Vortragssitzung

Langzeitpflege: Herausforderungen, Perspektiven und Trends

Talks

Pflegebedürftigkeit im demografischen Wandel: Projektionen für Deutschland bis 2070
Lewe Christoph Bahnsen, Wissenschaftliches Institut der PKV

Einleitung / Introduction

Die Alterung der Bevölkerung in Deutschland führt zu einem signifikanten Anstieg der Zahl pflegebedürftiger Menschen. Bereits die gegenwärtigen Umstände veranlassen die politischen Entscheidungsträger dazu, darüber zu diskutieren, wie der wachsende Bedarf an Pflegekräften gedeckt und die steigenden Ausgaben für die Pflege(-versicherung) finanziert werden können. Ziel dieser Studie ist es, die zukünftige Entwicklung der Pflegebedürftigkeit in Deutschland zu adressieren und dazu unterschiedliche potenzielle Entwicklungspfade zu betrachten.

Methode / Method

Für die Analyse wird ein deterministisches Projektionsmodell verwendet, das auf aktuellen Daten der Sozialen Pflegeversicherung und der Privaten Pflegepflichtversicherung basiert. Es werden verschiedene Szenarien modelliert, die unterschiedliche Annahmen zur Geburtenrate, Lebenserwartung und Zuwanderung sowie zur zukünftigen Entwicklung der Morbidität (Expansion vs. Kompression) berücksichtigen. Die potenzielle Zahl pflegebedürftiger Menschen wird bis 2070 projiziert.

Ergebnisse / Results

Die vorläufigen Ergebnisse zeigen einen Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen auf 8,2 Millionen bis 8,6 Millionen im Jahr 2070. Während der grundsätzliche Anstieg schon allein demografisch bedingt unausweichlich ist, ist das Ausmaß mit Unsicherheit behaftet. Im Sinne einer Morbiditätsexpansion könnte es einen wesentlich stärkeren Anstieg geben als unter Status quo-Bedingungen mit konstanten Pflegeprävalenzen. Stellt sich hingegen eine Kompression ein, kann auch mit einem schwächeren Anstieg gerechnet werden.

Zusammenfassung / Conclusion

Die Analyse quantifiziert den Umfang der Zunahme der Pflegebedürftigkeit in den kommenden Jahrzehnten. Es wird deutlich, dass insbesondere die Pflege von hochaltrigen Menschen eine zentrale Herausforderung des deutschen Gesundheitssystems darstellen wird. Ergänzend können die Ergebnisse als Grundlage dienen, den künftigen Bedarf an Pflegekräften und die finanzielle Belastung der Pflegeversicherung abzuschätzen.


Authors
Lewe Christoph Bahnsen, Wissenschaftliches Institut der PKV
Krankheitsverläufe und Pflegeprävention in Bayern: Eine Simulation zur Abschätzung von Präventionsbedarfen
Florian Kirsch, AOK Bayern

Einleitung / Introduction

Die Unterstützung eines gesunden Alterns durch Prävention ist seit Jahren ein zentraler Auftrag der Pflegekassen (vgl. BMG). Mit dem neuen Gesundheitsdatennutzungsgesetz (§ 25b SGB V) hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, dass Pflegekassen Versicherte zielgerichtet auf Präventionsangebote hinweisen können, um Pflegebedürftigkeit zu vermeiden. Welche Versichertengruppen durch Hinweise und präventive Maßnahmen besonders profitieren können, untersucht z.B. das Innovationsfondsprojekt WEGE. Individualisierte Hinweise müssen jedoch stets mit entsprechenden Präventionsangeboten verknüpft sein. Eine valide Abschätzung der Nachfrage nach verschiedenen Präventionsmaßnahmen ist derzeit jedoch nicht möglich.

Methode / Method

Um der Frage nach den treibenden Krankheiten für Pflegebedürftigkeit bei Versicherten der AOK Bayern nachzugehen, verwenden wir einen Simulationsansatz. Dafür nutzen wir anonymisierte Routinedaten der AOK Bayern (2019 bis 2023) von über vier Millionen Versicherten. Diese Daten umfassen sowohl gesundheitliche (ICDs, etc.) als auch sozioökonomische Merkmale (Alter, Geschlecht etc.). Anhand der Krankheitsverläufe, insbesondere derjenigen Versicherten, welche in diesem Zeitraum pflegebedürftig wurden, simulieren wir den Pflegebedarf für fünf Jahre in die Zukunft (Basis 2024; bis 2029). Aus der Simulation lesen wir die Krankheitsgruppen ab, welche mit dem Eintreten einer Pflegebedürftigkeit korrelieren. Für relevante Krankheiten können daraufhin in den Regionen entsprechende Präventionsmaßnahmen auf- oder ausgebaut werden, um Pflegebedürftigkeit zu verhindern, hinauszuzögern oder eine Verschlechterung der Situation zu vermeiden.

