Vortragssitzung

Nachfrage nach Gesundheitsleistungen

Vorträge

Data Mining Methoden zur Identifizierung von Behandlungspfaden aus Routinedaten des Gesundheitswesens – ein Scoping Review
Amelie Flothow, Technische Universität München

Einleitung / Introduction

Mit den Abrechnungsdaten der Krankenkassen stehen große Datenmengen des Gesundheitswesens zur Verfügung. Das Digitale-Versorgung-Gesetz von 2019 und der damit verbundene Anspruch von Patienten auf eine Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen sowie die Einführung der elektronischen Patientenakte in 2021, werden zum Wachstum von digitalen Gesundheitsdaten in Deutschland führen. Die strukturierte Verarbeitung patientenbezogener Daten, die routinemäßig zu Abrechnungszwecken von Krankenkassen erfasst werden, kann helfen Behandlungsabläufe und Behandlungsergebnisse zu evaluieren und damit zu einer Verbesserung von Versorgungs- und Behandlungsqualität beizutragen. Diese Arbeit gibt einen Überblick darüber, welche Algorithmen und Methoden zur Ermittlung von Versorgungsabläufen aus Routinedaten der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen bereits angewandt werden.

Methode / Method

Das Scoping Review wurde entsprechend der JBI-Methodologie durchgeführt. Gesucht wurde in den Datenbanken PubMed, Web of Science, Scopus und EconLit. Dabei wurden ausschließlich Studien berücksichtigt, die zwischen dem 01.01.2000 und dem 16.03.2021 auf Deutsch oder Englisch veröffentlicht wurden. Die Suchstrategie wurde durch englische Schlagwörter dreier Kategorien definiert: die Methode der Datenanalyse, das Anforderungsprofil an die Daten und die angestrebte Ergebnisdarstellung. In den Einschlusskriterien wurde festgelegt, dass Gesundheitsdaten analysiert werden, die angewandte Methodik beschrieben und dass die Chronologie der Versorgungsereignisse berücksichtigt wird. In einem zweistufigen Sichtungsprozess (1.Title/Abstract und 2.Volltext) wurden die Treffer narrativ von zwei Personen unabhängig hinsichtlich ihres Einschlusses geprüft.

Ergebnisse / Results

Die Literatursuche ergab 2.863 Treffer. 52 Studien erfüllten die Einschlusskriterien. 30 dieser Studien wurden in den letzten drei Jahren veröffentlicht. Lediglich eine der Veröffentlichungen analysierte deutsche Gesundheitsdaten. 17 Studien wandten Varianten des Sequentiellen Pattern Minings an, 15 Studien nutzten vorrangig Clusterverfahren und weitere elf Studien arbeiteten mit Markov-Modellen. Die restlichen neun Studien nutzten verschiedene statistikbasierte Algorithmen wie Rule Mining, wahrscheinlichkeitsbasierte ML-Algorithmen oder andere. Einige Studien kombinierten auch verschiedene Methoden. So wurden Clusterverfahren häufig zur Datenvorbereitung oder Ergebniskomprimierung eingesetzt.

Zusammenfassung / Conclusion

Die Menge der in Deutschland verfügbaren Gesundheitsdaten wächst enorm. International werden bereits unterschiedliche Data Mining Methoden zur Erkenntnisgewinnung aus Gesundheitsdaten angewandt. Die Ergebnisse dieses Reviews motivieren, die Potentiale innovativer Methoden der Datenanalyse auszuloten und bei der Analyse von Gesundheitsdaten aus Deutschland anzuwenden.


AutorInnen
Amelie Flothow, Technische Universität München
Anna Novelli, Technische Universität München
Leonie Sundmacher, Technische Universität München
Nutzung medizintechnischer Großgeräte: Ökonomie vs. Medizin
Marie Dreger, Technische Universität Berlin

