Vortragssitzung

Messung und Bewertung der Gesundheit

Vorträge

Die Korrektur von Verzerrungen bei der Nutzwertmessung durch Time Trade-Off – ein direkter Test der Validität
Jacob A. Richelshagen, Universität Bayreuth

Einleitung / Introduction

Gesundheitsökonomische Evaluationen stellen politischen Entscheidungsträgern essentielle Informationen wie das inkrementelle Kosten-Nutzwert-Verhältnis neuer Interventionen zur Verfügung. Hierbei findet das Modell der qualitätskorrigierten Lebensjahre (Quality-adjusted life years, QALY) Anwendung. Eine Methode zur Erhebung von QALY-Gewichten ist Time Trade-off (TTO). Die Prospect-Theorie vermutet kognitive Biases bei der Erhebung von QALY-Gewichten durch TTO. Mithilfe der Prospect-Theorie versucht der korrektive Ansatz diese Verzerrungen zu korrigieren. Ziel dieser empirischen Arbeit war es, die Validität der Korrektur von durch TTO erhobenen QALY-Gewichten zu überprüfen.

Methode / Method

Ein auf der Prospect-Theorie basierendes Modell, entwickelt von Lipman et al. (2018), wurde angewendet, um für diese Validierungsstudie einen computergestützten Fragebogen mit R Shiny zu programmieren. Das Vorgehen zur Validierung erfolgte in drei Schritten. Im ersten Schritt wurden von 63 Studierenden durch TTO die QALY-Gewichte für die EQ-5D-5L Gesundheitszustände 21211, 31231 und 33342 erhoben. Im zweiten Schritt wurden die erhobenen QALY-Gewichte nach Verlustaversion und Risikoaversion der Teilnehmenden korrigiert. Im dritten Schritt wurden die Präferenzen der Teilnehmer bezüglich korrigierter und unkorrigierter QALY-Gewichte erhoben. Weiterhin konnten die Teilnehmenden durch eine Visual Analogue Scale (VAS) direkt QALY-Gewichte für die Gesundheitszustände vergeben.

Ergebnisse / Results

Die Anwendung des korrektiven Ansatzes bewirkte eine substantielle Korrektur der QALY-Gewichte nach unten, was den Ergebnissen anderer Arbeiten entspricht. Für alle Gesundheitszustände gab die Mehrheit der Befragten jedoch an, dass die unkorrigierten QALY-Gewichte ihre Präfenzen eher abbilden (Binomialtest, 𝑝<0,05). Die Differenz der unkorrigierten Werte zu den VAS-Werten war für alle Gesundheitszustände geringer als für die korrigierten QALY-Gewichte (Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test, 𝑝<0,05 für 23211; 𝑝>0,05 für 31231 und 33342). Die erhobenen QALY-Gewichte waren unabhängig von Geschlecht (Pearson´s 𝑟, 𝑝<0,05) und Alter (𝜂-Koeffizient, 𝑝<0,05) der Teilnehmenden. Limitationen stellen die geringe Stichprobengröße (n = 63), das mögliche Vorliegen von Verständnisproblemen bei Teilnehmenden, sowie die Verwendung einer parametrischen Annahme in Bezug auf die Risikoaversion der Teilnehmenden dar.

Zusammenfassung / Conclusion

Die Ergebnisse deuten nicht darauf hin, dass eine Korrektur auf Grundlage der Prospect-Theorie zu valideren QALY-Gewichten bei einer Erhebung durch TTO führt. Es bedarf weiterer internationaler Forschung mit größeren Stichproben zur Validierung des korrektiven Ansatzes, um evidenzbasierte Implikationen der Prospect-Theorie bei der Weiterentwicklung der gesundheitsökonomischen Methodik einzubeziehen.


AutorInnen
Jacob A. Richelshagen, Universität Bayreuth
Katja Senn, Universität Bayreuth
Klaus Nagels, Universität Bayreuth
Implementierung von value-based care als Ansatz zur Finanzierung stationärer Krankenhausleistungen – Ergebnisse qualitativer Stakeholder- Interviews
Vera Vennedey, Universität zu Köln, Medizinische Fakultät

Einleitung / Introduction

Internationale Arbeiten zeigen, dass verschiedene Vergütungsregulierungen positive als auch negative Einflüsse auf Aspekte einer patientenorientierten Versorgung haben können. Eine Vielzahl von Vergütungsregulierungen wurde in unterschiedlichen Settings zur Steigerung verschiedener Aspekte der Versorgungsqualität eingeführt oder untersucht. Das Ziel des Value-based Care (VBC) Ansatzes (Porter, 2010) liegt auf der Verbesserung der gesundheitlichen Outcomes für Patienten. Dies soll unter anderem durch die regelhafte Erhebung von patientenberichteten Outcomes und eine Vergütung basierend auf den für Patienten wichtigen Outcomes erreicht werden. Das Ziel der vorliegenden Studie war die Untersuchung der Akzeptanz und Einstellung bezüglich des VBC-Ansatzes als Vergütungsmodell für die stationäre Krankenhausversorgung.

