Vortragssitzung

Ökonomik des Arzneimittelmarktes

Vorträge

Wie entwickeln sich die (ambulanten) Arzneimittelausgaben in Deutschland? – Projektionen anhand eines Markov-Modells mit Risikoklassen
Stefan Fetzer, Hochschule Aalen

Einleitung / Introduction

Seit Jahrzehnten stehen steigende Arzneimittelausgaben der GKV unter verstärkter Beobachtung von Wissenschaft und Praxis. Während die Politik mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz den Fokus auf die Preisverhandlungen gelegt hat, sind die Zusammenhänge von steigender Lebenserwartung, medizinisch-technischem Fortschritt und damit die Frage nach den Treibern künftiger Arzneimittelausgaben wissenschaftlich noch wenig erforscht. Unser Ansatz auf Basis eines Markov-Modells mit Risikoklassen soll die Hebelwirkungen dieser Faktoren aufzeigen und Entscheidern eine bessere Grundlage für Reformbemühungen geben.

Methode / Method

Auf Grundlage eines zeitdiskreten Markov-Modells mit Risikoklassen werden Unterschiede bei der Projektion von Arzneimittelausgaben bis zum Jahr 2060 aufgezeigt. Verglichen werden Fortschreibungen mit konstanten Anteilen (Status quo), Time-to-death-Szenarien sowie die Markov-Modellierung anhand von Übergangswahrscheinlichkeiten. Durch Annahmen über Zugewinne an Lebenserwartung oder Ausgabensteigerungen für bestimmte Kostengruppen können wir den möglichen Prognosekorridor zukünftiger Arzneimittelausgaben aufzeigen. Als Basis dient ein Datensatz von rund 4,5 Millionen Versicherten der AOK Baden-Württemberg, die wir anhand ihres Anteils an den gesamten Arzneimittelausgaben in sechs Kostengruppen einteilen. Für jede Kostengruppe bestimmen wir die durchschnittlichen Arzneimittelausgaben und Steigerungsraten, Überlebenswahrscheinlichkeiten sowie Übergangsraten zwischen den Gruppen nach Alter und Geschlecht, wobei wir zusätzlich zwischen Überlebenden und Verstorbenen unterschieden.

Ergebnisse / Results

Unsere Ergebnisse zeigen signifikante Unterschiede in der mittel- und langfristigen Arzneimittelausgabenentwicklung. Die heutigen Pro-Kopf-Ausgaben von knapp 600 Euro je Versicherten würden bis zum Jahr 2040 um 28 Prozent steigen, wenn vor allem Hochkostenfälle vom Anstieg der Lebenserwartung profitieren. Würde dagegen der Gewinn an Lebenserwartung von Versicherten mit sehr geringen Ausgaben ausgehen, läge dieser Anstieg hingegen nur bei 17 Prozent. Werden zusätzlich die kostengruppenspezifischen reale Ausgabenwachstumsraten der letzten 10 Jahre berücksichtigt, ergibt sich ein Anstieg von 162 bzw. 130 Prozent. Bei einer einfachen Fortschreibung mit konstanten altersspezifischen Kostenanteilen (Status quo-Modellierung) und einheitlicher Wachstumsrate liegt die Steigerung hingegen nur bei 88 Prozent.

Zusammenfassung / Conclusion

Die Ergebnisse zeigen, dass die künftigen Arzneimittelausgaben stark davon abhängen, ob auch Hochrisikoversicherte von der steigenden Lebenserwartung profitieren. Sollten sich zudem die aktuellen Wachstumsraten fortsetzen, muss sich das deutsche Gesundheitssystem auf eine deutliche Expansion der Arzneimittelausgaben einstellen.


AutorInnen
Stefan Fetzer, Hochschule Aalen
Christian Hagist, WHU Otto Beisheim School of Management
Valeska Hofbauer-Milan, AOK Baden-Württemberg / WHU Otto Beisheim School of Management
Potenziell inadäquate Medikation (PIM) bei älteren Menschen: Analysen anhand von Befragungs- und Abrechnungsdaten
Victoria Schwarzbach, Technische Universität Berlin

Einleitung / Introduction

Die medizinische Versorgung einer alternden Bevölkerung mit Arzneimitteln ist eine Herausforderung, denn nicht alle in Deutschland zugelassenen Wirkstoffe bzw. Wirkstoffgruppen sind für Menschen ab 65 Jahren gleichermaßen gut verträglich. Aufgrund eines erhöhten Risikos an unerwünschten Nebenwirkungen gilt daher die Verschreibung bestimmter Medikamente bei älteren Menschen als potenziell inadäquate Medikation (PIM). Welche konkreten Arzneimittel bei älteren Personen als kritisch zu betrachten sind, wird je nach Land in verschiedenen PIM-Listen abgebildet. Für Deutschland wurde dafür die sogenannte PRISCUS-Liste erarbeitet, welche nach aktuellem Stand insgesamt 83 für ältere Menschen potenziell inadäquate Arzneimittel aus 18 Wirkstoffklassen verzeichnet.