Einleitung / Introduction

Die Ausstattung mit medizintechnischen Großgeräten nimmt einen hohen Stellenwert in der Gesundheitsversorgung ein. Im Bereich von bildgebenden Verfahren wie Computertomographen (CT) und Positronenemissionstomographen (PET) ermöglichen frühzeitige und präzise Diagnosestellungen das Gesundheitsoutcome positiv zu beeinflussen. Innerhalb der letzten Jahrzehnte wurde ein enormer Zuwachs an neuen Geräten verzeichnet, sodass Deutschland im internationalen Vergleich hinsichtlich Pro-Kopf-Nutzung und -Ausstattung weit vorne liegt. Darüber hinaus wurde eine regionale Variation in der Verteilung der Geräte identifiziert. Eine zurückhaltende Versorgung kann zu einer verzögerten Diagnostik und Therapieeinleitung führen. Auf der anderen Seite birgt ein unangemessen hoher Einsatz ein Risiko für Patient*innen sowie das Sozialversicherungssystem. Inwiefern die Versorgungsstrukturen an installierten CT und PET tatsächlich in Anspruch genommen werden, ist bislang unzureichend untersucht.

Methode / Method

In der retrospektiven Beobachtungsstudie wird auf Basis von Abrechnungsdaten der stationären (DRG-Statistik) sowie ambulanten (Zentralinstitut der kassenärztlichen Vereinigung) Leistungserbringung die Inanspruchnahme von CT und PET deskriptiv untersucht und mithilfe der Kartographie abgebildet. Zur Quantifizierung wird mittels Panelanalyse der Einfluss der lokalen Versorgungstruktur, Morbidität sowie Deprivation der Bevölkerung auf die Anzahl durchgeführter Scans je Einwohner im Untersuchungszeitraum von 2010 bis 2017 geschätzt.

Ergebnisse / Results

Die Morbidität der Bevölkerung in den jeweiligen Regionen scheint einen größeren Einfluss auf die Anzahl durchgeführter Scans zu haben als die vorgehaltene Ausstattung. Die Ergebnisse unterscheiden sich nach Geräten sowie Sektoren. Die Nutzungsraten von CT sind im internationalen Vergleich sehr hoch, variieren regional jedoch teilweise stark.

Zusammenfassung / Conclusion

Eine dominierende angebotsinduzierte Nutzung installierter Großgeräte konnte nicht nachgewiesen werden. Wenngleich keine Aussagen zum medizinisch notwendigen Einsatz der Geräte getroffen werden können, ist der hohe Nutzungsgrad von CT sowohl aus medizinischer als auch ökonomischer Perspektive kritisch zu betrachten.


AutorInnen
Marie Dreger, Technische Universität Berlin
Videosprechstunde beim Hausarzt im Lockdown - Sekundärdatenanalyse zur Nutzung während und nach dem ersten Lockdown
Cordula Kreuzenbeck, IU Internationale Hochschule

Einleitung / Introduction

Zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie in Deutschland im März 2020 ordnete die Regierung nicht-pharmazeutische Interventionen an, darunter Schulschließungen, fallbezogene Maßnahmen, soziale Distanzierung und ein Verbot öffentlicher Veranstaltungen. Unter diesen Umständen empfahlen Fachgesellschaften und Verbände des Gesundheitswesens den Einsatz der Videosprechstunde. Bis Juni 2018 war es Ärzten in Deutschland verboten, eine Beratung ausschließlich per Video oder Telefon durchzuführen, ohne den Patienten vorher zu kennen. Im Anschluss wurde eine Möglichkeit für die Ärzte eingeführt, Videosprechstunden ab Oktober 2019 abzurechnen, jedoch zunächst befristet bis September 2021. Ziel dieser Analyse war es, relevante Erkenntnisse über den Einsatz von Videoberatungen vor und während der Covid-19-Pandemie zu gewinnen. Zu diesem Zweck wurde eine Sekundäranalyse der Behandlungsdaten von Hausärzten einer großen Krankenkasse statistisch ausgewertet.

Methode / Method

Für diese Analyse wurden anonymisierte Daten von 5,6 Millionen Versicherten verwendet. Der Datensatz enthielt die Abrechnungsdaten vom 1. Januar 2019 bis zum 30. Juni 2020, die 18 Monate und 29.464.913 abgerechnete Behandlungen abdeckten. Die Ansprüche wurden unterteilt in Patienten mit Videosprechstunde und ohne Videosprechstunde. Die Analyse wurde unter Verwendung von Kreuztabellen durchgeführt und die Signifikanz wurde unter Verwendung von Chi-Quadrat-Tests berechnet. Außerdem wurde der Zeitverlauf der Inanspruchnahme betrachtet.

