Vortragssitzung

Versorgungsforschung 2

Vorträge

Berechnung des Return on Investment auf Basis differenzieller Effekte – Welchen volkswirtschaftlichen Nutzen haben Rehabilitationsmaßnahmen bei Erwerbstätigen?
Lena Tepohl, IFR Ulm

Einleitung / Introduction

Bei Erwerbstätigen ist neben der Verbesserung des Gesundheitszustandes auch der Erhalt der Erwerbsfähigkeit Ziel der Rehabilitation, so dass neben einem individuellen auch ein volkswirtschaftlicher Nutzen erwartet werden darf.

Methode / Method

Ausgewertet wurden die „Beschäftigungstage“ nach Rehabilitation mittels eines fraktionalen Regressionsmodells auf Basis bekanntermaßen ergebnisrelevanter Parameter. Zusätzlich wurde der subjektive Nutzen der Rehabilitation (Fragebogenangabe) als kategoriale Variable in das Modell eingeschlossen. Dann wurden für den subjektiven Nutzen „Average Marginal Effects“-Schätzer (AME) bez. der Beschäftigungstage berechnet, um zu prüfen, ob eine höhere subjektive Nutzenbewertung mit mehr Beschäftigungstagen einhergeht.

Ergebnisse / Results

Die überwiegende Mehrheit der Rehabilitanden gab an, die Rehabilitation sei zumindest „etwas“ hilfreich gewesen. Auch bei der kategorialen Modellierung stimmt die Rangfolge der Kategorien-Schätzer mit der sprachlichen Reihenfolge überein, d.h. je höher der subjektive Nutzen, umso mehr Beschäftigungstage sind zu erwarten. So sind z.B. in der Kategorie „Reha hat sehr geholfen“ im 1. Jahr nach Rehabilitation 74,8 zusätzliche Beschäftigungstage gegenüber der Kategorie „Reha hat nicht geholfen bzw. geschadet“ zu erwarten, wenn 2 Rehabilitanden in den übrigen Parametern gleiche Werte aufweisen. Unterstellt man nun, dass eine „nutzlose“ Rehabilitation hinsichtlich des Effektes mit keiner Rehabilitation gleichgesetzt werden kann, lässt sich durch den Vergleich der Kategorien die Anzahl „gewonnener“ Beschäftigungstage abschätzen. So ergeben sich für 7.365 Rehamaßnahmen insgesamt 770.673 gewonnene Beschäftigungstage in den ersten 2 Jahren nach der Rehabilitation, d.h. 104,6 Tage je Maßnahme. Bei einem volkswirtschaftlichen Schaden von 332€ pro Arbeitsunfähigkeitstag ergibt sich ein volkswirtschaftlicher Nutzen von 34.741€. Dem stehen Aufwände von 3.400€ direkten Kosten und 3.347€ indirekten Kosten gegenüber. Durch Dividieren des Nettonutzens von 27.994€ durch die Gesamtkosten von 6.747€ ergibt sich ein ROI von 4,15.

Zusammenfassung / Conclusion

In dieser Studie steht eine Abschätzung des ROI zur Verfügung, die im Gegensatz zu anderen Studien ohne umfangreiche Vorannahmen auskommt, da der Nutzen aus realen Sozialversicherungsbeiträgen errechnet wurde. Da die gewonnenen Beschäftigungstage im 2. Jahr nur wenig unter denen des 1. lagen, ist davon auszugehen, dass auch in folgenden Jahren noch volkswirtschaftliche Effekte resultieren werden. Darüber hinaus entstehen Beitragseinnahmen der Sozialversicherung sowie positive volkswirtschaftliche Effekte aufgrund vermiedener Erwerbsminderungsrenten, die ebenfalls noch nicht berücksichtigt werden konnten. Insofern dürfte der tatsächliche ROI der Rehabilitation noch unterschätzt sein.


