Poster session

Deutsche Postersession

Für die Postersessions sind keine Vorträge vorgesehen.

Poster

Simulationsstudie in einer Notaufnahme - Wie Diskrete Ereignissimulation die Patientenversorgung verbessern kann.
Olav Götz, APOLLON Hochschule der Gesundheitswirtschaft GmbH, Bremen

Einleitung / Introduction

Notaufnahmen sind weltweit die erste Anlaufstelle für lebensrettende Maßnahmen. Trotz dieser Bedeutung für die Patientenversorgung sind die Notaufnahmen mit einer Reihe von Mängeln konfrontiert. So sind sie seit vielen Jahren mit mangelnden Ressourcen, Vergütungsdefiziten, einem geringen Digitalisierungsgrad und einem ungeregelten Zugang zu Notaufnahmen konfrontiert. Um diese Herausforderungen trotz begrenzter Ressourcen zu meistern, muss eine Notaufnahme durch gute Prozessabläufe gekennzeichnet sein. Eine durchdachte Prozessanalyse mit Hilfe einer diskreten Ereignissimulation (DES) kann die Umsetzung verbesserter Abläufe unterstützen und so die Versorgungsqualität nachhaltig verbessern.

Methode / Method

Basierend auf empirischen Daten, die durch Beobachtungen, Experteninterviews, Prozessanalysen und Zeitstudien gewonnen wurden, analysieren wir, wie Prozessabläufe in der Notaufnahme modelliert und bewertet werden können. Mit Hilfe eines stochastischen DES-Modells wird der Versorgungsablauf in einer Notaufnahme eines Primärversorgers modelliert und simuliert.

Ergebnisse / Results

Die Ergebnisse der DES-Studie zeigen, dass insbesondere die digitale Aufrüstung der Notaufnahme und zusätzliche Personalressourcen die Prozesszeiten in Bezug auf Verweildauer und Wartezeiten reduzieren können. Weitergehend konnte eine verbesserte infrastrukturelle und personelle Auslastung in der Notaufnahme durch eine verbesserte Raumplanung sowie durch die Aufstockung weiterer personellen Kapazitäten erzielt werden.

Zusammenfassung / Conclusion

Es konnte festgestellt werden, dass die in der Forschungsarbeit umgesetzte DES ein geeignetes Werkzeug ist, um komplexe Systeme wie die Notaufnahme realitätsnah zu simulieren und praxisnahe Verbesserungspotenziale für das Projektkrankenhaus zu extrahieren. Weitergehend ging die vorliegende DES-Studie durch den Einbezug von Digitalisierungspotenzialen neue Wege. Durch den medizinisch-technischen Fortschritt ist es wichtig, dass sich auch immer mehr Simulationsstudien mit den Potenzialen von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) beschäftigen. Bislang gibt es allerdings nur wenige Simulationsstudien, die sich mit dem Nutzen solcher IKTs in der Notaufnahme befassen. Dabei haben IKTs das Potenzial, die Überfüllung von Notaufnahmen deutlich zu verringern, allerdings werden wichtige Verbesserungen regelmäßig verpasst, weil die Effekte von IKT in Simulationsstudien nicht berücksichtigt werden. Zukünftig sollte das Potenzial von Informations- und Kommunikationstechnologien zur Verbesserung von Prozessabläufen stärker in DES-Studien einbezogen werden.


Authors
Yannik Angler, Detecon International GmbH
Olav Götz, Apollon Hochschule der Gesundheitswirtschaft
Patienten mit früher symptomatischer Alzheimer-Krankheit – Epidemiologie, diagnostische Verfahren und Inanspruchnahme von Gesundheitsressourcen in Deutschland
Sebastian Bölz

Einleitung / Introduction

Angesichts neu entwickelter, gegen Amyloid gerichteter Therapien bei früher symptomatischer Alzheimer-Krankheit (AK) ist die präzise und frühzeitige Diagnose von entscheidender Bedeutung. Die Prävalenz und Inzidenz der verschiedenen Stadien der AK (frühe symptomatische AK (AK mit leichter kognitiver Beeinträchtigung [LKB] und AK mit leichter Demenz) und AK im späteren Stadium (AK mit mittelschwerer/schwerer Demenz)) wurden auf der Grundlage administrativer Daten der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geschätzt. Diagnostik und Inanspruchnahme von Gesundheitsressourcen (HCRU) in Deutschland wurden auf Basis derselben Datenbank beschrieben.