Ergebnisse / Results

Von den in Rechnung gestellten Behandlungen, die analysiert wurden, wurde in 8.077 Fällen eine Videokonsultation durchgeführt, was 2,75 von 10.000 Fällen entspricht. Hinsichtlich des Geschlechts zeigte sich kein signifikanter Unterschied in der Nutzung der Videosprechstunde. Allerdings unterschied sich das Alter signifikant (Chi-Quadrat=2219,11 > Critical Value= 19,68) zwischen den Kohorten mit und ohne Videoberatung. Tatsächlich zeigt sich ein verhältnismäßig starker Anstieg der Videosprechstunde im Verhältnis zu allen Arztbesuchen von 0,52 pro 10.000 Kontakten im ersten Quartal 2019 zu 2,53 pro 10.000 im ersten Quartal 2020. Der Vergleich der zweitem Quartale 2020 und 2019 zeigt 0,46 zu 14,31 pro 10.000 Behandlungen.

Zusammenfassung / Conclusion

Entgegen dem immer wieder zu lesenden "Boom" von Videosprechstunden bleibt die Entwicklung trotz des ersten Lockdowns anhand der Daten sehr überschaubar. Zwar stieg die Anzahl verhältnismäßig stark an, verbleibt aber letztlich auf einem sehr niedrigen Niveau. Vor allem weil das steigende Verhältnis der Videosprechstunden zu allen Behandlungen nicht zuletzt auch darauf beruht, dass die Behandlungszahl insgesamt in dem Zeitraum des ersten Lockdowns stark zurückgegangen ist. Zudem nehmen die Videosprechstunden ab dem 19.04.2020 wieder kontinuierlich ab.


AutorInnen
Cordula Kreuzenbeck, IU Internationale Hochschule
Health care services utilization of persons with direct, indirect and without migration background in Germany: a longitudinal study based on the German Socio-Economic Panel (SOEP)
Thomas Grochtdreis, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Einleitung / Introduction

There is ambiguous evidence with regard to inequalities in health care services utilization (HCSU) among migrants and non-migrants in Germany. In order to overcome this ambiguity and to be able to direct health policy-makers and health care on the access of persons with migration background to health care services, an up-to-date study on the basis of a large nationally representative sample is necessary. Therefore, the aim of this study was to analyze the utilization of doctors and hospitalization of persons with direct, indirect and without migration background in Germany.

Methode / Method

This study was based on data of the German Socio-Economic Panel using the adult sample of the waves 29 to 36 (years 2013 to 2019), in which two additional migrant samples were integrated. HCSU of persons with direct, indirect and without migration background was measured by self-reported utilization of doctors and hospitalization. Descriptive statistics of sociodemographic characteristics were calculated for persons with direct, indirect and without migration background. Associations between utilization of doctors or hospitalization (yes/no), and migration background were examined using multilevel mixed-effects logistic regression. Associations between the number doctoral visits within three months or the number of annual nights in hospital, and migration background were examined using zero-truncated multilevel mixed-effects generalized linear models.

Ergebnisse / Results

In total, the data of n=32,535 persons without migration background, n=8080 persons with direct and n=3306 with indirect migration background were included in the analyses. The odds ratios of utilization of doctors and hospitalization for persons with direct migration background compared with persons without migration background were 0.73 (p < 0.001) and 0.79 (p = 0.002), respectively. In the logistic regressions, the interaction of migration background and sex was statistically significant (p < 0.001). A direct migration background was associated with a 6% lower number of doctoral visits within three months compared with no migration background (p = 0.023), whereas no association with direct migration background was found for the number of annual nights in hospital. For an indirect migration background, no association was found for any utilization variable.

Zusammenfassung / Conclusion

Persons with direct migration background still have a lower utilization of health care services than persons without migration background in Germany. Particularly for men with direct migration background, access to health care needs to be ensured and health policy-makers are called upon to keep focus on the still relevant issue of inequalities in HCSU between migrants and non-migrants in Germany.


AutorInnen
Thomas Grochtdreis, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Hans-Helmut König, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Judith Dams, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf