Vortragssitzung

Arzneimittel: Bepreisung, Zugang, Nebenwirkungen

Vorträge

Vergleich der prädiktiven Validität von Instrumenten zur Bestimmung potenziell inadäquater Medikation bei Älteren hinsichtlich des Auftretens unerwünschter Arzneimittelwirkungen und medizinischer Versorgungskosten
Dirk Heider, Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Hamburg (UKE)

Einleitung / Introduction

Ziel des Projektes war der Vergleich der prädiktiven Validität von Instrumenten zur Erfassung von potenziell inadäquater Medikation (PIM) bei älteren Patienten hinsichtlich des Auftretens unerwünschter fataler und nicht-fataler Arzneimittelwirkungen (UAW) sowie der Inanspruchnahme und Kosten von Gesundheitsleistungen. Verglichen wurden die wirkstoffbasierte PRISCUS-Liste und die wirkstoff- und kontextbezogene STOPP- und FORTA-Liste.

Methode / Method

Retrospektive Kohortenstudie basierend auf deutschen Krankenkassendaten der Kalenderjahre 2013-2015 von Versicherten ≥65 Lebensjahre. Gemäß der Kriterien der drei Instrumente mit inzidenten bzw. prävalenten PIMs exponierte Studiengruppen (EG) wurden in getrennten Analysen jeweils mit Kontrollgruppen (KG) verglichen. Hierzu wurden jeweils 4 Abrechnungsquartale der Versicherten 12-monatigen Prä- und Post-Phasen zugeordnet und dafür die Daten entsprechend aufbereitet. Die prädiktive Validität wurde anhand der Größe des Unterschieds zwischen EG und KG in der Wahrscheinlichkeit des Auftretens von UAW sowie in der Höhe der Kosten von Gesundheitsleistungen gemessen (Diskriminationsfähigkeit). Dazu wurden logistische und lineare Diff-in-Diff Random-Effects-Regressionsmodelle verwendet. Darauf basierende grafische Analysen dienten zur Visualisierung der Unterschiede zwischen den Studiengruppen im Zeitverlauf. Durch Balancierung der Baselinedaten mittels Entropy Balancing wurde der Selektions-Bias reduziert.

Ergebnisse / Results

Die analysierten Stichproben umfassten 3.235.804 Versicherte (EG=690.543; KG=2.545.261) im Falle der inzidenten bzw. 5.290.656 Versicherte im Falle der prävalenten PIMs (EG=2.745.350; KG=2.545.306). Bei Anwendung der STOPP-Kriterien war in der EG die Wahrscheinlichkeit für eine UAW gegenüber der KG im ersten Quartal der Post-Phase um 0,07 erhöht, während die Erhöhung bei Anwendung von PRISCUS oder FORTA bei 0,05 bzw. 0,04 lag. Die entsprechenden Unterschiede fielen bei Betrachtung prävalenter PIMs geringer aus (PRISCUS: 0,02 STOPP: 0,02 FORTA: 0,02). Die PRISCUS-Liste verfügt hingegen über die größte Diskriminationsfähigkeit hinsichtlich der Mortalität. Bezüglich der durchschnittlichen gesamten Versorgungskosten liegt der gemessene Unterschied zwischen EG u. KG in der Stichprobe mit den inzidenten PIMs im ersten Quartal der Post-Phase bei PRISCUS mit 1398 € um 1 € geringfügig höher als bei STOPP mit 1397 € und fällt im Falle von FORTA mit 1013 € deutlich niedriger aus. Bei den prävalenten PIMs ist die Differenz der Gesamtkosten zwischen EG und KG im ersten Quartal der Post-Phase im Falle von PRISCUS um 10 € niedriger als bei STOPP (464 € vs. 474 €).

Zusammenfassung / Conclusion

Mit leichten Vorteilen für die STOPP-Liste ist die Diskriminationsfähigkeit der PRISCUS- und STOPP-Liste ähnlich. Die FORTA-Liste verfügt über die geringste Diskriminationsfähigkeit. Generell treten die gemessenen Unterschiede zwischen EG und KG deutlicher bei der Betrachtung der inzidenten als der prävalenten PIMs zutage. Ein zukünftiger Einsatz von STOPP- oder PRISCUS-Liste in einem RCT-Design, bei dem deren Diskriminationsfähigkeit auch im Hinblick auf weitere Variablen wie etwa die gesundheitsbezogene Lebensqualität analysiert werden könnte, wäre wünschenswert.