Methode / Method

Es wurden semi-strukturierte Interviews mit 15 Personen in Krankenhausleitungspositionen, Krankenhausverbänden, wissenschaftlichen Institutionen zur Qualitätsbewertung im Gesundheitswesen, gesetzliche Krankenversicherungen, Akteure der gemeinsamen Selbstverwaltung sowie Patientenvertretern durchgeführt. Den Befragten wurde das Konzept VBC basierend auf Porter (2010) erläutert. Anschließend wurden die Interviewteilnehmer*innen zu ihrer Einschätzung der Vor-und Nachteile von VBC sowie der Implementierungsmöglichkeit im deutschen Gesundheitswesen befragt.

Ergebnisse / Results

14 Personen bewerteten VBC grundsätzlich als positiv. Als positiv wurde die stärkere Patientenorientierung durch Fokussierung auf Behandlungsergebnisse anstelle von Behandlungsvolumen bewertet. Zudem könnte insbesondere unerwünschte Über- und Fehlversorgung am Lebensende reduziert werden. Als Kritikpunkt am Konzept wurden die Herausforderungen bei der Erfassung standardisierter Outcomes genannt, speziell bei multimorbiden Patienten oder Patienten mit seltenen oder komplexen Erkrankungen sowie schlecht planbaren Therapien. Als Anforderungen an die Outcome-Messung wurde z.B. die Machbarkeit, Validität, Reliabilität, Unabhängigkeit und klinische Relevanz der Instrumente und Parameter genannt. Daneben wurden Bedenken hinsichtlich der Implementierbarkeit unter aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen geäußert.

Zusammenfassung / Conclusion

Die Ergebnisse zeigen, dass die Befragten das Konzept VBC generell positiv bewerten, jedoch einige Herausforderungen hinsichtlich der Umsetzung sehen. Als Limitation der vorliegenden Studie ist die ausschließliche Berücksichtigung von stationärer Krankenhausversorgung zu nennen. Zur Erzielung optimaler Behandlungsergebnisse sollte entsprechend des VBC Ansatzes eine sektoren- und fachübergreifende interprofessionelle Versorgung angestrebt werden und somit auch eine breitere Befragung relevanter Akteure in zukünftigen Untersuchungen erfolgen.


AutorInnen
Vera Vennedey, Universität zu Köln, Medizinische Fakultät
Adrienne Alayli, Universität zu Köln, Medizinische Fakultät
Holger Pfaff, Universität zu Köln, Medizinische Fakultät, Humanwissenschaftliche Fakultät
Stephanie Stock, Universität zu Köln, Medizinische Fakultät
Not just another EQ-5D-5L value set for the UK: using the ‘OPUF' approach to study health preferences on the societal-, group-, subgroup-, and individual person-level
Paul Schneider

Einleitung / Introduction

The ‘Online elicitation of Personal Utility Functions’ (OPUF) is a new method for valuing health states. It is based on compositional preference elicitation techniques. In contrast to established, decompositional techniques, such as time trade-off or DCE, the OPUF approach does not require hundreds or thousands of respondents, but allows estimating utility functions for small (patient) groups and even on the individual level. The objective of this study was to generate and compare EQ5-5D-5L value sets on the societal-, group-, subgroup-, and individual person-level.

Methode / Method

A demo version of the EQ-5D-5L OPUF Tool is available at: https://eq5d5l.me. It broadly consists of three valuation steps: dimension weighting, level rating, and anchoring. Responses were combined on the individual level to construct personal utility functions. Every respondent also completed three conventional DCE. Preferences were aggregated across individuals to estimate a societal and various group-level preference functions. We then assessed the heterogeneity of preferences between groups using descriptive statistics and k-means cluster analysis.

Ergebnisse / Results

A representative sample (N = 1,000) of the UK population was recruited through the prolific online platform. On average, it took participants about 7 minutes to complete the survey. Data of 874 respondents were included in the analysis. For each respondent, we constructed a personal EQ-5D-5L value set. The derived utility functions predicted respondents’ choices in discrete choice experiments with an accuracy of 78%. On the societal level, the predicted values for the EQ-5D-5L health states ranged from -0.376 to 1. Health state preference varied greatly between groups. This was largely due to differences in the anchoring, while there was near consensus on the relative importance of the five EQ-5D dimensions between groups. Demographic characteristics explained only a small proportion of the variability.

Zusammenfassung / Conclusion

Using the OPUF approach, we were not only able to estimate a new EQ-5D-5L value set for the UK, but also to examine the underlying individual preferences in an unprecedented detail. We believe that the OPUF approach has the potential to inform decision making on the individual (e.g. as patient decision aids) as well as on the societal level (e.g. quantification of patient or other stakeholder preferences).


