Vortragssitzung

Krankenhausentwicklung

Talks

Ambulantisierungspotenzial in deutschen Akutkrankenhäusern – Analyse deutschlandweiter Krankenhausabrechnungsdaten von 2017 bis 2021
Carolina Pioch, Technische Universität Berlin

Einleitung / Introduction

Die deutsche Krankenhausversorgung ist durch eine hohe Bettenkapazität und eine hohe Anzahl akutstationärer Behandlungen geprägt. Aufgrund von zunehmendem Personalmangel und unzureichender Investitionsfinanzierung wird vermehrt über eine Verlagerung bisher stationär erbrachter Leistungen in die ambulante Versorgung diskutiert. Ziel dieser Studie ist es, den Anteil potenziell ambulant erbringbarer Behandlungsfälle nach den Kriterien des Gutachtens des Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) deutschlandweit zu erfassen und mit dem Anteil gemäß der Kriterien des AOP-Kataloges 2023 zu vergleichen.

Methode / Method

Die Mikrodaten der fallpauschalenbezogenen Krankenhausstatistik, die vom Forschungsdatenzentrum des Statistischen Bundesamtes für die Jahre 2017 bis 2021 bereitgestellt wurden, wurden mittels kontrollierter Datenfernverarbeitung ausgewertet. Zur Identifikation potenziell ambulant erbringbarer Behandlungsfälle wurde das vom IGES entwickelte Kontextfaktorenmodell angewendet. Eine vergleichende Analyse erfolgte zwischen den potenziell ambulant erbringbaren Fällen gemäß dem IGES-Modell und denen gemäß dem AOP-Katalog 2023, in den im Rahmen der Neufassung Teile der vom IGES entwickelten Kontextprüfung integriert wurden.

Ergebnisse / Results

In den Jahren 2017 bis 2021 wurden insgesamt 81,3 Millionen vollstationäre Behandlungsfälle (ohne Entbindungen und Neugeborene) erbracht. Darunter wurden nach den Kriterien des IGES-Modells insgesamt 15,7 Millionen Fälle (19,3 %) und nach den Kriterien des AOP-Katalogs 2023 etwa 15,4 Millionen Fälle (19,0 %) als potenziell ambulant erbringbar identifiziert. Durchschnittlich 7,4 % aller Behandlungsfälle wurden durch beide Verfahren als ambulant erbringbar identifiziert, während 11,9 % bzw. 11,6 % jeweils nur auf der Grundlage des IGES-Modells bzw. des AOP-Kataloges identifiziert wurden. Während das ambulante Potenzial gemäß den Kriterien des AOP-Katalogs 2023 in den Jahren 2017 bis 2021 relativ konstant blieb, zeigte sich nach den Kriterien des IGES-Modells ein Rückgang des Anteils von 20,0 % im Jahr 2017 auf 17,7 % im Jahr 2021.

Zusammenfassung / Conclusion

Die Kontextprüfung des IGES-Modells wurde mit dem Ziel entwickelt, die Praxis der Fehlbelegungsprüfung zu vereinfachen. Obwohl beide Ansätze auf ein ähnlich hohes Ambulantisierungspotenzial hindeuten, ist die Schnittmenge der ambulant erbringbaren Behandlungsfälle, die durch beide Verfahren identifiziert werden, gering. Sowohl die Einschlusskriterien als auch die Ausschlusskriterien im Rahmen der Kontextprüfung weichen zwischen den beiden Verfahren voneinander ab. Es bleibt abzuwarten, inwiefern sich eine zukünftige Weiterentwicklung der AOP-Kataloges im Rahmen der schrittweisen Umsetzung des § 115b Abs. 1 SGB V den Empfehlungen des IGES-Gutachtens annähern wird.