Methode / Method

Untersucht wird die Verbreitung von PIM bei älteren Menschen ab 65 Jahren in Deutschland. Auf Basis der bundesweiten Arzneiverordnungsdaten nach §300 Abs. 2 SGB V der Jahre 2009 bis 2019, welche durch das Zi ausgewertet werden, sowie anhand von Befragungsdaten der PREFER-Studie (Personale Ressourcen von älteren Menschen mit Mehrfacherkrankungen: Stärkung effektiven Gesundheitsverhaltens) des Deutschen Zentrums für Altersfragen und der Freien Universität Berlin aus dem Jahr 2009 wurden dazu Angaben zur Medikamenteneinnahme von Personen über 65 Jahren analysiert. PIM bei älteren Menschen wird definiert als der Anteil der über 65-Jährigen mit mindestens einer Verordnung (bzw. einem eingelösten Rezept) der PRISCUS-Liste in einem Jahr. Die Analysen basieren nur auf den in der PRISCUS-Liste aufgeführten Wirkstoffen, die in allen Dosierungen als inadäquat für die Behandlung im Alter eingestuft werden.

Ergebnisse / Results

Bezogen auf die Arzneiverordnungsdaten beträgt der Anteil der GKV-Patient*innen mit mindestens einer PRISCUS-Verordnung an allen Arzneimittelpatient*innen in Deutschland im Jahr 2019 16 %. Im Vergleich zum Jahr 2009 (25 %) lässt sich ein kontinuierlicher Rückgang beobachten. Differenziert nach Geschlecht, erhalten männliche GKV-Patienten (2019: 13 %) seltener eine Verordnung der PRISCUS-Liste als weibliche Patientinnen (18 %). Jüngere Patient*innen (65-74 Jahre) sind seltener von PIM betroffen als ältere (14 vs. 17 %). Die Befragungsdaten der PREFER-Studie weichen von den Routinedaten ab. Sie verzeichnen für das Jahr 2009 einen Anteil der Befragten mit mindestens einer PRISCUS-Verordnung von 12 %. Die Tendenz, dass Frauen und ältere Personen häufiger von PIM betroffen sind, wird durch die PREFER-Studie jedoch bestätigt.

Zusammenfassung / Conclusion

Die potenziell inadäquate Medikation im Alter ist seit einigen Jahren kontinuierlich rückläufig. Es zeigen sich allerdings Abweichungen zwischen den beiden untersuchten Datenquellen.


AutorInnen
Victoria Schwarzbach, Technische Universität Berlin
Katharina Achstetter, Technische Universität Berlin
Miriam Blümel, Technische Universität Berlin
Anne Spranger, Technische Universität Berlin
Maike Schulz, Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung
Reinhard Busse, Technische Universität Berlin
The Impact of Mergers and Acquisitions on Corporate Success in the Pharmaceutical Industry
Tom Stargardt, Hamburg Center for Health Economics

Einleitung / Introduction

The goal of every company -not only in the pharmaceutical industry- is to secure its own existence, generate above-average returns for its owners and to achieve growth. However, growth in the form of internal growth is limited and can usually be achieved faster in the short term through external growth e.g. through mergers, company acquisitions or other external transactions. M&As may have an impact on corporate success in terms of changing annual revenues, employee growth, share prices, pipeline progress, market share and many more factors. We evaluate the impact of M&A activities on a company’s success in the pharmaceutical industry.

Methode / Method

For the top 30 pharma companies by revenue in 2020, we extracted M&A activities, as well as annual revenues, gross profit, net profit, R&D spending, launches per year, research activities (meaning pharmaceuticals currently in clinical trials phase 1, phase 2, or phase 3), share prices, market capitalization, market share, and employee numbers per year between 2000-2020. We then worked with a generalized difference-in-difference design using fixed effects regression to evaluate the impact of substantial M&A activities on a company’s success compared to organic growth with a follow-up of 2 years post-merger. We defined M&As activities to be substantial when transaction costs were larger than 20% of the annual revenue.

