Organisierte Sitzung

Reform von Versorgungs- und Vergütungsstrukturen

In dieser organisierten Session des Ausschusses Versorgung und Vergütung sollen Reformen von Versorgungs- und Vergütungsstrukturen im Fokus stehen. Beide können letztlich nur dann sinnvoll erfolgen, wenn sie zusammen gedacht und ausgearbeitet werden. Dem Anspruch des Ausschusses entsprechend, eine Brücke zwischen Forschung, Politik und Praxis zu schlagen, werden die im Folgenden präsentierten, wissenschaftlich untersuchten Themen zunächst in den aktuellen gesundheitspolitischen Kontext eingeordnet. Im zweiten Beitrag werden die ambulanten Strukturen ausgeleuchtet, insbesondere im Hinblick auf die Rolle, die Gesundheitskonferenzen und Landkreise bei erfolgreichen Veränderungsprozessen spielen können. Eine Übertragung internationaler Erfahrungen auf deutsche Reformansätze versucht der dritte Beitrag, der sich mit prospektiven regionalen Gesundheitsbudgets beschäftigt. Mögliche Verzerrungen durch politische Interessen bei eigentlich sachbezogenen Entscheidungen wie der Finanzierung von Krankenhausinvestitionen analysiert abschließend der vierte Beitrag.

Vorträge

Gesundheitspolitische Einordnung der wissenschaftlichen Beiträge
Michael Slowik, AOK-Bundesverband

Einleitung

Auch wenn in den letzten Zügen der aktuellen Legislaturperiode keine großen Durchbrüche mehr zu erwarten sind, ist nach wie vor vieles in Bewegung. Studien und Gutachten beschäftigen sich beispielsweise mit Fragen der Verlagerung von Leistungen in den ambulanten Sektor und tangieren dabei natürlich auch Fragen der Vergütung. Die Ergebnisse werden sicherlich Gegenstand der nächsten Koalitionsverhandlungen sein. Diese werden sich jedoch auch mit den sich dramatisch ändernden Rahmenbedingungen für Reformen auseinandersetzen müssen. Nach vielen Jahren üppig gefüllter Kassen haben sich die Aussichten im Laufe des letzten Jahres gravierend und schneller als gedacht erheblich verschlechtert. Dies wird sich nicht nur auf die Finanzierung von Betriebs- wie Investitionskosten im Krankenhaussektor auswirken; auch im ambulanten Sektor wie für innovative, qualitätsfördernde aber nicht unbedingt kostensparende Versorgungsansätze wird dies die Prämissen verändern. Die folgenden Beiträge adressieren vor diesem Hintergrund wichtige Fragestellungen.

Ambulante Strukturen im Wandel
Heidrun Sturm, Universitätsklinikum Tübingen

Einleitung

Um die ambulante (Primär-)versorgung angesichts des demographischen Wandels weiterhin nachhaltig gewährleisten zu können, braucht es neue Ideen und umgesetzte neue Strukturen. Einerseits ist die nachfolgende Ärztegeneration nicht mehr willens als Einzelkämpfer rund um die Uhr ein einer Praxis zu arbeiten, sie fordern Teamwork, interprofessionelle Versorgung, flexible Arbeitszeiten, weniger wirtschaftliche Verantwortung etc. Auf der anderen Seite finden aktuell viele der älteren Ärzte keine Nachfolger für ihre Praxen, auch weil sie oft eine überkommene Struktur anbieten. In manchen Landkreisen sind bereits knapp die Hälfte der Hausärzte über 60 Jahre alt, d.h. der Handlungsbedarf ist dringend. Neben den konkreten Ansätzen wie fachübergreifende Primärversorgungszentren, Integration von zusätzlichen Koordinatoren / Lotsen, Task-Shifting z.B. von Ärzten zur Pflege ist eine zentrale Frage, wie man die Veränderung anstoßen kann. Der Vortrag beschreibt Erfahrungen aus Gesundheitskonferenzen und Landkreisen, die eine wichtige Unterstützung im Veränderungsprozess sein können.

Prospektive regionale Gesundheitsbudgets – Erfahrungen aus dem Ausland und Implikationen für Deutschland
Daniel Negele, Universität Bayreuth

Einleitung

Die derzeitigen Herausforderungen des deutschen Gesundheitssystems sind vielschichtig. Sie reichen von wegbrechenden Versorgungsstrukturen in ländlichen Regionen über einen Fachkräftemangel bei Ärzten und Pflegekräften bis hin zu Fehlsteuerungen durch die Anreize der etablierten sektoralen Vergütungssysteme. Eine Option, diese Probleme zu adressieren und dabei den Weg für innovative Versorgungsstrukturen und ein dazu passendes Vergütungssystem zu bereiten, könnten prospektive regionale Gesundheitsbudgets darstellen. Diese besitzen bei richtiger Ausgestaltung einen sektorenübergreifenden Charakter und setzen Anreize für eine effiziente, innovative sowie qualitativ hochwertige Versorgung. Ziel der Studie ist es, basierend auf einer Analyse von Erfahrungen in vier Ländern (Spanien, Peru, USA und Schweiz) mit Formen der Capitation Implikationen herauszuarbeiten, die für eine mögliche Umsetzung von prospektiven regionalen Gesundheitsbudgets in Deutschland hilfreich sein könnten. Die Analyse stützt sich neben einer Auswertung der Literatur auf umfangreiche Experteninterviews. Es zeigt sich, dass eine zügige vollständige Umstellung auf ein umfassendes Regionalbudget Vorteile mit sich bringt. Jedoch stellt eine derartige vollständige Umstellung im deutschen Gesundheitssystem eine komplexe und schwer umsetzbare Intervention dar. Einen Mittelweg könnten Implementierungsansätze bilden, die zunächst in Pilotregionen schrittweise eingeführt werden.

Politische Einflüsse bei der Krankenhausfinanzierung
Adam Pilny, RWI Essen

Einleitung

Die jährlichen Investitionsmittel für deutsche Krankenhäuser stehen nahezu vollständig im Ermessen der Bundesländer – ein Einfallstor für politische Einflüsse und Verzerrungen. Wir untersuchen, ob die ideologische Ausrichtung von Landesregierungen die Allokation von Krankenhausinvestitionen an die unterschiedlichen Trägertypen beeinflusst. Wir führen selbst zusammengetragene historische Daten über den deutschen Krankenhausmarkt für die Jahre 1955 bis 2018 mit politökonomischen, fiskalischen und soziodemografischen Variablen auf der Ebene der deutschen Länder zusammen. Wir schätzen Regression Discontinuity Design (RDD)-Modelle und nutzen knappe Wahlergebnisse, bei denen nur wenige Stimmen über die jeweiligen Landtagsmehrheiten entschieden haben. Erste Ergebnisse zeigen, dass unter linken Regierungsmehrheiten die Investitionsmittel an private Krankenhäuser zurückgehen. Wir untersuchen auch den Einfluss von Wahljahren, der ökonomischen Bildung des Gesundheitsministers und Dezentralisierung.