AutorInnen
Lena Tepohl, IFR Ulm
Sarah Leinberger, IFR Ulm
Rainer Kaluscha, IFR Ulm
Hürden und Hindernisse im Zusammenhang mit Routineimpfungen bei Patientinnen und Patienten mit chronisch-entzündlichen rheumatischen Erkrankungen (CIRD): ein Scoping Review
Pauline Birte zur Nieden, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH

Einleitung / Introduction

Patient*innen mit chronisch entzündlichen rheumatischen Erkrankungen (CIRD) haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein erhöhtes Infektionsrisiko. Eine der wirksamsten Präventionsstrategien ist die Impfung. Für Deutschland wurden jedoch niedrige Impfraten bei Betroffenen mit CIRD festgestellt. Dementsprechend gilt es, die Evidenzlage hinsichtlich der Impfbereitschaft von Patient*innen mit CIRD zu erfassen.

Methode / Method

Es wurde ein Scoping Review durchgeführt, um Hürden und Hindernisse für die Inanspruchnahme von Routineimpfungen zu ermitteln. Die systematische Recherche wurde in den Datenbanken PubMed, Embase und Cochrane Library durchgeführt. Anschließend fand eine Studienselektion anhand festgelegter Ein- und Ausschlusskriterien durch zwei Personen, unabhängig voneinander statt. Die Daten wurden mithilfe eines standardisierten Formulars extrahiert und umfassten Studienmerkmale sowie Hemmnisse und Hürden bezüglich Impfungen. Die Bewertung der Berichtsqualität erfolgte anhand von Instrumenten der McMaster University. Schließlich wurden die ermittelten Hemmnisse und Hürden systematisch erfasst, indem sie von zwei Forschenden in das Measuring Behavioural and Social Drivers of Vaccination (BeSD) Konzeptmodell der WHO eingeordnet wurden.

Ergebnisse / Results

Die Suche ergab 1.644 Treffer, von denen 30 die Einschlusskriterien erfüllten. Dabei handelte es sich um Querschnittsstudien (n=27), die Befragung durchführten sowie drei Interventionsstudien. Die Studien weisen häufig eine niedrige Berichtsqualität auf. Viele der identifizierten Studien untersuchten Hürden und Hemmnisse in Bezug auf die Influenza- und Pneumokokken-Impfung (n=11), oder nur die Influenza-Impfung (n=9). Zwei Studien befassten sich mit der Inanspruchnahme der COVID-19-Impfung. Überwiegend wurde die Sicht von Betroffenen untersucht (n=29). Die Patient*innen nennen vorwiegend verhaltensbedingte und soziale Faktoren, die ihre Impfbereitschaft negativ beeinflussen. Insbesondere Ängste vor einer Impfung bzw. eine fehlende Empfehlung und Aufklärung durch behandelnde Ärzt*innen gehören in 19 bzw. 16 Studien zu den häufigsten Hürden. Nur eine Studie befragte Rheumatolog*innen. Es zeigt sich, dass diese nicht auf die Patient*innensicht eingehen, sondern stellen ihre eigenen wahrgenommenen Hürden in den Vordergrund. Sie sehen Defizite eher in der Organisation, nennen Zeitmangel als wesentlichen Faktor, warum eine Aufklärung nicht stattfindet. Sie sehen die Verantwortung für die Durchführung einer Impfung zunächst in der Primärversorgung.

Zusammenfassung / Conclusion

Für die Entwicklung gezielter Impfstrategien ist es wichtig, Hürden und Hemmnisse bezüglich der Impfbereitschaft von Patient*innen mit CIRD zu kennen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass dem Beratungs- und Aufklärungsgespräche mit behandelnden Ärzt*innen eine zentrale Rolle zu kommt.


