischer, physischer, struktureller und politischer Kontexte auf die Kosten untersucht werden können.
Zusammenfassung / Conclusion
Die Ergebnisse dieser Studie fördern den wissenschaftlichen Diskurs zu neuen Ansätzen der gesundheitsökonomischen Betrachtung komplexer sektorenübergreifender Versorgungsmodelle. Sie liefern zudem Erkenntnisse zu relevanten Kosten und Nutzenkategorien in Bezug auf Childhood-Haus Modelle, die bislang auch international kaum wissenschaftlich beschrieben sind. Hierdurch können die Erkenntnisse politische Entscheidungsprozesse zur Finanzierung und zum Scale-Up von Childhood-Häusern in Deutschland sowie international unterstützen.
Authors
Dorit Biermann-Teuscher, Fachbereich Versorgungsforschung im Kindes- und Jugendalter, Klinik für allgemeine Pädiatrie, Neonatologie und Kinderkardiologie, UKD Düsseldorf und Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Christian Brettschneider, Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Freia De Bock, Fachbereich Versorgungsforschung im Kindes- und Jugenalter, Klinik für allgemeine Pädiatrie, Neonatologie und Kinderkardiologie, UKD Düsseldorf und Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Juliane Köberlein-Neu, Bergisches Kompetenzzentrum für Gesundheitsökonomik und Versorgungsforschung / Fakultät für Wirtschaftswissenschaft - Schumpeter School of Business and Economics Bergische Universität Wuppertal
Rosemarie Schwenker, Fachbereich Versorgungsforschung im Kindes- und Jugendalter, Klinik für allgemeine Pädiatrie, Neonatologie und Kinderkardiologie, UKD Düsseldorf und Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Adrienne Alayli, Fachbereich Versorgungsforschung im Kindes-und Jugendalter, Klinik für allgemeine Pädiatrie, Neonatologie und Kinderkardiologie, UKD Düsseldorf und Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Influence of methodological choices in willingness-to-pay analyses: Using the example of a digital weight loss intervention in Germany
Oliver Lange, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Universität Bremen
Einleitung / Introduction
One possible set of interventions to keep healthcare budgets sustainable in an ageing society is digital health interventions (Digitale Gesundheitsanwendungen, DiGA), which may provide novel and more efficient ways to treat conditions such as obesity. Obesity involves high health and financial burdens in ageing societies, especially as co-morbidities like diabetes and cardiovascular disease increase with age. To ensure the most efficient DiGAs are integrated into care processes, economic evaluation could be used to select from the rapidly growing number of new digital health Interventions. One methodological approach to assess efficiency is to compare the willingness to pay (WTP) for a technology with the actual costs. However, the results of WTP analyses may be biased, for example, due to anchoring effects from survey design and strategic (protest) responses. This study examines how methodological choices affect WTP for a weight loss DiGA alongside other variables.
Methode / Method
In a controlled online contingent valuation experiment, participants (n=1001) were randomly assigned one of three payment scales based on existing prices for digital interventions, varying range and midpoint of the payment scales. The sample included a representative portion of the German population while oversampling individuals with BMI > 30 kg/m². The questionnaire covered WTP questions, demographics, socioeconomic factors, and contextual information on obesity and treatment apps. We used the two-part model to model the impact of range and midpoints, alongside BMI, sex, age, or income on overall WTP: First, a logit model to account for zero responses and a generalized linear model (GLM) with gamma distribution to assess WTPs >0€.
Ergebnisse / Results
Excluding strategic voters (n=77) revealed differences in model fit and WTP outcomes. After this exclusion, the average WTP per month for access to an obesity treatment DiGA across the three scales with different ranges and midpoints (Scale 1: range 0-100, midpoint 10; Scale 2: range 0-100, midpoint 40; Scale 3: range 0-400; midpoint 40) was 19.54€, 20.36€, and 34.08€, respectively. The final GLM, based on 686 observations, showed WTP significantly correlated with payment scale selection, BMI, age, gender, and insurance status. Among all variables, the anchor “payment range” had the largest impact (both in scale and level of significance) on the results.
Zusammenfassung / Conclusion
Our findings indicate that WTP is affected by survey design, contributing to the broader discussion on WTP analysis validity. The impact of the midpoint on the result may be much lower than of range bias. Related to the topic of this conference, our data suggest that older statutory health insurance members may value digital health interventions more highly.
Authors
Kevin Helms, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Universität Bremen
Oliver Lange, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Universität Bremen
Stefan K. Lhachimi, Department of Health, Nursing, Management, University of Applied Sciences Neubrandenburg
Wolf Rogowski, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Universität Bremen
Gesundheitsökonomische Analysen sind mit PKV-Rechnungsdaten möglich – wenn das Datum stimmt!
Christian Olaf Jacke, Wissenschaftliches Institut der PKV (WIP), Verband der Privaten Krankenversicherung e.V.
Einleitung / Introduction
Einleitung – Die Verfügbarkeit von Rechnungsdaten privater Krankenversicherungen (PKV-Daten) steigt zunehmend und trifft auf ein wachsendes Interesse in der Forschungsgemeinschaft. Allerdings unterscheiden sich diese Sekundärdaten erheblich von denen anderer Kostenträger. Der vorliegende Beitrag beantwortet die Frage, unter welchen Prämissen PKV-Daten auch für gesundheitsökonomische Fragestellungen geeignet sind.
Methode / Method
Es erfolgt die deskriptive Analyse des Ressourcenverzehrs von Krankenvollversicherten aus neun PKV-Unternehmen nach Einreichungs-, Rechnungs-, Bezugs- bzw. Leistungsdatum. Die Auswertungen basieren auf eingereichten Rechnungsdaten von Arzneimitteln aus der ambulanten Versorgung (ARZ) und ambulant-ärztlichen sowie stationär-wahlärztlichen Leistungen (GOÄ) der Jahre 2017 bis 2023 aus dem WIP-Datenpool.