Methode / Method

Diese retrospektive Beobachtungsanalyse basierte auf Abrechnungsdaten der deutschen GKV (2018–2021), die von der Gesundheitsforen Leipzig GmbH stammen und etwa 4 % der gesetzlich versicherten Population repräsentieren. Da eine Unterscheidung der AK-Stadien nicht allein anhand der ICD-10-Codes vorgenommen werden kann, wurde eine Kombination aus vordefinierten ICD-10-Codes, Verschreibungsmustern und Prozeduren verwendet, um die verschiedenen AK-Stadien zu identifizieren. Diagnostik und HCRU-Daten, die Krankenhauseinweisungen umfassen, wurden ebenfalls nach Krankheitsstadien beschrieben. Die Ergebnisse wurden auf die Population gesetzlich Versicherter in Deutschland extrapoliert.

Ergebnisse / Results

Im Jahr 2018 wurden 479.767 Patienten mit AK codiert, darunter 140.143 (29,2 %) Patienten, die vermutlich eine frühe symptomatische AK aufwiesen. Die Art der Diagnostik war bei den verschiedenen Stadien der AK ähnlich – vor der Diagnose wurden am häufigsten neurokognitive Untersuchungen durchgeführt (57,5–60,8 % der inzidenten Patienten) und Lumbalpunktionen wurden bei 2,9–4,3 % der inzidenten Patienten vorgenommen. Eine Positronen-Emissionstomographie wurde nur in einzelnen Fällen durchgeführt. Die Rate der Krankenhauseinweisungen war für Patienten mit früher symptomatischer AK nummerisch kleiner als für Patienten mit AK in einem späteren Stadium.

Zusammenfassung / Conclusion

Diese Studie verfolgte einen neuen Ansatz für die Identifizierung von Patienten in verschiedenen Stadien der AK mittels Verwendung deutscher GKV-Daten, indem ICD-10-Codes mit Verschreibungsmustern kombiniert wurden. Dieser Ansatz bietet eine Schätzung der Anzahl der Patienten in verschiedenen Stadien der AK. Eine frühzeitige und präzise Biomarker-basierte Diagnose ist entscheidend für eine geeignete Behandlung und eine Verlangsamung der Krankheitsprogression und die Vermeidung von Krankenhauseinweisungen.


Authors
Sebastian Bölz
Christoph Görgen
Jürgen Zschocke
Sascha Dichter
Nadine Lutz
Anna Seiffert
Real-World-Daten zu aktuellen Versorgungspfaden in der systemischen Psoriasis-Therapie und deren ökonomischen Implikationen
Mathias Flume, Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe
Rike Kraska, Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe
Kerstin Wintersohl, Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe

Einleitung / Introduction

Psoriasis ist eine weitverbreitete dermatologische Krankheit, die sich insbesondere in schwerwiegenden klinischen Symptomen und negativen Auswirkungen auf die Lebensqualität manifestiert. Eine kurative Behandlung ist nicht möglich, Ziel der Therapie ist eine Freiheit von Symptomen und eine langfristige Remission. Neben klassischen topischen Therapien steht inzwischen ein breites Spektrum von Systemtherapien, sowohl aus den Klassen der Biologika als auch der Small-Molecules zur Verfügung. Gleichzeitig hat die systemische Therapie der Psoriasis signifikante ökonomische Implikationen. Mit Hilfe der noch laufenden Studie sollen die tatsächlichen Versorgungspfade und bestehenden Kostenstrukturen im Bereich der Psoriasis-Therapie in Westfalen-Lippe (W-L) aufgezeigt und analysiert werden.

Methode / Method

Als Datengrundlage der konzipierten retrospektiven Längsschnittstudie dienen die pseudonymisierten Arzneimittelverordnungsdaten nach §300 SGB V, die pseudonymisierten ambulanten Versorgungsdaten gemäß §295 SGB V und die Stammdaten der Kassenärztlichen Vereinigung W-L der Jahre 2017 bis 2022. Es werden alle Patienten mit einer dermatologisch gesicherten Psoriasis-Diagnose in mind. zwei Quartalen eingeschlossen. Neben einer deskriptiven Auswertung der aktuellen Versorgungssituation erfolgt eine differenzierte Analyse der Patienten mit einer systemischen Therapie. Basierend auf einer Einteilung in unterschiedliche Arzneitherapien (MTX/Biologika/übrige Systemtherapie) wird neben der Therapiedauer und Kosten auch der Anteil an Patienten in Remission analysiert und die Therapien im Zeitverlauf gegenüber gestellt.

