Vortragssitzung

Pflege

Vorträge

Entwicklung innovativer Wohnformen für Menschen mit mittelgradiger Demenz
Carina Abels, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Christian Speckemeier, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen

Einleitung / Introduction

In Deutschland leiden ca. 1,6 Mio. Menschen unter einer Demenz. Derzeit wird ein großer Teil der demenziell Erkrankten zu Hause versorgt, wobei mit Fortschreiten der Demenz die Notwendigkeit einer stationären Versorgung steigt. Bedingt durch den demografischen Wandel und die Abnahme familiärer Pflegepotenziale wird die Nachfrage nach innovativen Wohnkonzepten allgemein aber auch speziell für Personen mit mittelgradiger Demenz in Zukunft steigen. Diese Entwicklung stellt eine Herausforderung für die künftige Organisation und Finanzierung der Demenzversorgung dar.

Methode / Method

Ziel des von der Leibniz-Gemeinschaft geförderten Projektes ist es, alternative Konzepte von Wohnformen für Patient*innen mit mittelgradiger Demenz zu evaluieren sowie Präferenzen der Bevölkerung in städtischen und ländlichen Gebieten zu untersuchen. Dabei werden kulturelle Unterschiede innerhalb der Bevölkerung berücksichtigt. Es wird ein Mixed-Methods-Ansatz genutzt, in dessen Fokus ein Discrete Choice Experiment (DCE) steht. Vorbereitend wurden vier Fokusgruppen (ländlich vs. städtisch) durchgeführt, deren Ergebnisse vorgestellt werden sollen. Zur Erfassung kultureller Unterschiede wurden Personen mit und ohne (türkischen) Migrationshintergrund einbezogen. Die Fokusgruppen wurden auf Grundlage eines halbstrukturierten Diskussionsleitfadens durch ein Moderator*innenteam geleitet. Die Auswertung erfolgte über eine qualitative Inhaltsanalyse in Anlehnung an Mayring und Kuckartz mit dem Programm MAXQDA.

Ergebnisse / Results

Im Rahmen der Fokusgruppe wurden die Teilnehmenden zu verschiedenen Aspekten der stationären Demenzversorgung befragt und gebeten, weitere relevante Aspekte zu ergänzen. Sie sahen insbesondere die Aspekte Ort der Unterbringung, Organisation der Betreuung, Ausstattung der Wohnform und eingesetztes Pflegekonzept als wichtig an. Generell wurden die hohen Kosten der Wohnform und ihre Finanzierung als Herausforderung empfunden. Die Ergebnisse zeigen, dass Personen mit und ohne Migrationshintergrund verschiedene Erwartungen an eine Wohnform haben bspw. beim Angebot Einzel- vs. Mehrbettzimmer. Weiterhin wurde der Wunsch geäußert, in der Einrichtung Möglichkeiten zur Religionsausübung zu schaffen, die kulturellen Hintergründe der Bewohner*innen zu berücksichtigen sowie die Selbstbestimmung und Würde der Patient*innen zu wahren.

Zusammenfassung / Conclusion

Aufgrund der sich ändernden Rahmenbedingungen ist die Entwicklung von innovativen Wohn- und Betreuungsformen für Menschen mit mittelgradiger Demenz notwendig. Die Ergebnisse der Fokusgruppen dienen gemeinsam mit dem durchgeführten HTA als Grundlage für die Gestaltung des DCE zur Erhebung von Präferenzen zu potenziellen Wohnformen.


AutorInnen
Anke Walendzik, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Klemens Höfer, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Silke Neusser, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Jürgen Wasem, Prof. Dr., Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement
Häusliche Pflege durch hoch belastete erwerbstätige pflegende Angehörige - Gesundheitsökonomische Aspekte der ReDiCare-Studie
Helene Passon, Universität Hohenheim

Einleitung / Introduction

In Deutschland werden ca. 80 % der Pflegebedürftigen in der häuslichen Umgebung, meist durch pflegende Angehörige, versorgt. Insbesondere die Gruppe der erwerbstätigen Pflegenden sieht sich dabei häufig mit einem Zeitkonflikt zwischen Berufs- und Pflegetätigkeit konfrontiert. Führt diese konstante Mehrfachbelastung zu Überforderung, kann sich dies negativ auf die physische und psychische Gesundheit auswirken sowie zu starken Einschränkungen der beruflichen Perspektiven der erwerbstätigen Pflegenden führen.

Methode / Method

Es erfolgt eine deskriptive Analyse ausgewählter Baseline-Daten der randomisierten kontrollierten ReDiCare-Studie (dt. Akronym: BerTA; DRKS00014593), zur Unterstützung von hoch belasteten pflegenden Angehörigen. Gefördert wird die Studie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und erfolgt in Zusammenarbeit mit der AOK Bayern und der AOK Baden-Württemberg. Das Verhältnis zwischen Berufs- und Pflegetätigkeit im Rahmen der häuslichen Pflege wird näher herausgearbeitet, sodass sich ökonomische und gesundheitliche Implikationen der häuslichen Pflegetätigkeit ableiten lassen. Diese Daten bilden die Grundlage für weitergehende empirische Untersuchungen und sind für die Implementierung geeigneter Unterstützungsprogramme relevant.

Ergebnisse / Results

Die Baseline-Daten (n=449) zeigen, dass das Durchschnittsalter der zu Pflegenden 80 Jahre (SD=9,4) ist und die Pflegegrade 2 und 3 mit erheblicher (29,2 %) und schwerer Beeinträchtigung (37,1 %) am häufigsten vorkommen. Die Gruppe der erwerbstätigen pflegenden Angehörigen beträgt im Kollektiv 44,2 % und ist durchschnittlich 54 Jahre alt (SD 6,5). Erwerbstätige pflegende Angehörige gehen pro Tag 6,8 Stunden der Pflegetätigkeit und 22,7 Stunden pro Woche der bezahlten Erwerbstätigkeit nach. 33,0 % der befragten erwerbstätigen pflegenden Angehörigen gaben an, die eigene Erwerbstätigkeit um durchschnittlich 10,4 Stunden pro Woche reduziert zu haben, wobei diejenigen, die ihre Berufstätigkeit reduziert hatten, auch eine höhere pflegebedingte Belastung (gemessen mit dem SCQ Short) angaben. Wird die Gruppe der erwerbstätigen gegenüber den nicht-erwerbstätigen pflegenden Angehörigen kontrastiert, ist innerhalb der Gruppe der Erwerbstätigen der Wunsch nach mehr professioneller Unterstützungsleistung zu erkennen.

Zusammenfassung / Conclusion

Die empirischen Baseline-Daten zeigen den Zeitkonflikt zwischen Berufs- und Pflegetätigkeit sowie die Notwendigkeit zur Unterstützung pflegender Angehöriger. Insbesondere die Gruppe der erwerbstätigen Pflegenden zeigt höhere pflegebedingte Belastungswerte und wird durch die Pflegetätigkeit in der beruflichen Tätigkeit eingeschränkt. Folglich ist die Schaffung von effizienten Entlastungsangeboten für pflegende Angehörige und die Kenntnis über den ökonomischen Wert der häuslichen Pflege ein wichtiges Thema aus gesellschaftlicher und ökonomischer Sicht.


AutorInnen
Helene Dick, Institut Health Care & Public Management Universität Hohenheim, Hohenheim
Christian Ernst, Institut Health Care & Public Management Universität Hohenheim, Hohenheim
Ana Babac, AOK Bayern - Die Gesundheitskasse
Gabriele Wilz, Klinisch-Psychologische Intervention, Institut für Psychologie, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Klaus Pfeiffer, Klinik für Geriatrische Rehabilitation, Robert-Bosch-Krankenhaus
Mental health and social support of informal caregivers during the COVID-19 pandemic in Germany: Findings of a representative Online Survey
Larissa Zwar, HCHE/Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Einleitung / Introduction

During the COVID-19 pandemic, informal caregivers have been primarily responsible for supporting the main high risk group of older individuals with health impairments. The challenge of this new situation can be expected to impact the health and psychosocial wellbeing of these caregivers. Yet, informal caregiving has not been given much political or research interest in the context of this pandemic. Thus, this study aims to analyze (1) the mental health, social integration and social support of informal caregivers compared to non-caregivers during the COVID-19 pandemic, and (2) to analyze the role of the perceived danger and impairment due to the pandemic in this context.

Methode / Method

A representative sample (N=3022) of persons aged ≥40 years from Germany, drawn from forsa’s online panel (forsa.omninet), was questioned with an Online Survey during March 2021. Participants were asked if they provided informal care for individuals aged ≥60 years during the pandemic (N=489). Well-established scales were used to question all participants on their mental health (e.g., PHQ-9, GAD-7), their social support network (Lubben’s social network scale), and their loneliness and social isolation. The questions focused on the time between December 2020 and March 2021. Multiple regression analysis adjusted for sociodemographic background (e.g. age, gender, education, employment status) and health were conducted.

Ergebnisse / Results

The findings indicate significant higher levels of depressive and anxiety symptoms and a stronger social network among informal caregivers compared to non-caregivers, during the COVID-19 pandemic. Loneliness and social exclusion did not differ between both groups. Perceived impairment by the pandemic moderated the difference in social support, with caregivers with higher levels of perceived impairment reporting a stronger social network.

Zusammenfassung / Conclusion

This population-based study from Germany allows to draw conclusions regarding informal caregivers’ mental health, social integration and social support network during the peak of the pandemic compared to non-caregivers. Informal caregivers were still affected worse than non-caregivers during the pandemic in their mental health, despite having stronger social networks if they perceived higher levels of impairment by the pandemic. This can be taken as an indication of the urgent need for more psychological and formal support options for informal caregivers during such a challenging time. Research and policy should therefore focus more on the informal care situation and provide needs-oriented support and information during such a health crisis.


AutorInnen
Larissa Zwar, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Hans-Helmut König, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
André Hajek, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Verbindlichkeit als Chance für eine bedarfsgerechte Pflegeplanung?
Karsten Rohlf, Bergische Universität Wuppertal
Juliane Köberlein-Neu, Bergische Universität Wuppertal

Einleitung / Introduction

Das seit 2014 in Nordrhein-Westfalen geltende Alten- und Pflegegesetz verpflichtet Kommunen den stationären Pflegebedarf zu planen. Die Ergebnisse dieser können per Beschluss verbindlich gemachen werden. Bei einer verbindlichen Pflegeplanung und ausreichender Kapazität können die Kommunen von einer Förderung neuer Plätze in teil- und vollstationären Pflegeeinrichtungen absehen. Der Gesetzgeber verfolgte damit das Ziel, die kommunale Steuerung – auch auf Ebene der Sozialräume – zu stärken. Ein ggf. bestehendes Überangebot durch staatliche Förderung sollte so abgebaut bzw. verhindert werden. In der Theorie eröffnet das Instrument für die Kreise und kreisfreien Städte jedoch auch die Möglichkeit, implizit vorliegenden Partikularinteressen nachzugehen. Einerseits könnten z. B. mit einer bewussten Unterlassung der verbindlichen Planung Überkapazitäten geschaffen werden, um Versorgungsdefizite in anderen Bereichen der Gesundheitsversorgung aufzufangen. Andererseits ließen sich lokale Entwicklungen im Pflegemarkt durch die Entscheidung für eine verbindliche Planung steuern (z. B. Etablierung komplementärer Angebote, Verhältnis von privater zu kommunaler Trägerschaft). Empirisch wurden die Anreize bislang nicht untersucht. Diese Lücke möchte die Untersuchung schließen und der Frage nachgehen, welche hinreichenden Bedingungen auf kommunaler Ebene zu einer verbindlichen Pflegeplanung geführt haben. Insbesondere soll das Zusammenwirken bevölkerungs- und Pflegemarktseitiger Faktoren sowie Einflussgrößen mit Bezug zur kommunalen Haushaltslage erörtert werden.

Methode / Method

Die Analyse erfolgte mittels Qualitative Comparative Analysis (QCA). Die Methode wurde wegen ihrer Eignung ausgewählt, das komplexe Zusammenspiel mehrerer Bedingungen gleichzeitig abzubilden. Als Datengrundlage der Untersuchung diente ein aus den kommunalen Pflegeplanungen sowie den sozioökonomischen Daten der Jahre 2013 bis 2020 generierter Datensatz. Als Outcome wurde das Vorliegen einer verbindlichen Pflegeplanung herangezogen. Die Variablen wurden in einem ersten Schritt durch Kalibrierung in ein Crisp Set überführt und die Bedingungen zu Konfigurationen zusammengefasst. In einem zweiten Schritt wurden die Konfigurationen mittels Boolescher Algebra auf ihren Kern minimiert.

Ergebnisse / Results

Insgesamt liegen Daten von 51 Kommunen in NRW vor. Für zwei Kreise konnte keine Pflegeplanung eingesehen werden. Der aktuelle Auswertungsstand der Daten lässt vermuten, dass neben der Möglichkeit, die Pflege der Bevölkerung kommunal kleinräumig am tatsächlichen Bedarf auszugestalten, durchaus auch in Teilen das Instrument genutzt wird, um Eingriffe am Pflegemarkt vorzunehmen.

Zusammenfassung / Conclusion

Die vorliegende Untersuchung erweitert die bisherige Literatur zu den Auswirkungen der verbindlichen Pflegeplanung um empirische Befunde.


AutorInnen
Karsten Rohlf, Bergische Universität Wuppertal
Juliane Köberlein-Neu, Bergische Universität Wuppertal