AutorInnen
Paul Schneider, University of Sheffield
John Brazier, University of Sheffield
Nancy Devlin, University of Melbourne
Patienten berichtete gesundheitsbezogene Lebensqualität (PRO) basierend auf 565 EQ-5D-5L-Fragebögen bei Kopf- und Halskrebs Patienten
Tanja Sprave, Universitätsklinikum Freiburg, Klinik für Strahlenheilkunde

Einleitung / Introduction

Gesundheitsökonomische Vergleiche von verschiedenen Therapien verwenden häufig gesundheitsbezogene Lebensqualität basierend auf EQ-5D-5L-Fragebögen aus klinischen Studien. Diese Studie analysiert die patientenberichtete gesundheitsbezogene Lebensqualität (PRO) in einem großen Kollektiv von Kopf-Hals-Krebspatienten, die sich einer modernen Strahlentherapie im Rahmen der regulären Versorgung an einer Universitätsklinik unterziehen.

Methode / Method

Alle Kopf-Hals-Krebspatienten, die zwischen Juli 2019 und Dezember 2020 in unserer Klinik behandelt wurden und den validierten EQ-5D-5L-Fragebogen zu Beginn, am Ende der Strahlentherapie und zur jeweiligen Nachsorge ausfüllten, wurden eingeschlossen. Es wurde eine deskriptive Analyse der klinischen, soziodemografischen Daten sowie der einzelnen Dimensionen durchgeführt.

Ergebnisse / Results

366 Teilnehmer füllten insgesamt 565 Fragebögen aus. Die überwiegende Mehrheit der Patienten war gesetzlich krankenversichert (n=350, 95,6 %), das mittlere Alter betrug 64 Jahre (Spanne 26-96). Die häufigsten Tumorlokalisationen waren Oropharynx n=138 (37,7%), Mundhöhle und Larynx n=51 (13,9%). Bei drei Vierteln der Patienten lag ein Plattenepithelkarzinom vor. Eine definitive Strahlentherapie wurde bei 216 (59,0 %) und eine adjuvante bei 150 (41,0 %) Patienten verordnet. Ein stationärer Krankenhausaufenthalt war bei 191 (52,2 %) Patienten mit einer mittleren Aufenthaltsdauer von 23 (1-55) Tagen erforderlich. Für die gesamte Kohorte betrug der Gesundheitsindex bei Studienbeginn 0,804 (±0,208), am Ende der RT 0,830 (±0,162), bei der ersten Nachuntersuchung 0,812 (±0,205) und bei der zweiten Nachuntersuchung 0,769 (±0,224). Die entsprechenden VAS-Werte betrugen zu Beginn 62,06 (±23,94), am Ende der Strahlentherapie 66,73 (±82,20), bei der ersten Nachuntersuchung 63,30 (±22,74) bzw. bei der zweiten Nachuntersuchung 65,48 (±23,39). Frauen zeigten signifikant niedrigere Werte im Vergleich zu ihren männlichen Pendants nur bei der Erstuntersuchung 0,765 (p=0,034). Signifikant niedrigere Werte wurden auch bei Patienten mit definitiver Strahlentherapie festgestellt: zu Beginn 0,777, zu der zweiten FU 0,734 und der dritten Nachsorgeuntersuchung 0,752 gegenüber 0,849 (p=0,023), 0,789 (p=0,047) und 0,928 (p=0,010) in der adjuvanten Gruppe. Stationäre Patienten hatten signifikant niedrigere Werte am Ende der Strahlentherapie 0,806, zu der zweiten FU 0,712 und der dritten 0,784 im Vergleich zu ambulanten Patienten 0,870 (p=0,017), 0,875 (p=0,007) und 0,901 (p=0,031). Eine Subgruppenanalyse für < 65 Jährige vs. ≥ 65 Jährige und Raucher vs. Nichtraucher ergab zu keinem Erhebungszeitpunkt einen Unterschied.

Zusammenfassung / Conclusion

PROs können die zeitlichen- und gruppenspezifischen therapieinduzierten Veränderungen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität unter Strahlentherapie erfassen.


AutorInnen
Tanja Sprave, Universitätsklinikum Freiburg, Klinik für Strahlenheilkunde
Adnan Zogaj, Abteilung für Marketing und Gesundheitsmanagement
Nils Nicolay, Universitätsklinikum Freiburg, Klinik für Strahlenheilkunde
Anca-Ligia Grosu, Universitätsklinikum Freiburg, Klinik für Strahlenheilkunde
Jörg Lindenmeier, Public und Non-Profit Management - Corporate Governance und Ethik
Dieter Tscheulin, Abteilung für Marketing und Gesundheitsmanagement