Ergebnisse / Results

Es konnten 186.854 Patienten in die Studie eingeschlossen werden, wobei 22,9% eine systemische Psoriasis-Therapie erhielten. Erste Ergebnisse zeigen, dass die gesamten Verordnungskosten der systemischen Psoriasis-Therapie in W-L von 2017 zu 2022 um 115% gestiegen sind, wobei eine Patientensteigerung von 42% vorliegt. Dabei ist der Anteil an Patienten mit einer Biologika-Therapie von 25,4% im Jahr 2017 auf 53,8% im Jahr 2022 gestiegen. Im Durchschnitt entstanden bei einem Biologika-Patienten Arzneimittelbruttokosten von 13.962€ bis 59.123€ (IQR) bei einer Therapiedauer von 4 bis 14 Quartalen (IQR). Weitere Ergebnisse werden folgen.

Zusammenfassung / Conclusion

Die ersten Ergebnisse weisen auf eine deutliche Änderung der Anwendung von systemischen Therapien bei Psoriasis-Patienten im Verlauf der letzten Jahre hin, die zu erheblichen ökonomischen Implikationen führen. Ein Verständnis der tatsächlichen Behandlungspfade aus Real-World-Versorgungsdaten kann dazu beitragen, medizinisch und ökonomisch sinnhafte Behandlungspfade und Sequenzen zu identifizieren. Insbesondere sind die tatsächliche Abfolge von Therapieentscheidungen und Dauer der Patienten auf einer Therapie von entscheidender Bedeutung.


Authors
Mathias Flume, Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe
Katja Kortendick, Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe
Kerstin Wintersohl, Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe
Rike Kraska, Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe
One Health ohne Ökonomie? Ein Überblick über die globale One-Health-Forschung
Lena Schmeyers, Universität Greifswald, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement

Einleitung / Introduction

Gesundheitssysteme stehen u. a. durch die Zunahme von Multiresistenzen, dem Anstieg der altersspezifischen Sterberate und gleichzeitig begrenzten Ressourcen weltweit vor Herausforderungen. Aufgrund der Klimakrise und der Globalisierung ist ein nachhaltiger Gesundheitsansatz unumgänglich. Ein vielversprechendes Konzept ist One Health. Es umfasst die sich beeinflussenden Gesundheitsbereiche Mensch, Tier und Umwelt. Aktuell mangelt es an einer Übersicht der bisherigen One-Health-Ansätze sowie deren ökonomischer Relevanz im globalen Vergleich. Mittels einer Weltkarte soll ein Überblick dieser im internationalen Kontext dargestellt werden.

Methode / Method

Für die systematische Literaturreche wurden in Pubmed englische und deutsche Artikel von 2018 bis 2023 eingeschlossen. Die Textart wurde nicht begrenzt. Als Suchterme im Titel und Abstract wurden "One health" AND (strategy OR strategies OR Strategie OR concept OR concepts OR Konzept OR Konzepte OR initiative OR initiatives OR Initiativen) verwendet. Die Abstracts der Artikel wurden nach Thema, Land, Jahr, Art der Veröffentlichung und ggf. Ausschlussgrund per Exceltabelle sortiert. Für die Kategorisierung wurde der jeweilige Schwerpunkt des Artikels festgelegt, hierzu wurden neben dem Abstract die Schlagworte des Artikels für eine Entscheidung miteinbezogen. Die Kategorie Land wurde nach Durchführungsort der Studie oder Literaturschwerpunkt der Reviews vergeben. Artikelkorrekturen und Dopplungen wurden einfach gezählt.

