Vortragssitzung

Krankheitskosten und RSA

Talks

Umgang mit Hochkostenfällen im deutschen Morbi-RSA
Christian Schindler, WIG2 GmbH

Einleitung / Introduction

Die Gesundheitsausgaben sind nicht-negativ und rechtsschief, wobei die obersten 10 % und noch mehr die obersten 1 % der Ausgabenträger einen unverhältnismäßig hohen Anteil an den Gesamtausgaben haben. Solange diese hohen Kostenrisiken zufällig auftreten, würden sie sich nur auf die finanzielle Unsicherheit für die Krankenversicherer auswirken und keine selektionsbedingten Anreize setzen. Leider zeigt sich, dass sehr hohe Kosten bei Versicherten zumeist über die Jahre persistent sind und selbst die komplexesten Modelle zu überdeckten Versicherten mit anhaltend niedrigen Ausgaben und unterdeckten Versicherten mit anhaltend hohen Ausgaben neigen. Dies kann zu Selektionsanreizen bzgl. dieses Versichertenklientel führen und die Frage ist, wie man mit diesen Versicherten umgehen will.

Methode / Method

Aus der internationalen Literatur wurden in Frage kommende Modelle ausgewählt und auf die aktuellen Bedingungen angepasst. Es wurden zwei verschiedene Modelltypen konstruiert, welche sich auf einen Ausgleich von Unterdeckungen nach dem RSA statt eines Ausgleichs von Hochkosten vor dem RSA richten. Zum einen wurden Modelle mit Hochkostengruppen (High-Cost-Groups - HCG) gebildet. Diese gruppieren die Versicherten anhand ihrer Unterdeckung und fügen dem Morbi-RSA dann weitere Dummy-Variablen hinzu. Andererseits wurden alternative Varianten von Risikopoolmodelle (High Cost Pool - HCP) simuliert, bei denen Zuschüsse für Versicherte mit einer hohen Finanzierungslücke (Unterdeckung) getrennt vom Risikoausgleichsmechanismus aus einem gesonderten Pool gezahlt werden. Eine Refinanzierung des Poolvolumens kann dabei durch eine pauschale Absenkung der Zuweisungen für alle Versicherte oder durch die Reduktion von Überdeckungen erfolgen. Um eine Vergleichbarkeit zum Status quo herzustellen, wurde eine repräsentative Stichprobe für die deutsche GKV erstellt, anhand derer verschiedene Modellvarianten simuliert werden sollen. Zur Beurteilung der Modelle wird das Bestimmtheitsmaß (R²), Cumming's Predictive Measure (CPM) und der mittlere absolute Vorhersagefehler (MAPE) verwendet. Um die Genauigkeit der Zuweisungen zu bewerten, werden die Deckungsquoten verschiedener Risikogruppen herangezogen.

Ergebnisse / Results

Bisherige Auswertungen zeigten, dass die Modelle mit der unerwünschten Tatsache hoher Finanzierungslücken umgehen können. Dies gilt es nun auch unter einem Krankheitsvollmodell für Deutschland zu überprüfen.

Zusammenfassung / Conclusion

Es kann kontrovers diskutiert werden, ob Fälle mit hohen Kosten subventioniert werden sollten, da die Krankenversicherer möglicherweise nicht in der Lage sind, eine Risikoselektion gegen sie durchzuführen. Da diese Fälle jedoch ungleichmäßig auf die Krankenversicherer verteilt sein können, erhöht ein Modell mit Berücksichtigung der Hochkostenfälle auf alle Fälle die Fairness zwischen den Versicherern.