Authors
Carolina Pioch, Technische Universität Berlin
Reinhard Busse, Technische Universität Berlin
Thomas Mansky
Ulrike Nimptsch, Technische Universität Berlin
Spitalplanung in der Schweiz: Impulse für die deutsche Krankenhausreform
Jonas Subelack, University of St.Gallen, School of Medicine, Chair of Health Care Management

Einleitung / Introduction

Die Bereitstellung qualitativ hochwertiger Gesundheitsversorgung mit adäquatem Zugang für die Bevölkerung bei gleichzeitiger Kontrolle der Gesundheitsausgaben ist international eine wesentliche Herausforderung für die Gesundheitspolitik. In Deutschland wird aktuell eine Krankenhausreform diskutiert, welche unter anderem den Planungsmechanismus, hin zu Leistungsgruppen (LG), grundlegend ändern soll. Da die Schweiz bereits in 2012 einen derartigen Mechanismus erfolgreich eingeführt hat, können hiervon einige Impulse abgeleitet werden.

Methode / Method

Methodisch wurden hierfür die Schweizer Krankenhausfälle der Akutsomatik aus dem Jahr 2018/2019 analysiert sowie die Kenndaten Akutsomatik und die Spitalliste des Kantons Zürich. Diese Fälle wurden algorithmisch (via ICD-/CHOP Codes) den einzelnen LG zugeordnet. Auch wurde die Leistungsdifferenzierung zwischen den Krankenhäusern im Kanton Zürich empirisch analysiert sowie die Verteilungsbetrachtung des Ressourceneinsatzes auf Spitalebene.

Ergebnisse / Results

Mit Einführung der Spitalplanung wurden allgemeine und leistungsspezifische Kriterien definiert, welche Spitäler, die eine bestimmte LG anbieten und abrechnen, erfüllen müssen. Die allgemeinen Kriterien richten sich an das jeweilige Spital und fordern z.B. die Nutzung eines CIRS-Systems. Die leistungsspezifischen Kriterien sind pro LG definiert und fordern z.B. ärztliche Verfügbarkeiten und Mindestfallzahlen. Die Zuordnung der Fälle in die LG zeigt, dass schweizweit 60% der Fälle spezifischen LG zugeordnet werden können und die restlichen 40% der LG Basispaket (BP) zugeordnet wird. Der Vergleich zwischen dem ländlichen Kanton Graubünden (49% BP) und dem urbanen Kanton Zürich (33% BP) zeigt eine Zentralisierung von komplexen und spezialisierteren Leistungen. Die Analyse der Leistungsaufträge und Fallzahlen im Kanton Zürich zeigt, dass die Anzahl der Leistungsaufträge mit zunehmender Komplexität sinkt und eine Spezialisierung der Spitäler zu erkennen ist. Die Betrachtung des Ressourceneinsatzes auf Spitalebene zeigt teilweise eine große Streuung (> 2 Case Mix Punkte) für basale und auch spezifische LG.

Zusammenfassung / Conclusion

Krankenhausplanung und -finanzierung sollten gemeinsam gedacht werden. In der Schweiz zahlen die Kantone 55% der Kosten eines jeden Krankenhausfalles, was zu einem hohen Interesse an bedarfsorientierten und wirtschaftlichen Krankenhausstrukturen führt. Auch sollte die Vereinbarkeit von LG und DRGs kritisch betrachtet werden, da innerhalb einer LG eine große Variation der Kostengewichte zwischen den Krankenhäusern zu beobachten ist. Wichtig ist auch, dass der Aufbau und die Entwicklung der LG vollständig auf Diagnose- und Prozedurencodes basiert. Bezüglich der Leistungsdifferenzierung sollte das NRW-Modell in Leistungsbereichen mit unzureichender Differenzierung um weitere LG erweitert werden.