Ergebnisse / Results

Von 1.140 Treffern wurden 15 aufgrund von Dopplungen, nicht relevantem Thema oder der Artikelart Editorial ausgeschlossen. Auf der Basis von 1.125 eingeschlossenen Artikeln wurden 20 Kategorien gebildet. Die drei häufigsten Kategorien waren: Zoonosen (ca. 50 %), Antimikrobielle Resistenz (ca. 25 %), Konzeptentwicklung und politische Umsetzung (ca. 15 %). Kosten wurden lediglich in ca. 3 % der Studien untersucht. Der Großteil der Studien bezog sich auf weltweite Übersichten zu Teilbereichen von One Health. Im kontinentalen Vergleich wurden die meisten Studien in afrikanischen und asiatischen Ländern durchgeführt. Die wenigsten Studien wurden in Kanada und im Vereinigten Königreich erhoben. Publikationen zu One Health in Deutschland sind bisher ebenfalls eine Seltenheit.

Zusammenfassung / Conclusion

Die Literaturrecherche gibt einen ersten Hinweis auf einen bisherigen Forschungsschwerpunkt von weltweiten Übersichtsarbeiten zu One Health. Thematischer Fokus liegt hierbei auf Zoonosen in asiatischen und afrikanischen Ländern, wobei ökonomische Dimensionen kaum berücksichtigt werden. Forschung über One Health relevante Aspekte in Deutschland ist selten. Für eine Umsetzung der Erkenntnisse in der Politik wäre eine Ergänzung der One-Health-Forschung um die gesundheitsökonomische Dimension unabdingbar.


Authors
Lena Schmeyers, Universität Greifswald, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement
Susan Thomschke, Universität Greifswald, Institut für Geographie und Geologie, Lehrstuhl Wirtschafts- und Sozialgeographie
Daniel Schiller, Universität Greifswald, Institut für Geographie und Geologie, Lehrstuhl Wirtschafts- und Sozialgeographie
Steffen Fleßa, Universität Greifswald, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement
Zweimal 6 ist 20: Abgabepreise von Arzneimitteln als verzerrtes Maß für die Jahrestherapiekosten der Krankenversicherung
Dr. Aljoscha S. Neubauer, Institut für Gesundheits- und Pharmakoökonomie (IfGPh GmbH)

Einleitung / Introduction

Für die Vereinbarungen zu Arzneimittelpreisen stellen viele gesetzlich Regelungen, beispielsweise in §130b SGB V auf die Jahrestherapiekosten für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ab. Der Gemeinsame Bundesausschuss konkretisiert diese Kosten in der Regel in seinen Beschlüssen basierend auf der Apothekenverkaufspreisebene (AVP), d.h. unter Berücksichtigung von Zuschlägen und Mehrwertsteuer, sowie auch abzüglich gesetzlich vorgeschriebener Rabatte. In der Verhandlungspraxis von Arzneimitteln werden hingegen Abgabepreise der pharmazeutischen Unternehmer (APU) verhandelt. Es stellt sich daher die Frage, ob die Umrechnung immer unproblematisch ist, d.h. zu unverzerrten Ergebnissen führt.

Methode / Method

Basierend auf der derzeitigen Arzneimittelpreisverordnung für Fertigarzneimittel wurde ein Excel-Modell mit den festgelegten Zuschlägen sowie gesetzlichen Rabatten erstellt. Im Modell wurde der APU von 1 € bis 100.000 € variiert und dessen Zusammenhang mit AVP einerseits und den Kosten für die GKV andererseits rechnerisch und graphisch dargestellt. Als Sonderfall wurden die Kosten einer Kombination von 2 Arzneimitteln als zwei einzelne Packungen versus einer Fixdosiskombination betrachtet. Jahrestherapiekosten wurden exemplarisch für hypothetische 12 Packungen pro Jahr ermittelt. In einer Sensitivitätsanalyse wurde der Herstellerabschlag von 12% auf 7% variiert.

Ergebnisse / Results

Für die GKV-Kosten und den AVP bestehen jeweils lineare Beziehungen zum APU. Die Steigungen sind jedoch unterschiedlich und es bestehen unterschiedliche Sockelbeträge aufgrund bestehender Festzuschläge, beispielsweise für Großhandel und Apotheken. Bei angenommenen 12 Packungen ergibt sich hierdurch ein relevanter Sockelbetrag von Jahrestherapiekosten. Dieser „Kostensockel“ bedingt, dass im Sonderfall von zwei hypothetischen Präparaten mit niedrigen APUs von beispielsweise jeweils 6 €/Monat sich Jahrestherapiekosten von 388,56 € ergeben - ein Kombinationspräparat hingegen, das einen mehr als dreifachen APU von 20 €/Monat besitzt, verursacht ähnliche Jahrestherapiekosten von 386,40 €. Bei höheren APUs reduziert sich diese Verzerrung: für einen APU von 70 € besteht nur noch ein Unterschied von 10% - die Verzerrung spielt vor allem bei niedrigen APUs eine Rolle. Die Höhe des Herstellerabschlags ändert die Situation nicht grundsätzlich.