AutorInnen
Herbert Matschinger, Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Hamburg (UKE)
Andreas Meid, Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie, Universitätsklinikum Heidelberg
Patrik Dröge, Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO)
Andreas Klöss, Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO)
Walter E. Haefeli, Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie, Universitätsklinikum Heidelberg
Hans-Helmut König, Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Hamburg (UKE)
Umsetzung der Vorgaben zu Analyse und Ergebnisdarstellung von unerwünschten Ereignissen (UE) gemäß der neuen Dossiervorlage (nDV) vom 21.02.2019 in Nutzenbewertungen nach § 35a SGB V (FNB) von Onkologika bei soliden Tumoren
Jörg Mathes, IGES Institut GmbH

Einleitung / Introduction

Die nDV von Modul 4 vom 21.02.2019 enthält umfangreiche Anforderungen an Analyse und Ergebnisdarstellung von UE für die FNB. Ziel dieser Arbeit war es zu untersuchen, wie diese Anforderungen vom pharmazeutischen Unternehmer (pU) umgesetzt und vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sowie dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) bewertet wurden.

Methode / Method

Dazu wurden alle auf der Internetseite des G-BA veröffentlichten Dokumente zu FNB von Onkologika bei soliden Tumoren ohne Orphan Drugs ausgewertet, bei denen die Verfahren ab dem 01.04.2020 (Beginn der verpflichtenden Verwendung der nDV) begonnen hatten und mit Stand vom 03.11.2020 abgeschlossen waren und auf mindestens einer randomisierten kontrollierten Studie basierten.

Ergebnisse / Results

Es wurden vier FNB identifiziert: Apalutamid, Brigatinib, Darolutamid und Trifluridin/Tipiracil. In allen vier Dossiers wurden die Anforderungen an die Darstellung der UE hinsichtlich Überlebenszeitanalysen und Subgruppenanalysen inklusive Kaplan-Meier-Kurven vollständig umgesetzt (außer UE-Gesamtraten Grad 1-2 bei Brigatinib). Bei der weiteren Umsetzung gab es jedoch Abweichungen. Die UE-Gesamtraten Grad 1-2 wurden bei Apalutamid nicht dargestellt. Die UE-Gesamtraten wurden nur bei Trifluridin/Tipiracil zusätzlich um Progressionsereignisse/Krankheitssymptome bereinigt. Die bereinigten UE wurden von IQWiG und G-BA nur dann anerkannt, wenn eine ergebnisgesteuerte Berichterstattung auszuschließen war. Ansonsten wurden die nicht bereinigten UE in allen vier FNB von IQWiG und G-BA herangezogen. Prädefinierte UE von besonderem Interesse (AESI) wurden bei Brigatinib nicht und in den übrigen Dossiers unterschiedlich differenziert bzgl. der Schweregrade dargestellt. Kritik vom IQWiG bezog sich ausschließlich auf die unklare Operationalisierung von AESI. Der G-BA kommentierte die AESI jeweils nicht außer bzgl. der Umsetzung der Befristungsauflagen bei Trifluridin/Tipiracil. UE nach Organsystemen und Einzelereignissen (SOC/PT) wurden in allen vier Dossiers differenziert nach Schweregrad und Häufigkeit dargestellt. Außer UE Grad ≥ 3 und schwerwiegenden UE bei Darolutamid wurde der korrekte Schwellenwert in allen vier Dossiers verwendet. Bei Darolutamid wurden die nachgereichten Auswertungen unter zusätzlicher Berücksichtigung von UE, die bei mindestens 10 Patienten UND bei mindestens 1 % der Patienten in einem Studienarm aufgetreten sind, vom IQWiG akzeptiert. Der G-BA zog UE nach SOC/PT zur Bewertung heran, kommentierte sie aber jeweils nicht.

Zusammenfassung / Conclusion

In den vier Dossiers wurden die Anforderungen in unterschiedlichem Umfang umgesetzt. Inwieweit die Kritik von IQWiG und G-BA durch die Arbeitsbedingungen während der Corona-Pandemie beeinflusst wurde, bleibt in Zukunft abzuwarten.