AutorInnen
Pauline Birte zur Nieden, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH
Silke Neusser, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH
Anja Neumann, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH
Christian Speckemeier, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH
Sarah Schlierenkamp, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH
Ute Karbach, Fakultät Rehabilitationswissenschaften, Technische Universität Dortmund
Ioana Andreica, St. Elisabeth Gruppe GmbH - Katholische Kliniken Rhein-Ruhr
Kristina Vaupel, St. Elisabeth Gruppe GmbH - Katholische Kliniken Rhein-Ruhr
Uta Kiltz, St. Elisabeth Gruppe GmbH - Katholische Kliniken Rhein-Ruhr
Eine kooperative Versorgungsform von Ärzt*innen und Pflegekräften in Pflegeheimen – eine Kosten-Nutzen-Analyse anhand von GKV-Routinedaten
Rieka von der Warth, Universitätsklinikum Freiburg

Einleitung / Introduction

In der Literatur wird zunehmend die Notwendigkeit und Wirksamkeit der systematischen Kooperation zwischen Ärzt*innen und Pflegekräften in Pflegeheimen beschrieben. Gleichzeitig gibt es wenig Evidenz zu den Kosteneinsparungen durch eine systematisch-kooperativen Versorgung in Pflegeheimen, z.B. bzgl. vermeidbarer Krankenhauseinweisungen. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es daher, eine Kosten-Nutzen-Analyse eines Modellprojekts (CoCare) zur systemisch-kooperativen Versorgung in Pflegeheimen in Baden-Württemberg vorzunehmen. Das Modellprojekt umfasst unter anderem regelmäßige Visiten im Pflegeheim, Fallkonferenzen, Medikamentenchecks sowie eine erweiterte Erreichbarkeit von Ärzt*innen.

Methode / Method

Die Analyse basiert auf den Routinedaten von insgesamt sieben gesetzlichen Krankenkassen zwischen Januar 2017 und September 2019. Die Interventionsgruppe besteht aus allen teilnehmenden Heimbewohner*innen im Modellprojekt (N=1.240), die Kontrollgruppe (KG) aus einem vergleichbaren Datensatz von Heimbewohner*innen in Baden-Württemberg (N=7.656). Mittels Propensity Score-Adjustierung nach Alter, Geschlecht und Pflegegrad wurde ein verallgemeinertes lineares Modell unter Berücksichtigung der Multi-Ebenen-Struktur genutzt, um den Umfang und die Kosten der medizinischen Leistungsinanspruchnahme pro Quartal zwischen den Gruppen zu vergleichen.

Ergebnisse / Results

Etwa 65% der Teilnehmenden der Interventionsgruppe waren weiblich (KG: 71%) und im Mittel 79 Jahre alt (KG: 84 Jahre). Quartalskosten der medizinischen Leistungsinanspruchnahme vor der Intervention lagen in der Interventionsgruppe im Mittel bei 2.647,8€, während die Kosten in der Kontrollgruppe im Mittel bei 2.570,5€ lagen. Nach der Intervention betrugen die mittleren Gesamtkosten 2.339,2€ in der Interventionsgruppe. Der regressionsanalytisch ermittelte Interventionseffekt bezüglich der Gesamtkosten der medizinischen Leistungsinanspruchnahme betrug pro Heimbewohner*in und Quartal eine Einsparung von 468,6 € [95%CI 719,0€-218,2€]. Die Krankenhaustage konnten im Mittel um 1,7 Tage [95%CI 2,1€-1,2€] pro Quartal gesenkt werden, was einem mittleren Kostenersparnis von 621,4€ [95%CI 839,3€-403,4€] für Krankenhausaufenthalte pro Quartal entspricht. Kosten für ambulante hausärztliche Versorgung stiegen im Mittel um 97,9€ [95%CI 70,2€-125,5€] pro Quartal.

Zusammenfassung / Conclusion

Es kann von einem vorteilhaften Kosten-Nutzen-Verhältnis der kooperativen Versorgung in Pflegeheimen ausgegangen werden. Ausschlaggebend ist die Reduktion kostenaufwendiger vermeidbarer Krankenhausaufenthalte und Krankentransporte, welcher erwartungsgemäß eine intensivierte ambulante Betreuung der Patient*innen durch Hausärzt*innen gegenübersteht.