Zusammenfassung / Conclusion

Oft sind APU und Kosten für die GKV aufgrund der linearen Beziehung quasi austauschbar. Aufgrund von Festzuschlägen der Arzneimittelpreisverordnung ist der APU in Sondersituationen, etwa bei niedrigen APUs und Kombinationstherapien, ein verzerrtes Maß der Jahrestherapiekosten für die GKV. Dies sollte in diesen Fällen von allen involvierten Partnern geeignet berücksichtigt werden.


Authors
Dr. Aljoscha S. Neubauer, Institut für Gesundheits- und Pharmakoökonomie (IfGPh GmbH)
Dr. Christof Minartz, Institut für Gesundheitsökonomik (IfG), München
Die Identifikation von Off-Label-Use mittels ambulanter Versorgungsdaten – eine Sekundärdatenanalyse zu Ausmaß, Möglichkeiten und Grenzen
Pamela Wronski, IQWiG

Einleitung / Introduction

Bei bestimmten Erkrankungen werden Arzneimitteln eingesetzt, die für das jeweilige Anwendungsgebiet nicht zugelassen sind (Off-Label-Use [OLU]), um das Krankheitsleid zu mindern. Dies kann im Rahmen der frühen Nutzenbewertung gemäß §35aSGBV zu Schwierigkeiten bei der verpflichtend vorzunehmenden Abschätzung der für ein neu zugelassenes Arzneimittel oder Anwendungsgebiet infrage kommenden Patientenzahlen führen. Zu deren Bestimmung werden häufig Versorgungsdaten und darin enthaltene Angaben zu Arzneimittelverordnungen herangezogen. Ziel der geplanten Analyse ist es, bei ausgewählten Indikationsgebieten anhand von ambulanten Versorgungsdaten OLU zu operationalisieren, zu identifizieren und zu charakterisieren.

Methode / Method

Geplant sind querschnittliche und longitudinale Analysen anhand von pseudonymisierten Arzneimittelverordnungsdaten, pseudonymisierten ambulanten Versorgungsdaten und Stammdaten der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) für ausgewählte Anwendungsgebiete. Um OLU zu bestimmen, werden Abweichungen zwischen den Kriterien des zugelassenen Anwendungsgebietes eines Arzneimittels gemäß der Fachinformation und den Verordnungen anhand von Beispielindikationen identifiziert und quantifiziert. Hierzu stehen insbesondere Angaben zu ambulanten Diagnosen, dem Alter von Patientinnen und Patienten sowie zur Menge und dem Datum von Arzneimittelverordnungen zur Verfügung. Für weitergehende Analysen zu potenziellen Einflussfaktoren von Off-Label-Verordnungen sollen u. a. die Fachrichtung der verordnenden Ärztinnen und Ärzte sowie das individuelle Ausmaß vorliegender Komorbiditäten herangezogen werden.

Ergebnisse / Results

Nach einer ersten Einschätzung auf Basis der Daten der KVWL für 2022 kämen als beispielhafte Patientenpopulationen Kinder mit atopischer Dermatitis (N=57.834) und Patientinnen und Patienten mit Prurigo nodularis (N=1.243) infrage. Erwartet werden Erkenntnisse darüber, welche verordnungspflichtigen Arzneimittel innerhalb ausgewählter Indikationsgebieten Off-Label verordnet werden, wie häufig diese Verordnungen erfolgen und wie diese identifiziert werden können. Weitere Erkenntnisse werden zum zeitlichen Verlauf und zu möglichen Änderungen der Häufigkeit von OLU erwartet, insbesondere mit Blick auf Indikationsgebiete, in denen zugelassene Arzneimittel hinzugekommen sind. Ebenfalls betrachtet werden mögliche Unterschiede von OLU innerhalb relevanter Facharztgruppen und abhängig von der Komorbiditätslast der Patientinnen und Patienten.