Ergebnisse / Results

Die Ergebnisse unsere Simulationen wird zeigen, welche Indikationen in den nächsten fünf Jahren bayernweit für einen Großteil der neuen Pflegefälle verantwortlich sein werden. Um die Robustheit der simulierten Anzahl von Pflegebedürftigen abschätzen zu können, wird unsere Schätzungen mit den Zahlen des IGES-Gutachtens zur Entwicklung der Pflege in Bayern (2025-2050) abgeglichen (www.pflegebedarf2050.bayern.de). Die Ergebnisse der Simulation werden auch dahingehend untersucht, ob hinsichtlich der Art der „treibenden“ Krankheiten Unterschiede zwischen Stadt und Land bestehen.

Zusammenfassung / Conclusion

Diese Erkenntnisse, in Verbindung mit den kommunalen Pflegebedarfsplänen, ermöglichen erste strategische Weichenstellungen. In Kombination mit den Erkenntnissen zu bereits umgesetzten Präventionsmaßnahmen der Pflegekassen in stationären Pflegeeinrichtungen (GKV 2022) und den Ergebnissen des Innovationsfondsprojektes WEGE tragen unsere Ergebnisse dazu bei, die im GDNG angelegte Möglichkeit der Pflegebedarfsprävention aktiv zu nutzen. Perspektivisch können so regionalspezifische Angebote an Präventionsmaßnahmen aufgebaut werden.


Authors
Florian Kirsch, AOK Bayern
Lukas Schötz, AOK Bayern
Roland Jucknewitz, AOK Bayern
Kosteneffektivität eines Prähabilitationsprogramms vor elektiven Eingriffen für ältere, gebrechliche Patient*innen: Vorläufige Ergebnisse einer Kosten-Effektivitäts-Analyse aus GKV-Perspektive
Lukas Schöner

Einleitung / Introduction

Prähabilitation zielt darauf ab, die mentale und physische Funktionsfähigkeit von Patient*innen vor Operationen zu verbessern, um perioperative Komplikationen zu verringern und die postoperative Genesung zu fördern. Während bestehende Literatur zeigt, dass Prähabilitationsmaßnahmen zu verbesserten patientenrelevanten Ergebnissen führen, existiert derzeit keine Evidenz zur Kosteneffektivität bei älteren, gebrechlichen Patient*innen. Ziel der vorliegenden Studie war daher, die Kosteneffektivität der Prähabilitation im Vergleich zur Standardversorgung bei älteren, gebrechlichen Patient*innen aus Kostenträgerperspektive (GKV) zu ermitteln.

Methode / Method

Die Kosteneffektivitäts-Analyse wurde im Rahmen einer multizentrischen randomisierten Studie (PRÄP-GO) zur Prähabilitation älterer Patient*innen (70 Jahre) mit Gebrechlichkeitssyndrom vor elektiven Eingriffen durchgeführt. Die Interventionsgruppe erhielt präoperativ eine 3-wöchige multimodale Prähabilitation, deren Komponenten in einer multiprofessionellen Shared-Decision-Making Konferenz festgelegt wurden. Das primäre Effektmaß der Studie war die Veränderung des Pflegegrades 12 Monate postoperativ im Vergleich zu Baseline. Als Kosten wurden die Interventionskosten, das Entgelt für den Krankenhausaufenthalt sowie standardisierte Bewertungssätze für die Inanspruchnahme von Leistungen während des 12-Monats-Follow-Ups herangezogen. Primärer Endpunkt der Analyse war die inkrementelle Kosten-Effektivitäts-Relation, d.h. die zusätzlichen Kosten pro vermiedene Verschlechterung des Pflegegrads. Zur Untersuchung von Unsicherheiten wurden Subgruppenanalysen sowie Bootstrapping durchgeführt.