AutorInnen
Rieka von der Warth, Universitätsklinikum Freiburg
Klaus Kaier, Universitätsklinikum Freiburg
Boris A. Brühmann, Universitätsklinikum Freiburg
Erik Farin-Glattacker, Universitätsklinikum Freiburg
Accountable Care in Deutschland – Informierter Dialog und strukturiertes Feedback: Ergebnisse einer Interventionsstudie
Saskia Kropp, Lehrstuhl für Gesundheitsökonomie, TU München
Wiebke Schüttig, Lehrstuhl für Gesundheitsökonomie, TU München

Einleitung / Introduction

Die freie Arztwahl und die hohe Ärztedichte in Deutschland führen dazu, dass für eine optimale Versorgung von Patient:innen eine Koordinierung zwischen den verschiedenen Fachdisziplinen erforderlich ist. Ziel der Studie Accountable Care in Deutschland (ACD) war es daher, informelle Netzwerke von Ärzt:innen zu ermitteln, die die gleiche Patient:innenpopulation behandeln, diesen Ärzt:innen auf Basis von Routinedaten ein Feedback zu ihrem Netzwerk und ihren Patient:innen zu geben sowie den Ärzt:innen die Möglichkeit zu geben, sich in moderierten Netzwerktreffen auszutauschen.

Methode / Method

Die prospektive, unverblindete, cluster-randomisierte ACD Studie umfasste eine Wirksamkeits-, Prozess- und ökonomische Analyse. Die informellen Netzwerke ambulanter Ärzt:innen wurden auf Basis von vollständigen Routinedatensätzen von vier Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) ermittelt. Analyseeinheit der Studie waren die informellen Netzwerke, die zufällig der Interventions- oder der Kontrollgruppe zugeteilt wurden. Ärzt:innen in Netzwerken der Interventionsgruppe erhielten ein Feedback zu ausgewählten Indikatoren zur Versorgung der Patient:innen in ihrem Netzwerk und wurden zu moderierten Netzwerktreffen eingeladen. Die primären Zielgrößen der Studie waren ambulant-sensitive Krankenhausfälle und die sekundären Zielgrößen bildeten die ausgewählten Indikatoren. Eine Prozessevaluation untersuchte mögliche Kausalfaktoren sowie förderliche Aspekte und Barrieren für die Akzeptanz der ACD-Interventionselemente.

Ergebnisse / Results

Die 200 randomisierten ACD-Netzwerke bestanden aus 12.525 Ärzt:innen und ihren 1,3 Millionen geteilten Patient:innen. Im Rahmen der Studie fanden 163 Netzwerktreffen mit 787 Teilnahmen statt. Insgesamt wurden 31.457 Netzwerkinformationen an die Ärzt:innen versendet. Basierend auf den vorläufigen Ergebnissen der ACD-Studie konnte kein signifikanter Effekt hinsichtlich der Wirksamkeit in den primären und sekundären Zielgrößen nachgewiesen werden. Insgesamt deuten die Ergebnisse der Prozessevaluation darauf hin, dass Ärzt:innen den kollegialen Austausch als sinnvoll und nützlich für die eigene Arbeit erachteten, wenngleich anfängliche Skepsis hinsichtlich Motivation und Ziel der ACD-Studie bestanden.

Zusammenfassung / Conclusion

In den vorläufigen Ergebnissen konnte kein Effekt für die Patient:innen durch die ACD-Intervention nachgewiesen werden, die Elemente der Intervention wurden jedoch bei ambulanten Ärzt:innen häufig als positiv eingeschätzt. Die geringen Teilnahmezahlen an den Netzwerktreffen sind dabei als eine große Herausforderung zu nennen, Zeit und Motivation sind Kernelemente, die für eine wirksame Umsetzung der ACD-Studie notwendig waren.


AutorInnen
Ronja Flemming (für das ACD Konsortium), Lehrstuhl für Gesundheitsökonomie, TU München
Leonie Sundmacher (für das ACD Konsortium), Lehrstuhl für Gesundheitsökonomie, TU München
Saskia Kropp (für das ACD Konsortium), Lehrstuhl für Gesundheitsökonomie, TU München
Wiebke Schüttig (für das ACD Konsortium), Lehrstuhl für Gesundheitsökonomie, TU München