Zusammenfassung / Conclusion

Die Analyse von OLU mit Versorgungsdaten ist grundsätzlich möglich und kann einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der tatsächlichen Versorgungssituation leisten. Welche Indikationsgebiete hierbei betrachtet werden können, wird begrenzt durch die verfügbaren Merkmale zum entsprechenden Indikationsgebiet.


Authors
Pamela Wronski, IQWiG
Tobias Effertz, IQWiG
Sarah Mostardt, IQWiG
Anja Schwalm, IQWiG
Rike Antje Kraska, KV Westfalen Lippe
Kerstin Wintersohl, KV Westfalen-Lippe
Matthias Flume, KV Westfalen-Lippe
Deutsche Krankenhäuser im Jahr 2032: Szenarien zur Auswirkung der digitalen Transformation
Philipp Köbe, Universität Witten/Herdecke

Einleitung / Introduction

Die digitale Transformation trägt zu weitreichenden Veränderungen im Gesundheitswesen bei. Die vorliegende Studie untersucht, welche Auswirkungen dies auf den Krankenhaussektor in Deutschland bis zum Jahr 2032 haben wird. Den Ausgangspunkt bilden die Digitalisierungstrends der stationären Versorgung, die sich in einer Veränderung der Versorgungsprozesse, dem Einsatz neuer Technologien oder einem veränderten Gesundheitsverhalten der Bevölkerung äußern.

Methode / Method

Mittels Experteninterviews (n=12) wurden Einflussbereiche ermittelt und Deskriptoren für die Szenarioanalyse abgeleitet. Die Deskriptoren wurden in einer Delphi-Befragung von Experten bewertet und relevante Trends und Wildcards auf ihre Auswirkungen auf den Digitalisierungsfortschritt abgefragt. Die erste Befragungsrunde umfasste 79 Teilnehmer, die zweite Runde 58 Teilnehmer. Die gewonnenen Daten wurden anschließend mithilfe eines Fuzzy-C-Means-Algorithmus zu Clustern zusammengefasst, auf deren Grundlage die Szenarien beschrieben werden konnten. Die Szenarien wurden in zwei Fokusgruppen (n=12) diskutiert, validiert und auf Konsistenz geprüft. Mithilfe des Tetralemma-Ansatzes wurden weitere mögliche Szenarien gesucht.

Ergebnisse / Results

Die Clusteranalyse ergab vier konsistente Szenarien. Szenario eins weist eine Stagnation in der analogen Welt auf. Szenario zwei umfasst einen schleppenden Fortschritt in der Digitalisierung mit wenig externen Impulsen. Szenario drei zeigt eine dynamische digitale Transformation mit neuen Kräften von außen. Szenario vier beschreibt eine patientenzentrierte digitale Versorgungsreise mit disruptiver Eigendynamik. Die ermittelten Trends und Wildcards wurden in die Entwicklung der Szenarien einbezogen. Die Arbeit vervollständigt einen institutionellen Rahmen, der bei der Entscheidungsfindung entlang der Aktionslinien der Szenarien Orientierung bietet.

Zusammenfassung / Conclusion

Die Studie bietet eine Beschreibung von vier Szenarien der Krankenhausversorgung für das Jahr 2032 in Deutschland. Es wird ein Handlungsrahmen dargelegt, wodurch die Szenarien gelenkt oder beeinflusst werden können. Für jedes Szenario werden die Auswirkungen und Handlungsempfehlungen veranschaulicht.


Authors
Philipp Köbe, Universität Witten/Herdecke
Sind die Änderungen des ALBVVG ausreichend zur Vermeidung von weiteren Lieferengpässen bei Kinderarzneimitteln
Dominik Mößner

