Vortragssitzung

Evaluation von Gesundheitsleistungen 3

Vorträge

Gesundheitsökonomische Evaluation einer modellhaften Vollimplementierung von Shared Decision Making (SDM) im Krankenhaus basierend auf Routinedaten
Marie Coors, Technische Universität München

Einleitung / Introduction

Das Patientenrechtegesetz verpflichtet Ärzt:innen dazu, Patient:innen umfassend über relevante Behandlungsoptionen aufzuklären und an der Behandlungsentscheidung zu beteiligen. Die im Zuge des Innovationsfonds-Projektes „MAKING SMD A REALITY“ geförderte Vollimplementierung von Shared Decision Making (SDM) am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) Kiel soll als Modell für eine flächendeckende Implementierung von SDM in Deutschland dienen. Ziel der gesundheitsökonomischen Evaluation der Studie ist die Erstellung eines Mengengerüsts der aufgewendeten Ressourcen sowie die Berechnung der inkrementellen Kosten-Effektivitäts-Relation der SDM-Maßnahmen aus Sicht der Krankenkassen.

Methode / Method

Das Studiendesign entspricht einer quasi-experimentellen, prospektiv vergleichenden Interventionsstudie. Zu zwei Zeitpunkten (t0, t1) werden die Kosten und Outcomes der Patient:innen des Modellkrankenhauses und der aus der Datenbasis der Techniker Krankenkasse „gematchten“ Kontrollgruppe jeweils 12 Monate nachbeobachtet und verglichen. Als Effektparameter werden die Anzahl an Notfalleinweisungen, die Hospitalisierungsrate sowie die Rate präferenzsensitiver Operationen betrachtet. Die Bewertung der Kosten erfolgt entlang eines Mengengerüsts, welches die Quantifizierung und monetäre Bewertung aufgewendeter Ressourcen ermöglicht. Die Ergebnisse der Kosten-Effektivitätsanalyse werden als inkrementelle Kosten-Effektivitäts-Relation abgebildet, welche die zusätzlich entstandenen Kosten und die Wirksamkeit ins Verhältnis setzt.

Ergebnisse / Results

Als Basispopulation für die gesundheitsökonomische Analyse konnten für die Baseline-Erhebung (t0) 21.672 Patient:innen in der Datenbank der TK identifiziert werden. Das durch ein exaktes Matching bestimmte Verhältnis zwischen Interventions- und Kontrollgruppe beträgt dabei 1:5. Analog wird die Größe der Interventionsgruppe für den pandemiebedingt verkürzten Interventionszeitraum (t1), basierend auf dem aktuellen Stand des Datenaufgriffs auf 120 Patient:innen geschätzt, die respektive Kontrollgruppe auf fünfmal so groß. Die Auswertung und Analyse der Daten für die gesundheitsökonomische Evaluation werden derzeit durchgeführt. Resultate werden mit dem Ergebnisbericht der Studie im März vorliegen.

Zusammenfassung / Conclusion

Die beschriebene quasi-experimentelle Interventionsstudie ist hinsichtlich der Konsequenz mit der SDM implementiert wurde und mit Blick auf die aufgewendeten Ressourcen einzigartig in Deutschland. Die gesundheitsökonomische Analyse bietet durch eine transparente Darstellung der Methodik und der Ergebnisse die Möglichkeit, Erkenntnisse für Entscheidungsträger und Nachfolgeprojekte nutzbar zu machen und somit eine Forschungsgrundlage im Bereich innovativer Versorgungsformen zu bilden.


AutorInnen
Marie Coors, Technische Universität München
Leonie Sundmacher, Technische Universität München
Friedemann Geiger, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Kiel
Evaluation der Psychotherapie-Richtlinie: Eine Befragung von Psychotherapeutinnen und -therapeuten
Sarah Schlierenkamp, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH (EsFoMed)

Einleitung / Introduction

Aufgrund der Diskussion um Wartezeiten und inadäquate Versorgung von psychisch Erkrankten, ist im Jahr 2017 eine Strukturreform der Psychotherapie-Richtlinie in Kraft getreten. Zentrales Ziel war den Zugang zur Psychotherapie sowie den gesamten Versorgungs- und Behandlungsverlauf zu verbessern. Das vom Innovationsfonds geförderte Projekt „Evaluation der Psychotherapie-Richtlinie“ evaluiert die, mit der Reform neu eingeführten, Versorgungselemente und soll mögliche Implementierungsschwierig-keiten identifizieren. Dazu werden unter anderem Psychotherapeut*innen befragt. Die ersten Ergebnis-se dieser Befragung zur psychotherapeutischen Sprechstunde (ptS), die ein zentrales Element der Re-form darstellt, werden hier vorgestellt.

Methode / Method

Im Rahmen einer Querschnittsanalyse mit Hilfe standardisierter Fragebögen wurde erfasst, wie die neu-en Versorgungselemente in der Praxis umgesetzt werden konnten. Dazu wurde eine bundesweite reprä-sentative Stichprobe von 1.700 Psychotherapeut*innen per Post befragt. Eingeschlossen wurden Psy-chotherapeut*innen, die über einen Kassensitz verfügen und in der Versorgung Erwachsener tätig sind. Der Fragebogen wurde auf Basis der Ergebnisse von Fokusgruppen sowie einer Literaturrecherche ent-wickelt. Dabei wurden auch Fragen aus bestehenden Erhebungen sowie validierte Instrumente verwen-det.

