Vortragssitzung

Ökonomik der Pandemie 2

Vorträge

Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die psychiatrische Versorgung – eine Sekundärdatenanalyse auf der Grundlage von AOK-Versichertendaten
Alexander Engels, Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Einleitung / Introduction

Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Versorgung psychisch Erkrankter in psychiatrischen Kliniken, Tageskliniken, Institutsambulanzen und Hochschulambulanzen konnte bisher nur bruchstückhaft in einzelnen Kliniken sowie für kleinere Zeitabschnitte nachvollzogen werden. Deshalb betrachtete diese Studie auf der Grundlage von Daten des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen (WIdO) die monatliche Entwicklung der voll- und teilstationären Krankenhausfälle, die Auslastung in Hochschulambulanzen (HSA) und psychiatrischen Institutsambulanzen (PIA) sowie die Verordnung von Psychopharmaka über das gesamte Jahr 2020 im Vergleich zum jeweiligen Vorjahreszeitraum.

Methode / Method

Es wurden Fälle mit psychiatrischer Entlassdiagnose und einem Aufnahmedatum im Jahr 2020 und, zum Vergleich, 2019 berücksichtigt. Insgesamt wurden 92.945 Versicherte mit einem teilstationären, 492.622 Versicherte mit einem vollstationären, 58.740 mit einem HSA- und 542.344 mit einem PIA-Aufenthalt eingeschlossen. Es wurde die monatliche Entwicklung der Fallzahlen je Sektor sowohl absolut als auch im Verhältnis zum Vorjahreszeitraum betrachtet. Zudem wurden die Analysen stratifiziert nach dem Alter, dem Geschlecht, der Diagnosegruppe sowie dem Wohnort des Patienten durchgeführt. Die Summe der verordneten Tagesdosen an Psychopharmaka wurde im monatlichen Zeitverlauf je Wirkstoffklasse (Antidepressiva, Tranquillantien und Neuroleptika) dargestellt.

Ergebnisse / Results

Gegenüber 2019 reduzierten sich die Fallzahlen im vollstationären Sektor um 11.8%, im teilstationären Sektor um 29.6%, in der HSA um 15.6% sowie in der PIA um 4.1%. Hierbei variierte der Rückgang je nach Bundesland zwischen 9% und 19% für die vollstationären und zwischen 20% und 40% für die teilstationären Fälle. Zudem ergaben die stratifizierten Analysen, dass die Stärke des Rückgangs während der ersten und zweiten Infektionswellen sowohl mit der Diagnosegruppe als auch mit dem Alter zusammenhing. Hinsichtlich der verordneten Tagesdosen zeigte sich für das gesamte Jahr 2020 lediglich eine leichte Steigerungsrate von 1.8% gegenüber 2019, allerdings stieg das Verordnungsvolumen im März 2020 sprunghaft um ca. 28% im Vergleich zum Vorjahresmonat an.

Zusammenfassung / Conclusion

Die vorliegende Studie beziffert die massiven Einschränkungen im psychiatrischen Versorgungsalltag während der Infektionswellen sowie für das restliche Jahr 2020. Sie bestätigt, dass aufgrund der Pandemie das Leistungsvolumen stark abnahm, sodass sich ein Therapiestau bildete, der über das gesamte Jahr 2020 nicht kompensiert werden konnte. Vermutlich wurde dieser Therapiestau durch die erhöhte psychische Belastung während der Pandemie noch verschärft. Die Erkenntnisse zu regionalen, diagnosespezifischen und alterspezifischen Unterschieden liefern Ansatzpunkte für weitere Studien.


AutorInnen
Alexander Engels, Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Janine Stein, Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP), Medizinische Fakultät, Universität Leipzig
Claudia Schulz, Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Christian Günster, Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO)
Uwe Eichler, Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO)
Steffi Riedel-Heller, Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP), Medizinische Fakultät, Universität Leipzig
Hans-Helmut König, Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Auswirkungen des Lockdowns im März 2020 auf die hausärztliche Versorgung von Patient*innen mit Diabetes mellitus Typ 2
Christoph Strumann, UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Institut für Allgemeinmedizin

Einleitung / Introduction

Mit einer Prävalenz von 7% zählt Diabetes mellitus Typ 2 zu den häufigsten chronischen Erkrankungen in Deutschland. Die Patienten bedürfen einer kontinuierlichen hausärztlichen Versorgung zur Minimierung von diabetischen Folgeschäden. Es gibt Hinweise, dass diese Kontinuität im Frühjahr 2020 unterbrochen wurde, da viele chronisch erkrankte Patient*innen aufgrund der Infektionswelle mit dem Coronavirus (Sars-CoV-2) nicht in der gewohnten Frequenz zum Arzt gingen. Ziel dieser Analyse war es, mögliche Änderungen im ambulanten Inanspruchnahmeverhalten und deren Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf von Patient*innen mit Diabetes mellitus Typ 2 zu quantifizieren und zu beschreiben.

Methode / Method

Grundlage waren die Routinedaten zur Versorgung von 690 Patient*innen mit Diabetes mellitus Typ 2 aus zwei hausärztlichen Praxisgemeinschaften im ländlichen Raum Baden-Württembergs. Das zweite und dritte Quartal in 2020 als Zeitraum nach dem ersten COVID-19-Lockdown wurde mit den entsprechenden Quartalen der Vorjahre 2019 und 2018 verglichen. Die Effekte der Pandemie werden im Rahmen einer Panelregressionsanalyse bestimmt, in welcher neben individueller Effekte auf der Patientenebene ein allgemeiner Zeittrend und saisonale Effekte berücksichtigt werden.

Ergebnisse / Results

Es konnten 689 Patient*innen mit insgesamt 3951 Beobachtungen eingeschlossen werden. Die durchschnittliche Anzahl an Praxisbesuchen pro Quartal sank um 17% von 1,7 auf 1,4. Der HbA1c als Parameter für die Stoffwechsellage der Patient*innen hat sich in dieser Zeit um 1,5% von 6.9 auf 7.0 erhöht. Beide Effekte sind signifikant, auch wenn das Alter und das Geschlecht sowie die Dauer der Erkrankung, Komorbiditäten und individuelle Effekte berücksichtigt werden.

Zusammenfassung / Conclusion

Der Lockdown im März 2020 hat zu einer Verringerung des ambulanten Inanspruchnahmeverhaltens von Patient*innen mit Diabetes mellitus Typ 2 geführt. Diese Verschleppung scheint das damit einhergehende Risiko einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu erhöhen. Hausärzte sollten daher ihre chronisch erkrankten Patient*innen proaktiv kontaktieren, um die ursprüngliche Therapie wiederaufzunehmen oder anzupassen. Hierdurch könnte einer Verschlimmerung des Gesundheitszustandes entgegengewirkt- und allgemeine Gesundheitskosten eingespart werden.


AutorInnen
Christoph Strumann, UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Institut für Allgemeinmedizin
Jost Steinhäuser, UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Institut für Allgemeinmedizin
A country-level analysis comparing hospital capacity and utilisation during the first COVID-19 wave across Europe
Juliane Winkelmann, Technische Universität Berlin

Einleitung / Introduction

The exponential increase in SARS-CoV-2 infections during the first wave of the pandemic created an extraordinary overload and demand on hospitals, especially intensive care units (ICUs), across Europe. European countries have implemented different measures to address the surge ICU capacity, but little is known about the extent. The aim of this paper is to compare the rates of hospitalised COVID-19 patients in acute and ICU care and the levels of national surge capacity for intensive care beds across 16 European countries and Lombardy region during the first wave of the pandemic (28 February to 31 July).

Methode / Method

For this country level analysis, we used data on SARS-CoV-2 cases, current and/or cumulative hospitalised COVID-19 patients and current and/or cumulative COVID-19 patients in ICU care. To analyse whether capacities were exceeded, we also retrieved information on the numbers of hospital beds, and on (surge) capacity of ICU beds during the first wave of the COVID-19 pandemic from the COVID-19 Health System Response Monitor (HSRM). Treatment days and mean length of hospital stay were calculated to assess hospital utilisation.

Ergebnisse / Results

Hospital and ICU capacity varied widely across countries. Our results show that utilisation of acute care bed capacity by patients with COVID-19 did not exceed 38.3% in any studied country. However, the Netherlands, Sweden, and Lombardy would not have been able to treat all patients with COVID-19 requiring intensive care during the first wave without an ICU surge capacity. Indicators of hospital utilisation were not consistently related to the number of SARS-CoV-2 infections. The mean number of hospital days associated with one SARS-CoV-2 case ranged from 1∙3 (Norway) to 11∙8 (France).

Zusammenfassung / Conclusion

In many countries, the increase in ICU capacity was important to accommodate the high demand for intensive care during the first COVID-19 wave.


AutorInnen
Elke Berger, Technische Universität Berlin
The Willingness to be vaccinated againt COVID-19 and it’s determinants in seven european countries. Results from the ECOS study
Sebastian Neumann-Böhme, Hamburg Center for Health Economics, Universität Hamburg

Einleitung / Introduction

In November 2021, the fourth wave of the COVID-19 pandemic is hitting some European countries harder than others. On November 21st, Germany reported 586 daily new confirmed cases per million people, while it is only 207 in Portugal. One of many differences between these two countries is the share of the population that is fully vaccinated. In November 2021, about 88% of the Portuguese population were fully vaccinated, which is 21 pp above the share in Germany. To better understand differences in vaccination rates and which factors may play a role, this paper presents data on the Willingness to be vaccinated (WTV) from 7 European countries over the course of the pandemic.

Methode / Method

We report data from the European COVID Survey (ECOS) consisting of representative samples of the population in Denmark, France, Germany, Italy, Portugal, the Netherlands, and the UK (N ≈ 7000 per data collection). The data presented here consists of the eight ECOS data collection conducted from April 2020 in two-month intervals until October 2021. We elicited the WTV on a three-point scale, with respondents indicating yes/no/unsure to answer the question if they would be willing to get vaccinated against the novel coronavirus.

Ergebnisse / Results

Our results suggest that the WTV started at 74% (7% unwilling, 19% unsure) in the seven ECOS countries in April 2020, dropped to its lowest point with 60% (17% unwilling, 23% unsure) in November 2020, after which it increased to 85dgg% (11% unwilling, 4% unsure) in October 2021. Throughout the pandemic, we observed differences in the WTV between countries, with the highest levels observed in UK, Denmark and Portugal, while the WTV was lowest in France and Germany. Preliminary findings suggest that a higher income, a suspected infection, perceived higher risk of infection, the risk to the own health, the risk to the family and confidence in vaccine safety are significantly associated with a higher WTV. On the other hand, behavioural factors, such as elements of the 5C psychological antecedents of vaccination like complacency (not considering COVID a major threat) or collective responsibility (when everyone is vaccinated against the novel coronavirus, I don’t have to get vaccinated) are significantly associated with a lower WTV.

Zusammenfassung / Conclusion

Our initial findings suggest that there are country-specific differences in the WTV and individual factors associated with the WTV. Several countries are still struggling to convince parts of the population to get a vaccination against COVID-19. We believe our results can provide important insights into which messages and strategies may be able to convince people to get vaccinated against COVID-19.


AutorInnen
Sebastian Neumann-Böhme, Hamburg Center for Health Economics, Universität Hamburg
Iryna Sabat, Nova School of Business and Economics
Tom Stargardt, Hamburg Center for Health Economics, Universität Hamburg
Jonas Schreyögg, Hamburg Center for Health Economics, Universität Hamburg
Aleksandra Torbica, Bocconi University
Werner Brouwer, Erasmus University
Job Van Exel, Erasmus University
Pedro P. Barros, Nova School of Business and Economics