Authors
Christian Schindler, WIG2 GmbH
Benjamin Berndt, WIG2 GmbH
Ines Weinhold, WIG2 GmbH
Kosten und Prävalenz von Versicherten mit Langzeitverordnungen opioider Analgetika bei chronischen nicht-tumor bedingten Schmerzen aus GKV-Perspektive
Anja Niemann, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement

Einleitung / Introduction

In Anbetracht einer der weltweit höchsten Pro-Kopf-Verbräuche opioider Analgetika (OA) in Deutschland soll im Op-US-Projekt die Versorgungssituation in Deutschland bei Langzeiteinnahme aufgrund chronischer nicht-tumorbedingten Schmerzen (CNTS) analysiert werden. Prävalenz und Kosten sind aus GKV-Perspektive bisher nur unzureichend untersucht. Ziel dieser Analyse war es die Kosten, die von Versicherten mit langfristiger Einnahme von OA bei CNTS entstehen, aus GKV-Perspektive zu erheben. Zusätzlich sollten Einflussfaktoren auf die Kosten identifiziert, und für die gesamte GKV-Bevölkerung standardisierte Prävalenz- und Kostenwerte berechnet werden.

Methode / Method

Die Kostenanalyse basierte auf Routinedaten der DAK-Gesundheit (01/2018-03/2021). Eingeschlossen wurden alle Versicherten >17 Jahre, die in mindestens zwei aufeinanderfolgenden Quartalen wenigstens eine OA-Verschreibung und keine Hinweise auf Krebs oder palliative Versorgung aufwiesen. Alle Personen wurden nach Einschluss zwei Jahre nachbeobachtet. Es wurden die gesamten Kosten der Versicherung in den Bereichen der ambulanten und stationären Versorgung, der Arzneimittel, der Heil- und Hilfsmittel, der Rehabilitation und des Krankengelds berücksichtigt. Da sich die Beobachtungsdauer durch Versterben verkürzen konnte, wurden durchschnittliche Tageskosten ermittelt. Durch Subgruppenanalysen und logistische Regression wurden Einflussfaktoren auf die Kosten identifiziert. Zudem wurden eine Alters- und Geschlechtsstandardisierung der Prävalenz der eingeschlossenen Personen und der Kosten für die GKV-Bevölkerung durchgeführt.

Ergebnisse / Results

Die eingeschlossene Kohorte umfasste 113.475 Personen, mit einem Altersdurchschnitt von 72 Jahren (SD 14,4), 75% waren weiblich. 2,3% der erwachsenen Versicherten (2,8% der Frauen, 1,5% der Männer) der DAK Gesundheit erfüllten die Einschlusskriterien der Kohorte, wobei sich bei beiden Geschlechtern, jedoch insbesondere bei Frauen, ein starker Anstieg im Alter (10,5% der >89-jährigen Frauen) zeigte. Die durchschnittlichen Tageskosten lagen bei 29,72€, wobei 43% auf stationäre Versorgung, 29% auf Arzneimittel und 13% auf ambulante Versorgung zurückzuführen waren. Der Tod, die stationäre interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie und die Durchführung einer ambulanten multimodalen Therapie mit Elementen wie Physiotherapie oder Psychotherapie, scheinen die Kosten zu beeinflussen. Die Alters- und Geschlechtsstandardisierung wird derzeit durchgeführt.

Zusammenfassung / Conclusion

Die vorliegende Analyse leistet einen Beitrag zur Prävalenzabschätzung von Langzeit-OA-Nutzern bei CNTS in der deutschen GKV-Bevölkerung. Darüber hinaus werden die Kosten dieser Versicherten dargestellt und wichtige Einflussfaktoren identifiziert, sodass vergleichende Analysen mit der gesamten GKV-Gemeinschaft möglich sind.


Authors
Anja Niemann, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement
Nils Schrader, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement
Christian Speckemeier, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement
Carina Abels, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement
Nikola Blase, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement
Milena Weitzel, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement
Cordula Riederer, DAK-Gesundheit, Hamburg
Joachim Nadstawek, Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland – BVSD e.V.
Wolfgang Straßmeir, Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland – BVSD e.V.
Jürgen Wasem, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement
Silke Neusser, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement
Krankheitskosten und ökonomische Evaluation von Interventionen für Kinder und Jugendliche mit chronischen Schmerzen: eine systematische Übersichtsarbeit
Anne Kitschen

Einleitung / Introduction

Chronische Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen (CPCA) sind weit verbreitet und die Prävalenz steigt. Die Erkrankung kann nicht nur zu beeinträchtigten sozialen Beziehungen, erhöhtem familiären Stress und einer reduzierten gesundheitsbezogenen Lebensqualität führen, sondern auch zu vermehrten Schulfehltagen und einem erhöhten Arbeitsausfall der Eltern. Entsprechend können CPCA eine erhebliche wirtschaftliche Belastung für Patient:innen, Kostenträger im Gesundheitswesen und die Gesellschaft darstellen. Das Ziel dieser systematischen Übersichtsarbeit ist die Zusammenfassung der (1) Ergebnisse bestehender Krankheitskostenstudien (COIs) für CPCA und (2) Evidenz ökonomischer Evaluationen (EEs) von Interventionen für CPCA.