Ergebnisse / Results

Zwischen Juni 2020 und Juli 2023 wurden insgesamt 1.382 Patient*innen in 17 Studienzentren randomisiert und bis August 2024 nachbeobachtet. Die Studie wird derzeit ausgewertet und endet im Februar 2025. Finale Ergebnisse werden daher erst zum Zeitpunkt der Konferenz vorliegen. Diese werden Erkenntnisse zu dem Interventionseffekt auf die Kostenblöcke sowie die klinischen Effekten umfassen, insbesondere der Veränderung des Pflegegrades und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Darauf aufbauend wird die Wahrscheinlichkeit der Kosteneffektivität der Intervention unter Berücksichtigung verschiedener Zahlungsbereitschaftsschwellenwerten beurteilt.

Zusammenfassung / Conclusion

Die gesundheitsökonomische Analyse wird Einblicke in die Kosteneffektivität der Prähabilitation und mögliche Einflussfaktoren liefern. Diese werden politische Entscheidungsprozesse unterstützen, insbesondere die mögliche Implementierung der Prähabilitation in die Routineversorgung, und zur Evidenzbasis in diesem Bereich beitragen. Übergeordnetes Ziel ist die Verbesserung der Versorgungsqualität und langfristig die Entlastung des Gesundheitssystems.


Authors
Lukas Schöner
Helene Eckhardt
Stefan Buchka
Reinhard Busse
Verena Loidl
Ulrich Mansmann
Wilm Quentin
Stefan Schaller
Katrin Schmidt
Claudia Spies
Tanja Rombey
Predicting health insurers' expenditures for home nursing care in people with and without dementia: a multicentre observational study in Switzerland
Flurina Meier, Winterthur Institute of Health Economics, Zurich University of Applied Sciences, Winterthur, Switzerland; Swiss Tropical and Public Health Institute, Allschwil, Switzerland; University of Basel, Switzerland

Einleitung / Introduction

As populations age, the prevalence of memory disorders and dementia is increasing. Although dementia is a strongly related to nursing home admissions, people with dementia are increasingly being cared for at home, leading to rising insurance expenditures for home care services. However, there is limited research on how dementia impacts these expenditures. This study aimed to analyse associations between dementia and insurance expenditures for home care, comparing dementia patients to those with other common conditions and to investigate the effect of dementia and impairments in activities of daily living (ADL) and instrumental activities of daily living (IADL).

Methode / Method

We used data from a longitudinal observational multicentre study involving eight home care providers across Switzerland's three language regions. The study included patients undergoing the routine interRAI-Home Care Switzerland assessments (HCS), which provided patient characteristics, such as physician-diagnosed all-cause dementia. Administrative data from the second and third month following the assessment were used to calculate insurance expenditures. Comparisons were made between people with dementia and those with other common diagnoses (cardiovascular diseases, diabetes, cancer, depression, cerebrovascular incidents, and COPD). Multivariate regression analyses were conducted to assess the interaction of dementia with ADL and IADL impairments.

Ergebnisse / Results

Between May and November 2022, 1’079 patients were enrolled, with 1’035 (96%) eligible for analyses. 176 (17%) had an all-cause dementia diagnosis, which was most prevalent among those aged 75-90 years. Unlike other common somatic and mental diagnoses, dementia was strongly associated with high health insurance expenditures for home nursing care. In people without ADL or IADL impairments the presence of all-cause dementia was associated with considerably more home nursing care expenditures. However, overall, ADL and IADL impairments were the stronger predictor of home nursing care expenditures than dementia. The combined effect of dementia and ADL impairment did only slightly increased expenditures, whereas the combined effect of IADL impairments and dementia was associated with considerably higher expenditures. Further results will be available in spring 2025.

Zusammenfassung / Conclusion

Our study offers insights into how dementia is associated with health insurance expenditures in home care, in particular when combined with ADL and IADL impairments. These findings offer valuable insights for comparing home care and nursing home care expenditures for dementia patients, providing valuable insights to inform policy decisions.


Authors
Flurina Meier, Winterthur Institute of Health Economics, Zurich University of Applied Sciences, Winterthur, Switzerland; Swiss Tropical and Public Health Institute, Allschwil, Switzerland; University of Basel, Switzerland
Nicole Probst-Hensch, Swiss Tropical and Public Health Institute, Allschwil, Switzerland
Marc Höglinger, Winterthur Institute of Health Economics, Zurich University of Applied Sciences, Winterthur, Switzerland
Matthias Schwenkglenks, Health Economics Facility, Department of Public Health, University of Basel, Switzerland
Simon Wieser, Winterthur Institute of Health Economics, Zurich University of Applied Sciences, Winterthur, Switzerland