Authors
Jonas Subelack, University of St.Gallen, School of Medicine, Chair of Health Care Management
David Kuklinski, University of St.Gallen, School of Medicine, Chair of Health Care Management
Justus Vogel, University of St.Gallen, School of Medicine, Chair of Health Care Management
Alexander Geissler, University of St.Gallen, School of Medicine, Chair of Health Care Management
Ethik im Beschaffungsmanagement: Rationierung als Folge ökonomischer Zwänge
Wilfried von Eiff, Centrum für Krankenhaus-Management (Uni Münster) und Center for Healthcare Management (HHL Leipzig)

Einleitung / Introduction

Aufgabe der Krankenhäuser ist es, für eine sichere, qualifizierte und patienten-zentrierte medizinische Versorgung zu sorgen. Das setzt auch den Einsatz sicherer Medizinprodukte voraus. Darüber hinaus zeigt die Diskussion um die „grüne Transformation“ von Wirtschaft und Gesellschaft, dass der Gesundheitssektor zu 4,4% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist. Krankenhäuser sind daher gefordert, wirksame Beiträge zur Begrenzung des CO2-Ausstoßes sowie zur Ressourcenschonung zu leisten. Im Gegensatz zu diesen Ansprüchen sind Management-Entscheidungen in Kliniken durch Investitionsstau, Budgetlücken und Kostendruck geprägt. Spielräume für die Finanzierung von Investitionen in sichere Medizintechnik oder Nachhaltigkeitsprojekte lassen sich auch Angesichts der Tatsache, dass 60% der Krankenhäuser „rote Zahlen“ schreiben und 20% insolvenzgefährdet sind, nur begrenzt erkennen. Vor diesem Hintergrund kommt es im Medizinbetrieb zu verdeckter Rationierung, also zu einem Vorenthalten einer für den Patienten fallangemessenen Versorgung aus Kostengründen.

Methode / Method

Mit dem Ziel, das Entscheidungsverhalten von Einkäufern bei der Auswahl von qualitätskritischen und nachhaltigen Medizinprodukten festzustellen sowie zu analysieren, inwieweit Kostendruck und limitierte Finanzmittel in den Krankenhäusern Beschaffungsentscheidungen begünstigen, die im Medizinbetrieb ethisch bedenkliche Rationierungseffekte bewirken, wurde eine Studie durchgeführt. Auf Basis eines strukturierten Fragebogens sowie ergänzenden Interviews wurden 775 Krankenhaus-Manager und 148 Entscheider aus Medizinindustrie, Medizinhandel und Dienstleistung in die Studie eingeschlossen. Darüber hinaus wurden Kosten-Nutzen-Analysen ausgewählter Medizinprodukte unter dem Gesichtspunkt „Patientenrisiken“ durchgeführt.

Ergebnisse / Results

>Die Studie zeigt, dass Preis, Anschaffungskosten und Finanzkonditionen mit 35% Gewichtung das dominante Entscheidungskalkül von Krankenhaus-Managern im Einkaufsprozess bilden. >Effekte, die von einem Medizinprodukt im Hinblick auf Patienten-Outcome und Patientensicherheit nehmen nur mit einer 10%-Gewichtung Einfluss auf die Auswahlentscheidung. >Das Kriterium „Nachhaltigkeit“ geht sogar nur mit 3% Gewichtung in das Entscheidungskalkül ein.

Zusammenfassung / Conclusion

Investitionsstau, Kostendruck und Budgetrestriktionen sind die Ursache für Beschaffungsentscheidungen, die ethisch bedenkliche Rationierung bewirken. Der Vortrag stellt zur Diskussion, wie Ethik und Ökonomie im Medizinbetrieb zusammenwirken und welche besondere Rolle das Beschaffungsmanagement spielt. An konkreten Beispielen wird demonstriert, wie dominant betriebswirtschaftlich motivierte Einkaufsentscheidungen ethisch bedenkliche Rationierungseffekte im Medizinbetrieb auslösen.


Authors
Wilfried von Eiff, Centrum für Krankenhaus-Management (Uni Münster) und Center for Healthcare Management (HHL Leipzig)