Methode / Method

Die systematische Literatursuche wurde in MEDLINE, PsycINFO und NHS EED bis Februar 2023 durchgeführt. Titel, Abstracts und Volltexte wurden von zwei Forschenden unabhängig voneinander gesichtet. Eingeschlossen wurden Originalartikel, die über durchschnittliche Kosten im Zusammenhang mit CPCA berichten und in englischer oder deutscher Sprache veröffentlicht wurden. Studienmerkmale, Kostenkomponenten und Kosten wurden extrahiert. Die Qualität der EEs wurde mithilfe der 10-Punkte Drummond-Checkliste bewertet. Für die COIs wurden die Bewertungskriterien von Stuhldreher zugrunde gelegt. Alle Kosten wurden für das Jahr 2020 inflations- und kaufkraftbereinigt und in internationalen in US-Dollar (PPP-USD) angegeben.

Ergebnisse / Results

Fünfzehn COIs und 10 EEs wurden eingeschlossen. Die eingeschlossenen Studien erfüllten im Durchschnitt 81,6% (COIs) und 63,4% (EEs) der Qualitätskriterien. Die durchschnittlichen direkten Kosten von CPCA reichten von PPP-USD 603 bis PPP-USD 16.271 pro Jahr, wobei der größte Anteil der Kosten (42,8% bis 57,6%) auf die ambulante Gesundheitsversorgung zurückgeführt werden konnte. Die durchschnittlichen indirekten Kosten reichten von PPP-USD 92 bis PPP-USD 12.721 pro Jahr. Alle EEs berichteten von einer Kostenreduktion durch die jeweilige Intervention von PPP-USD 332 bis PPP-USD 68.123.

Zusammenfassung / Conclusion

Es kann zusammengefasst werden, dass CPCA mit hohen Gesamtkosten verbunden sind, die durch geeignete Intervention gesenkt werden können. Aus gesundheitsökonomischer Sicht sollte der Fokus vor allem auf der Implementation präventiver Maßnahmen, der Früherkennung mithilfe geeigneter Screening-Instrumente und einer an die Diagnose anschließenden geeigneten Behandlung liegen. Die Heterogenität der Studien im Hinblick auf die methodischen Vorgehensweisen war hoch. Dies betrifft insbesondere die berücksichtigten Kostenkomponenten, was den Bedarf an einer standardisierten Methodik für zukünftige ökonomische Evaluationen für diesen Bereich verdeutlicht.


Authors
Anne Kitschen, Lehrstuhl für Institutionenökonomik und Gesundheitspolitik, Department für Philosophie, Politik und Ökonomik, Universität Witten/Herdecke, Witten
Diana Wahidie, Lehrstuhl für Versorgungsforschung, Department für Humanmedizin, Universität Witten/Herdecke, Witten
Dorothee Meyer, PedScience Vestische Forschungs-gGmbH, Datteln
Lisa-Marie Rau, Deutsches Kinderschmerzzentrum, Vestische Kinder- und Jugendklinik, Datteln, Deutschland
Ann-Kristin Ruhe, Deutsches Kinderschmerzzentrum, Vestische Kinder- und Jugendklinik, Datteln
Julia Wager, PedScience Vestische Forschungs-gGmbH, Datteln
Boris Zernikow, PedScience Vestische Forschungs-gGmbH, Datteln
Dirk Sauerland, Lehrstuhl für Institutionenökonomik und Gesundheitspolitik, Department für Philosophie, Politik und Ökonomik, Universität Witten/Herdecke, Witten
Krankheitskosten eines hohen Schlaganfall- und Blutungsrisikos bei Patient:innen mit Vorhofflimmern
Franziska Claus, Wissenschaftliches Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung (WIG2), Leipzig, Deutschland
Eric Faß, Wissenschaftliches Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung (WIG2), Leipzig, Deutschland