Ergebnisse / Results

An der Befragung beteiligten sich 422 Psychotherapeut*innen. Daraus ergibt sich eine Rücklaufquote von 25%. Die Mehrheit der Teilnehmenden ist weiblich (74%). Über ein Drittel der Befragten (36%) sind zwischen 51 und 60 Jahre alt. Die im Anschluss an eine ptS am häufigsten empfohlene Maßnahme mit über der Hälfte der Befragten (58%) ist die Verhaltenstherapie. Eher selten empfohlen werden Selbsthil-fegruppen, DiGAs sowie keine Maßnahmen. Der Aussage, dass die ptS zu einem besseren Erstzugang geführt hat, stimmen mit 37% fast ebenso viele zu wie ihr widersprechen (36%). In Bezug auf die gesam-te Reform stimmen 50% der Befragten der Aussage „Die Reform der PT-Richtlinie hat in erster Linie positive Veränderungen für die Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen bewirkt“ nicht zu, 18% stimmen zu, und 31% stimmen teils zu.

Zusammenfassung / Conclusion

In den ersten Auswertungen der Befragung der Psychotherapeut*innen zeichnet sich ein gespaltenes Meinungsbild hinsichtlich der Reform ab. So spricht sich weder eine klare Mehrheit dafür noch dagegen aus, dass der Erstzugang durch die ptS erleichtert werden konnte. Hier sind vertiefende Auswertungen bspw. Subgruppenanalysen erforderlich.


AutorInnen
Sarah Schlierenkamp, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH (EsFoMed)
Sandra Diekmann, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH (EsFoMed)
Pauline zur Nieden, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH (EsFoMed)
Carina Abels, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Anke Walendzik, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Jürgen Wasem, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Silke Neusser, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH (EsFoMed)
Leitlinienorientierte Versorgung im Indikationsstellungsprozess zum Herzkatheter beim chronischen Koronarsyndrom in Deutschland: gesundheitsökonomische Evaluation der ENLIGHT-KHK-Studie
Yana Seleznova, Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE), Uniklinik Köln

Einleitung / Introduction

Für Diagnose oder Ausschluss des chronischen Koronarsyndroms (chronic coronary syndrome, CCS) geben klinische Leitlinien Empfehlungen für den Einsatz eines Herzkatheters. Analysen der OECD und GKV-Routinedaten deuten allerdings auf eine potenzielle Abweichung von Leitlinienempfehlungen im Versorgungsalltag in Deutschland hin. Basierend auf der prospektiven, nicht-interventionellen ENLIGHT-KHK-Studie (DRKS00015638) zur Abklärung potenzieller Leitlinienabweichungen in der Indikationsstellung zum Herzkatheter bei Patient:innen mit Verdacht auf CCS in Deutschland untersucht diese Analyse die Kosten-Effektivität einer hypothetisch vollständig leitlinienadhärenten Indikationsstellung zum Herzkatheter im Vergleich zum Status quo der Leitlinienadhärenz in der klinischen Praxis aus Sicht der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Methode / Method

Es wurden 901 Patient:innen mit einem Verdacht auf CCS in 9 kardiologischen Kliniken in Nordrhein-Westfalen und Hamburg eingeschlossen (01/2019-08/2021). Zum Vergleich des hypothetisch vollständig leitlinienadhärenten Pfades (Soll-Pfad aus Leitlinienperspektive) mit dem in der klinischen Praxis beobachteten Pfad (Ist-Pfad aus empirischer Perspektive) wurde ein entscheidungsanalytisches Modell konstruiert, das vermiedene Komplikationen (z.B. Herzinfarkte) sowie Kosten der Versorgung inklusive potenzieller Komplikationen gegenüberstellt. Das Modell berücksichtigt den Grad der Leitlinienadhärenz, erfolgte bildgebende Tests (z. B. Koronar-CT), Herzkatheter, Revaskularisationen sowie potenzielle Komplikationen. Die Kosten der Versorgungspfade und der potenziellen Komplikationen wurden pro Patient:in bestimmt. Basierend auf Daten der ENLIGHT-KHK-Studie wurde die inkrementellen Kosten pro vermiedener Komplikation berechnet. Verschiedene Sensitivitätsanalysen untersuchen die Robustheit der Ergebnisse.

Ergebnisse / Results

Zwischenauswertungen deuten darauf hin, dass eine hypothetische vollständig leitlinienadhärente Indikationsstellung zum Herzkatheter dem Status quo der Leitlinienadhärenz in der klinischen Praxis ökonomisch überlegen ist: Während sich Komplikationen infolge vollständiger Leitlinienadhärenz nur marginal reduzieren (-0,0002), hätte diese im Vergleich zum realen Versorgungspfad eine Ersparnis zur Folge. Sensitivitätsanalysen bestätigen die Ergebnisse. Die vollständige Analyse wird auf der Jahrestagung präsentiert.

Zusammenfassung / Conclusion

Die ökonomische Analyse der ENLIGHT-Studie gibt Hinweise darauf, dass eine stärker leitlinienadhärente Versorgung aus Sicht der GKV bei gleichen klinischen Outcomes die Kosten reduziert. Diese Erkenntnisse können dazu beitragen Vergütungs- und Steuerungsmodelle zu konzipieren, die eine leitlinienorientierte und ressourceneffiziente Versorgung stärken.


AutorInnen
Yana Seleznova, Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE), Uniklinik Köln
Oliver Bruder, Contilia Herz- und Gefäßzentrum, Elisabeth-Krankenhaus Essen
Marie Naumann, Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE), Uniklinik Köln
Ute Windhövel, Cardiovascular European Research Center (CERC) Deutschland
Simon Loeser, AOK Rheinland/ Hamburg
Jörg Artmann, AOK Rheinland/ Hamburg
Thomas Fritz, AOK NORDWEST
Melanie Eckardt, AOK NORDWEST
Stephanie Stock, Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE), Uniklinik Köln
Bastian Wein, Med. Klinik für Kardiologie, Pneumonologie und Endokrinologie, Universitätsklinikum Augsburg
Dirk Müller, Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE), Uniklinik Köln