AutorInnen
Peter K. Schädlich
Wioletta Kotowa, IGES Institut GmbH
Jörg Mathes, IGES Institut GmbH
Diffusion of a new drug among ambulatory physicians – The influence of patients’ pathways
Ronja Flemming, TU München

Einleitung / Introduction

The study analyzes the diffusion of the drug Sacubitril / Valsartan (Entresto®) (S/V) among ambulatory physicians in four German federal states. The drug was admitted in 2016 and was approved to have a considerable benefit for patients with heart failure. The market price at entry was about 50 times higher than the comparative therapy with ACE-inhibitors. Even though regulations to foster economically efficient prescribing exist, physicians have some degrees of freedom in their choice of medication and are, at the same time, subject to various influencing factors. The aim of the present analysis is to investigate how the interaction among patients and physicians affects the diffusion of new drugs. We consider three different ways of how patients might induce prescriptions and examine these effects for the diffusion of S/V. We hypothesize that patients accelerate the diffusion of S/V by demanding follow-up prescriptions at different physicians. Additionally we assume that information transfer about the new drug is taking place along patients’ pathways. Finally, we hypothesize that patients are establishing physician networks within which social contagion is taking place.

Methode / Method

Based on administrative data from three regional statutory health insurances (AOK) in Germany, we identify physicians who prescribe S/V and the month of their first prescription since market entry within two years (2016-2017). In a survival model, we estimate the impact of the patient-physician interaction on the physicians’ adoption time, controlling for various influencing factors. For each physician we therefore determine whether he/she treated patients with premedication and how many physicians already prescribing S/V are being connected through patients’ pathways in patient-sharing networks.

Ergebnisse / Results

In total about 7,200 physicians prescribed S/V at least once and 65% of these physicians initiated a medication with this drug for at least one patient. The survival analysis confirmed that patients induce adoption by demanding follow-up prescriptions at new physicians, and that patients establish connections among physicians, which ultimately lead to prescriptions to new patients and to the diffusion of the drug. We find weak evidence for the information transfer effect of patients.

Zusammenfassung / Conclusion

Our study investigated three different ways how patients affect physicians’ prescribing behavior and thereby influence the diffusion of new drugs among ambulatory physicians. We conclude that patients’ pathways significantly accelerate the diffusion of new drugs. The results indicate that in the context of economically efficient prescribing behavior, multiple factors have an impact on physicians’ prescribing decisions and include a patient influence as well as physician networking.


AutorInnen
Leonie Sundmacher, TU München
Ronja Flemming, TU München
A Composite Model for Pricing New Orphan Drugs
Afschin Gandjour, Frankfurt School of Finance & Management

Einleitung / Introduction

For the purpose of pricing new, innovative medicines two pricing models form the extremes of the spectrum: cost-plus pricing (CPP) and value-based pricing (VBP). Whereas VBP nowadays presents the gold standard in many industrialized countries, CPP is still influential in reimbursing orphan drugs. An intense dispute has revolved around the question if and how to adapt incremental cost-effectiveness thresholds used for VBP to the orphan drug space. The purpose of this study was to develop a composite model that strikes a compromise between CPP and VBP based on the size of the target population and other factors.

Methode / Method

This study uses a Bayesian shrinkage estimator to create a composite model combining company-specific R&D costs and health benefits for the purpose of determining reimbursement prices. The weight placed on R&D costs is the proportion of the total variance in price attributable to the variance in the value-based price. Therefore, less weight is placed on R&D costs when population health benefits are more reliably estimated. Possible inefficiency of the R&D process can be incorporated as an increased variance around the R&D cost estimate and the associated risk aversion.

Ergebnisse / Results

Applying the Bayesian shrinkage estimator, the price of an orphan drug decreases inversely proportional to the population size. The measure is able to incorporate R&D inefficiencies resulting from CPP.

Zusammenfassung / Conclusion

A composite model for pricing new orphan drugs is able to account for the small target population of orphan diseases and to adjust the price accordingly. Further research is needed on how to allocate global R&D costs to each country.


AutorInnen
Afschin Gandjour