Einleitung / Introduction

Im Winter 2022/23 kam es in Deutschland zu massiven Lieferengpässen bei Arzneimitteln mit speziellen Darreichungsformen für Kinder wie Säfte und Suppositorien für die Wirkstoffe Ibuprofen, verschiedene Antibiotika und Antiasthmatika. In den Medien wurde im Verlauf des letzten Winters daher häufig von „Arzneimittel-Tourismus“ berichtet. Eltern, die die nötigen Arzneimittel für ihre Kinder in Deutschland nicht bekommen konnten, fuhren in die Niederlande, um in den dortigen Apotheken einzukaufen. Als Grund für die Lieferengpässe in Deutschland wird häufig das niedrige Preisniveau aufgrund der rigiden Festbetragsregelungen genannt. Kinderarzneimittel, welche nicht nur aufwendiger zu produzieren, sondern auch wirtschaftlich weniger attraktiv sind, wurden in der Vergangenheit häufig in Festbetragsgruppen mit Arzneiformen für Erwachsene eingruppiert [Deutscher Bundestag, Drucksache 20/6871, S. 33]. Als Reaktion auf die Lieferengpässe wurden im ALBVVG spezielle Regelungen für Kinderarzneimittel getroffen. Wir untersuchen, ob die Maßnahmen geeignet und ausreichend sind, um die Versorgungssituation in Deutschland nachhaltig zu verbessern.

Methode / Method

Unsere Analyse geht von einem Nachfrageoligopol aus, bei dem wenige Nachfrager (Deutschland und die Niederlande), vielen Anbietern (pharmazeutische Unternehmer) des gleichen Produkts gegenüberstehen. Kommt es in diesem Marktgefüge zu einem Lieferengpass, entscheiden die Anbieter mit dem Ziel der Gewinnmaximierung, an welchen Nachfrager sie ihre begrenzte Ware liefern. Für eine ausgeglichene Liefermenge an beide Nachfrager nehmen wir an, dass die Nachfrager die gleiche Zahlungsbereitschaft aufweisen müssen. Für unsere Analyse vergleichen wir die Netto-Preise ausgewählter Arzneimittel der Dringlichkeitsliste für Kinderarzneimittel Winter 2023/24 des BfArM mit den jeweiligen Arzneimittelpreisen in den Niederlanden. Weiterhin berücksichtigen wir die möglichen Preisanpassungen gegeben durch das ALBVVG in Deutschland.

Ergebnisse / Results

Die Preise für die von uns untersuchten Kinderarzneimittel sind in Deutschland im Durchschnitt deutlich niedriger als in den Niederlanden. Auch durch die Neuregelungen des ALBVVG, bleiben die Preise in den meisten Fällen deutlich unter dem Niveau in den Niederlanden. Ein nachhaltiger Effekt des ALBVVG auf die Versorgungssituation in Deutschland erscheint daher unwahrscheinlich.

Zusammenfassung / Conclusion

Nach unserer Analyse gehen die Maßnahmen in Verbindung mit dem ALBVVG zwar in die richtige Richtung, sind sie aber nicht umfassend genug. Um die Versorgung mit Kinderarzneimitteln in Deutschland zu verbessern, müsste das Preisniveau noch deutlicher erhöht werden, um im Wettbewerb mit anderen europäischen Staaten Attraktiv für die Anbieter zu bleiben.


Authors
Dominik Mößner
Veränderung der Leistungsinanspruchnahme von Privatversicherten während der COVID-19-Pandemie
Julia Schaarschmidt, Wissenschaftliches Institut der PKV

Einleitung / Introduction

Die ärztliche Versorgung war in den Jahren 2020 und 2021 durch die COVID-19-Pandemie geprägt. Die Auswirkungen der Pandemie auf das vertragsärztliche Leistungsgeschehen wurden bereits diskutiert. Zum privatärztlichen ambulanten Leistungsgeschehen während der Pandemie hingegen liegen bisher keine Veröffentlichungen vor, womit etwa 10 Prozent der deutschen Bevölkerung unberücksichtigt bleiben. Die Leistungsinanspruchnahme der Privatversicherten soll in diesem Beitrag für die ersten beiden Pandemiejahre beleuchtet werden.

Methode / Method

Auf Basis von Abrechnungsdaten der privaten Krankenversicherungen wurde eine Sekundärdatenanalyse für die Jahre 2020 und 2021 durchgeführt. Um Veränderungen der ambulanten Leistungsinanspruchnahme zu identifizieren, wurden die Daten mit denen des Vorpandemiejahres 2019 verglichen. Die verwendeten Daten wurden dem Wissenschaftlichen Institut der privaten Krankenversicherung von zehn PKV-Unternehmen bereitgestellt. Gegenstand der Untersuchungen sind unter anderem die veränderte Inanspruchnahme in Abhängigkeit vom Pandemieverlauf, sowie die Entwicklung in verschiedenen Versorgungsbereichen und Altersklassen.