Ergebnisse / Results
Die Auswertungen zeigen erhebliche Diskrepanzen zwischen den Nachfragekurven, die auf dem Einreichungs- und dem Bezugs-/bzw. Leistungsdatum basieren. Erstere bedeutet eine Überschätzung, während die Verwendung des Bezugs-/bzw. Leistungsdatums eine deutliche Unterschätzung der tatsächlichen Ressourcenverbräuche mit sich bringt. Eine hinreichende Vollzähligkeit der Rechnungsdaten nach Bezugs- bzw. Leistungsdatum stellt sich nach mindestens einem Jahr Zeitverzögerung ein.
Zusammenfassung / Conclusion
Die Vergleiche der Nachfragekurven verdeutlichen, wie änderungssensitiv definitorische Unterschiede bezüglich der Datumsangabe sind. Die Unterscheidung zwischen Einreichungs- und Bezugs- bzw. Leistungsdatum ist hier relevant. Trotz externer Schocks wie die Pandemie zeigt sich aber ein durchgängiges und systematisches Muster an fehlenden bzw. nicht eingereichten Rechnungen, die vor allem im letzten Quartal eines Jahres gut zu erkennen sind. Dieser Verlauf ist gut mit Selbstbehalten und Beitragsrückerstattungen zu erklären, die für die PKV konstitutiv sind. Je nach Perspektive (Krankenversicherung vs. Privatversicherter) und Typ der gesundheitsökonomischen Studie ist zu entscheiden, welches Datum das richtige für die Beantwortung einer Studienfrage ist und welche (systematischen) Auswahlfehler akzeptabel sind.
Authors
Christian Olaf Jacke, Wissenschaftliches Institut der PKV (WIP), Verband der Privaten Krankenversicherung e.V.
Julia Schaarschmidt, Wissenschaftliches Institut der PKV (WIP), Verband der Privaten Krankenversicherung e.V.
Tatjana Begerow, Wissenschaftliches Institut der PKV (WIP), Verband der Privaten Krankenversicherung e.V.
Gesundheitsökonomische Evaluation der Modellvorhaben nach § 64b SGB V – Modellübergreifende Ergebnisse der Evaluationsstudie EVA64
Roman Kliemt
Einleitung / Introduction
Modellvorhaben nach §64b SGB V zeichnen sich durch ein globales Budget für die stationäre psychiatrische Krankenhausbehandlung und Psychiatrische Institutsambulanz (PIA) aus, mit dem Anreize zur ambulanten Behandlung psychisch erkrankter Menschen gesetzt werden sollen. Im Fokus der bundeseinheitlichen Evaluation EVA64 stehen neben der Effektivität der Modellvorhaben auch die Kosten- und Effizienzwirkungen aus GKV-Perspektive sowie die Patientenanteile in den einzelnen Behandlungssettings. Ziel des Beitrags ist es, die gepoolten Ergebnisse der gesundheitsökonomischen Evaluation zu den betrachteten 18 Modellvorhaben nach §64b SGB V darzustellen.
Methode / Method
Die Analysen basieren auf GKV-Routinedaten der an EVA64 beteiligten Krankenkassen. Betrachtet werden Versicherte (Modell- und gematchte Kontrollpatienten), die in den ersten drei Jahren nach Beginn des jeweiligen Modellvorhabens in die Studie eingeschlossen wurden. Zielparameter sind die psychiatrischen Versorgungskosten und die Kosten der Versorgungsbereiche (insb. voll- und teilstationäre Versorgung, PIA-Behandlung) sowie der Patientenmix (Anteil der Patienten innerhalb der Behandlungssettings). Alle Zielparameter werden einer Difference-in-Difference-Analyse unterzogen. Die Bewertung der Effizienz erfolgt über das inkrementelle Kosten-Effektivitäts-Verhältnis aus Zahl vollstationärer Behandlungs- bzw. Arbeitsunfähigkeitstage und Versorgungskosten.
Ergebnisse / Results
Insgesamt können 69.711Versicherte berücksichtigt werden, die in einem der 18 zu evaluierenden Modellvorhaben oder einer vergleichbaren Kontrollklinik behandelt wurden. Vorläufige Auswertungen der ersten zwölf gestarteten Modellvorhaben deuten auf eine große Heterogenität der Einzelergebnisse hin. So war der Unterschied in den Anstiegen der psychiatrischen Gesamtversorgungskosten in 5 Modellvorhaben signifikant geringer und in 5 signifikant höher; im gepoolten Effekt zeigte sich damit kein signifikanter Unterschied. Bei den vollstationären Kosten zeigte sich eine Tendenz zu geringeren, bei den teilstationären Kosten zu höheren Steigerungen im Vergleich zur Regelversorgung. Für die PIA-Versorgung ließ sich keine eindeutige Wirkrichtung feststellen. Die Analyse des Patientenmix ergab einen deutlichen Rückgang des Anteils der vollstationär versorgten Patienten. Zum Zeitpunkt der Konferenz werden die gepoolten Ergebnisse aller Modellvorhaben vorliegen.
Zusammenfassung / Conclusion
Die Ergebnisse der ersten 12 Modelle und vorläufige Analysen aller 18 Modelle deuten darauf hin, dass die mit der Modellversorgung eingeführten Globalbudgets einen stärkeren Anreiz zur ambulanten Behandlung der Patienten setzen und damit die Kosten der stationären Versorgung reduzieren. Bei der Interpretation ist jedoch zu beachten, dass ein Teil der Ergebnisvariation auch auf Preiseffekte zurückzuführen sein kann.