Ergebnisse / Results

Results indicate there is a clear trend for M&As to have a positive impact on corporate success compared to organic growth. E.g., revenues increased in the first year after the M&A by +1.45bn USD (p=0.042) and in the second year after the M&A by +1.94bn USD (p=0.013). However, net profit increased only in the first year after the M&A (+6.91bn USD, p=0.016), while decreasing in the second (-0.39bn USD, p=0.899). For employee growth (p=0.000) and launches per year (p=0.065) we found significant increases in general. However, the research activities, especially in phase 2 and 3, showed a downward trend but were not significant.

Zusammenfassung / Conclusion

While M&A transactions in the pharmaceutical industry lead to significantly higher revenues, net profit, launches per year, and employee growth compared to organic growth, they do not seem to impact gross profit, R&D spending, research activities, share price, market capitalization, and market share.


AutorInnen
Melanie Büssgen, Hamburg Center for Health Economics
Tom Stargardt, Hamburg Center for Health Economics
Healthcare resource utilization and associated costs in new users of empagliflozin versus DPP-4 inhibitors and GLP-1 agonists: A retrospective cohort study based on Real-World data from German sickness funds
Maximilian Gabler

Einleitung / Introduction

Achieving good glycemic control in type 2 diabetes (T2DM) may require individualized pharmacological approaches. We aimed to compare direct healthcare costs in patients treated with empagliflozin (EMPA) compared to dipeptidyl peptidase-4 inhibitors (DPP-4i) or glucagon-like peptide-1 receptor agonists (GLP-1-RA).

Methode / Method

This German claims data study included continuously insured persons with at least two outpatient diagnoses and/or one inpatient diagnosis of T2DM if they started EMPA, DPP-4i, or GLP-1-RA in 2015-2018. Healthcare costs were assessed from therapy initiation until the end of data availability, death, or therapy discontinuation and compared among propensity score-matched cohorts.

Ergebnisse / Results

Significantly higher expenses for healthcare were observed among patients initiating DPP-4i (mean: €7,009 [95%-CI: 6,573-7,444] vs. € 4,274 [3,982-4,566]) and GLP-1-RA (mean: €6,851 [6,183-7,518] vs. €4,895 [4,345-5,445]) in comparison with EMPA. The highest differences between EMPA and DPP-4i were observed in terms of inpatient care (€ 1,455 vs. € 3,040; p<0.001) and pharmacy sales for prescribed drugs (€ 1,966 vs. € 2,689; p<0.001), whereas incremental cost differences vs. GLP-1-RA were mainly driven by medication costs alone (€ 2,433 vs. € 3,575; p<0.001). These results were consistent across all pre-defined therapeutic subgroups (mono therapy, insulin-naïve, add-on to insulin, and dual therapy with metformin). A further comparison of EMPA vs. dulaglutide and EMPA vs. liraglutide did not show any agent-specific cost effects compared to EMPA vs. total GLP-1-RA. Overall, patients starting EMPA had fewer hospitalizations per observed year than their respective comparison groups. The greatest advantage of EMPA over DPP-4i and GLP-1-RA was demonstrated in hospitalizations due to heart failure (-1.23 events per 100 PYs vs. DPP-4i; -0.84 events per 100 PYs vs. GLP-1-RA) which is consistent with the results of cardiovascular outcome studies for DPP-4i, GLP-1-RA and EMPA published during the last years.

Zusammenfassung / Conclusion

Our analysis demonstrated that T2DM patients who initiated EMPA therapy had lower healthcare expenses in the proceeding course of treatment than those starting DPP-4i and GLP-1-RA. In particular, patients newly treated with EMPA were found to have lower inpatient costs compared with DPP-4i users, mainly due to lower rates of CVD-related hospitalizations, such as heart failure. The cost advantage for EMPA over GLP-RA-1 was mainly due to the difference in direct medication costs. Further studies are recommended to confirm these results, particularly with regard to the real-world efficacy of SLGT-2 inhibition in heart failure.


AutorInnen
Maximilian Gabler, Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG
Nils Picker, Ingress-Health HWM GmbH
Sabrina Mueller, Ingress-Health HWM GmbH
Anna Stuermlinger, Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG
Barthold Deiters, GWQ ServicePlus AG
Axel Dittmar, IPAM, Universität Wismar
Jens Aberle, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
Thomas Wilke, IPAM, Universität Wismar