Einleitung / Introduction

Vorhofflimmern (VHF) ist eine der häufigsten Herzrhythmusstörungen und betrifft jeden vierten Erwachsenen mittleren Alters im Laufe seines Lebens. VHF-Patient:innen weisen ein etwa 5-fach erhöhtes Schlaganfallrisiko auf und 15 % bis 25 % aller Schlaganfälle sind auf VHF zurückzuführen. Im Rahmen von EvaClosure, einer Substudie der multizentrischen klinischen Studie CLOSURE-AF-DZHK16, wird eine gesundheitsökonomische Evaluation des perkutanen, katheterbasierten Verschlusses des linken Vorhofohrs bei VHF-Patient:innen mit hohem Schlaganfall- und Blutungsrisiko durchgeführt. Ein Teilaspekt dieser Substudie ist die Ermittlung der Krankheitskosten eines hohen Schlaganfall- und Blutungsrisikos bei VHF-Patient:innen.

Methode / Method

Die Analysen erfolgen im Rahmen einer retrospektiven kontrollierten Kohortenstudie unter Nutzung von GKV-Routinedaten einer großen deutschen Krankenkasse. Es wurden 54.911 Versicherte eingeschlossen, die von 2015–2021 durchgängig versichert waren und im Baselinejahr 2015 die Diagnose Vorhofflimmern, aber kein hohes Schlaganfall- (CHA2DS2VASc-Score ≥ 2) und Blutungsrisiko (HAS-BLED-Score ≥ 3) aufwiesen. Dieses hohe Risiko konnte ausschließlich in den Jahren 2016-2019 entwickelt werden. Von den 54.911 Versicherten entwickelten in dieser Zeit 21.587 (39 %) ein hohes Risiko. Zielgröße der Untersuchung sind die aus GKV-Perspektive entstehenden direkten Kosten der ambulanten, stationären und Arzneimittelversorgung. Mittels Hierarchical Entropy Balancing werden strukturelle Unterschiede zwischen den Gruppen zur Baseline adressiert. Zur Berücksichtigung potenzieller gruppenspezifischer Unterschiede aufgrund von unbeobachteter Heterogenität werden die Kostenunterschiede im Rahmen eines Two-Stage Difference-in-Differences Modells analysiert.

Ergebnisse / Results

Zur Baseline zeigte sich aufgrund des statistischen Balancings kein Unterschied in den Kosten zwischen beiden Gruppen (jeweils durchschnittliche Kosten in Höhe von 6.128 €). Unter Anwendung des Two-Stage Difference-in-Differences Modells konnte aufgezeigt werden, dass die Hochrisikogruppe signifikant höhere durchschnittliche Kosten (DiD-Schätzer = 1.400 €; Standardfehler = 89,2) verursacht als die Gruppe der VHF-Patient:innen ohne hohes Risiko.

Zusammenfassung / Conclusion

VHF-Patient:innen mit hohem Schlaganfall- und Blutungsrisiko weisen signifikant höhere direkte Kosten auf als VHF-Patient:innen ohne dieses hohe Risiko. Ergänzend zu den vorliegenden Ergebnissen werden aktuell die indirekten Kosten aufbereitet, sodass zum Zeitpunkt der Konferenz die aus gesellschaftlicher Perspektive relevanten Kostenarten vorliegen werden. Zugleich erfolgt weiterführend eine differenzierte Betrachtung gruppenspezifischer Unterschiede in der Leistungsinanspruchnahme.


Authors
Eric Faß, Wissenschaftliches Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung (WIG2), Leipzig, Deutschland
Marco Müller, Wissenschaftliches Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung (WIG2), Leipzig, Deutschland
Franziska Claus, Wissenschaftliches Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung (WIG2), Leipzig, Deutschland
Ines Weinhold, Wissenschaftliches Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung (WIG2), Leipzig, Deutschland