Ergebnisse / Results

Bei der Leistungsinanspruchnahme von Privatversicherten kam es insgesamt zu geringen Rückgängen in 2020 und 2021 im Vergleich zu 2019. Im Zuge der drei Pandemiewellen fielen diese Rückgänge stärker aus, während in den Zeiträumen mit niedrigeren Inzidenzen Nachholeffekte zu erkennen waren. Tiefergreifende Ergebnisse werden noch analysiert und sollen auf der 16. dggö Jahrestagung 2024 vorgestellt werden.


Authors
Julia Schaarschmidt, Wissenschaftliches Institut der PKV
Frank Wild, Wissenschaftliches Institut der PKV
Kosten eines niedrigschwelligen Hörscreening-Programms (HörGeist) für Menschen mit geistiger Behinderung in Deutschland
Katharina Schwarze, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen

Einleitung / Introduction

Menschen mit geistiger Behinderung sind vermehrt von Hörstörungen betroffen, die in vielen Fällen nicht diagnostiziert oder unzureichend behandelt werden. Die Implementierung eines niedrigschwelligen Hörscreening- und Diagnostikprogramms mit anschließender Therapieeinleitung bzw. -zuweisung sowie -monitoring in der Lebensumgebung von Menschen mit geistiger Behinderung (Kindergärten, Schulen, Werkstätten, Heime) erscheint daher sinnvoll. Ziel dieser Studie ist die Erhebung der mit dem Hörscreening-Programm verbundenen Kosten und die Identifizierung der wichtigsten Kostentreiber.

Methode / Method

Diese Studie ist Teil des HörGeist-Projekts, das ein Screening-Programm durchführt und evaluiert. 1050 Menschen mit geistiger Behinderung aller Altersgruppen wurden dabei in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld rekrutiert und erhielten ein Hörscreening und falls notwendig eine Referenzdiagnostik. Es wurde eine Kostenerhebung für das aufsuchende Screening durchgeführt. Diese Kosten umfassen Personal- und Reisekosten für die Intervention. Es wurden Ressourcenverbräuche für alle Schritte des Screening-Programms erhoben, einschließlich der Organisation und Durchführung des Screenings sowie der telemedizinischen Beratung während des Screenings und der Dokumentation der Ergebnisse und Behandlungsempfehlungen. Für die Datenerhebung wurden standardisierte Fragebögen verwendet. Mit diesen wurden die Zeitaufwände und Reisestrecken des Screening-Teams dokumentiert, welches das Screening-Programm an 1050 Personen über einen Zeitraum von 12 Monaten durchgeführt hat. Diese Zeitaufwände wurden anhand der Arbeitskosten der durchführenden Personen bewertet und mit den Sachkosten summiert, um so die durchschnittlichen Interventionskosten zu beziffern. Eine Sensitivitätsanalyse wurde durchgeführt, um die wichtigsten Kostenfaktoren zu ermitteln.

Ergebnisse / Results

Die Datenerhebung zu den Interventionskosten wurde im August 2023 beendet. Aktuell befinden wir uns in der Durchführung der Datenaufbereitung und -analyse. Daher werden die Ergebnisse zu den Kosten eines ambulanten Hörscreening-Programms auf der Konferenz zur Verfügung stehen.

Zusammenfassung / Conclusion

Das HörGeist-Projekt untersucht die Effektivität, die Nutzung und die Kosten eines Hörscreening-Programms bei Menschen mit geistiger Behinderung im unmittelbaren Lebensumfeld. Die Kostenstudie ermöglicht eine Abschätzung der Kosten eines solchen Screening-Programms und wird für ein gesundheitsökonomisches Modell verwendet. Die Modellierung eröffnet die Möglichkeit, die Kosten und den Nutzen eines Hörscreenings bei Menschen mit geistiger Behinderung abzuschätzen. Auf dieser Grundlage werden Vorschläge für die künftige Überführung in die Regelversorgung entwickelt.


Authors
Katharina Schwarze, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Anja Neumann, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Corinna Gietmann, Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster
Susanne Wasmuth, Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster
Lukas Prein, Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster
Philipp Mathmann, Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster
Oliver Kanaan, Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster
Sandra Diekmann, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH
Sarah Schlierenkamp, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH
Katrin Neumann, Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster