Vortragssitzung

Versorgungsforschung 3

Vorträge

Association between Healthcare Costs and Low-value Medication in Dementia
Moritz Platen, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Standort Greifswald

Einleitung / Introduction

Low-value medications stiften keinen hinreichend gesicherten oder lediglich einen geringen Nutzen, können einen vermeidbaren Schaden bewirken und rechtfertigen somit nicht mehr die entstandenen Kosten. Insbesondere bei der multimorbiden Gruppe der Menschen mit Demenz kann die Behandlung mit Low-value medications zu schlechten gesundheitlichen Outcomes führen und somit hohe Gesundheitskosten zur Folge haben. Ziel der Studie war es, die Assoziation zwischen der Behandlung mit Low-value medications und den Gesundheitskosten von Menschen mit Demenz aus der Perspektive der Kostenträger zu analysieren.

Methode / Method

Die Querschnittsanalyse basierte auf n=516 Menschen mit Demenz der DelpHi-MV-Studie („Demenz: lebenswelt- und personenkonzentrierte Hilfen in Mecklenburg-Vorpommern“). 14 Low-value medication-Behandlungen wurden in den DelpHi-MV-Daten gemessen. Die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen sowie standardisierte Einheitskosten wurden zur Berechnung der Gesundheitskosten verwendet. Multivariable lineare Regressionsmodelle wurden genutzt, um den Zusammenhang zwischen der Behandlung mit Low-value medications und den Gesundheitskosten zu analysieren.

Ergebnisse / Results

31% (n = 159) der Menschen mit Demenz wiesen mindestens eine Low-value medication-Behandlung auf. Sie waren etwas jünger und hatten eine Demenz im Frühstadium. Die Behandlung mit Low-value medications war ferner mit höheren Gesundheitskosten für die Kostenträger verbunden, da die Kosten für die medizinische Versorgung signifikant höher waren (b=2.520€; CI95% 1.252€ - 3.788€). Das zeigte sich insbesondere in den höheren Kosten für die stationäre Behandlung (b=1.576€; CI95% 424€ - 2.728€) sowie höheren Medikationskosten (b=784€; CI95% 466€ - 1.101€).

Zusammenfassung / Conclusion

Low-value medications werden bei Menschen mit Demenz eingesetzt. Die Behandlung ist mit höheren Kosten für die Kostenträger assoziiert und könnte damit das gesamte Gesundheitssystem erheblich belasten. Innovative Ansätze sind erforderlich, um den Einsatz von Low-value medications zu reduzieren. Dies würde sowohl zu einer Verbesserung der medikamentösen Versorgungqualität bei Menschen mit Demenz als auch zu einer Vergrößerung der finanziellen Handlungsspielräume der Kostenträger führen.


AutorInnen
Moritz Platen, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Standort Greifswald
Steffen Fleßa, Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement, Universität Greifswald
Wolfgang Hoffmann, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Standort Greifswald & Institut für Community Medicine / Abt. Versorgungsepidemiologie und Community Health, Universitätsmedizin Greifswald
Bernhard Michalowsky, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Standort Greifswald
Leitliniengerechte Versorgung am Beispiel von bildgebenden Verfahren bei unspezifischen Rückenschmerzen zwischen 2010 und 2020 anhand von GKV-Abrechnungsdaten
Katharina Achstetter, Technische Universität Berlin

Einleitung / Introduction

Eine leitliniengerechte Versorgung bezeichnet die Behandlung von bestimmten Erkrankungen gemäß der von den entsprechenden Fachgesellschaften entwickelten Leitlinien auf Grundlage der aktuellen medizinischen Wissenschaft und Evidenz. Die 12-Monats-Prävalenz von Rückenschmerzen in Deutschland liegt laut Robert Koch-Institut im Jahr 2020 bei 61,3%. Unspezifische Rückenschmerzen bezeichnen alle Arten des Rückenschmerzes, für die keine spezifische Ursache identifiziert werden kann, und stellen den größeren Anteil der Rückenschmerzen dar. Ursächlich gelten psychologische, soziale und biophysikalische Faktoren. Die leitliniengerechte Versorgung bei unspezifischem Rückenschmerz zielt unter anderem auf eine Reduktion der Überversorgung mit diagnostischen Bildgebungsverfahren ab und empfiehlt einen Verzicht auf bildgebende Verfahren (Röntgen, MRT, CT) bei akuten unspezifischen Rückenschmerzen.

Methode / Method

Die Analyse erfolgte anhand von bundesweiten und krankenkassenübergreifenden vertragsärztlichen Abrechnungsdaten der Jahre 2009 bis 2020. Identifiziert wurden alle Personen mit unspezifischen Rückenschmerzen (M.54.9 Rückenschmerzen, nicht näher bezeichnet) ohne entsprechende Diagnose im vorangegangenen Jahr. Weiterhin wurden davon alle Personen mit einem bildgebenden Verfahren der Wirbelsäule oder von Teilen der Wirbelsäule im jeweiligen Betrachtungsjahr (EBM-Positionen 34221, 34222, 34311 und 34411) identifiziert. Die Auswertung erfolgt einerseits mit direktem Fallbezug (Bildgebungsverfahren und Diagnose in einem Fall) und andererseits mit Jahresbezug (Bildgebung und Diagnose in einem Jahr).

Ergebnisse / Results

Im Zeitraum von 2010 bis 2020 ist ein Rückgang um 48% (von 227.448 auf 118.802) bei der absoluten Anzahl an Personen mit neu diagnostizierten unspezifischen Rückenschmerzen zu erkennen. Gleichermaßen nimmt die Anzahl von Bildgebungsverfahren bei neu diagnostizierten Personen mit unspezifischen Rückenschmerzen um 53% (von 67.231 auf 31.529) bzw. 39% (von 14.854 auf 9.039) im Jahres- bzw. Fallbezug zwischen 2010 und 2020 kontinuierlich ab. Eine Ausnahme stellt hier der Anstieg zwischen 2019 und 2020 von 5% auf 8% mit Fallbezug bzw. von 25% auf 27% mit Jahresbezug dar.

Zusammenfassung / Conclusion

Bildgebende Verfahren an der Wirbelsäule werden bei unspezifischen Rückenschmerzen als nicht leitliniengerechte Versorgung bzw. Diagnostik eingestuft. Der Anteil an bildgebenden Verfahren bei Personen mit neu diagnostizierten unspezifischen Rückenschmerzen ist im Zeitraum von 2010 bis 2020 insgesamt gesunken, aber mit über einem Viertel im Jahr 2020 noch immer optimierungswürdig.


AutorInnen
Katharina Achstetter, Technische Universität Berlin
Anne Spranger, Technische Universität Berlin
Miriam Blümel, Technische Universität Berlin
Victoria Schwarzbach, Technische Universität Berlin
Sandra Mangiapane, Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung
Reinhard Busse, Technische Universität Berlin
Fördernde und hemmende Faktoren sowie sinnvolle Anwendungsbereiche von Videosprechstunden: eine systematische Übersichtsarbeit
Klemens Hoefer

Einleitung / Introduction

Insbesondere in ländlichen Regionen in Deutschland wird eine angemessene ambulante Versorgung durch eine geringere Arztdichte und lange Anfahrtswege zum Leistungserbringenden zunehmend erschwert. Eine Versorgungsform, die in diesem Kontext Abhilfe schaffen kann, ist die Videosprechstunde. Mit der hier vorgestellten systematischen Recherche, die im Rahmen des vom Innovationsfonds geförderten Projektes „Präferenzgerechter Einsatz von Videosprechstunden in städtischen und ländlichen Regionen“ durchgeführt wurde, sollen hemmende und fördernde Faktoren bei der Implementierung der Videosprechstunde erhoben sowie sinnvolle Einsatz- und Ausgestaltungsmöglichkeiten abgeleitet werden. Ziel des Projektes ist die Entwicklung von politischen Handlungsempfehlungen.

Methode / Method

Die Literaturrecherche wurde in den Datenbanken Pubmed und Embase durchgeführt. Nach Entwicklung der Suchstrategie mittels PICo-Schema (P=Population, I=Phenomenon of Interest, Co=Context), wurden jeder Kategorie relevante Suchbegriffe und MeSH-Terms bzw. Emtree Terms zugeordnet und mit Booleschen Operatoren verknüpft. Im Vier-Augen-Prinzip wurde ein Titel- und Abstract-Screening durchgeführt und nach vorher definierten Ein- und Ausschlusskriterien Studien selektiert. Potenziell geeignete Texte wurden im Volltext von zwei Wissenschaftler*innen geprüft. Abschließend erfolgte eine qualitative Auswertung mit dem Programm MAXQDA.

Ergebnisse / Results

In der systematischen Recherche wurden in 26 Studien relevante Aspekte für die Implementierung der Videosprechstunde identifiziert. Vor allem in der psychotherapeutischen Versorgung erscheint die Videosprechstunde von großer Bedeutung. Bei manchen Indikationen, wie der Depression oder Angststörungen, kann sie eine sinnvolle Therapieergänzung sein, da sie eine niedrigschwellige Behandlungsoption darstellt. Doch bei der Videosprechstunde bestehen auch problematische Aspekte, die sich aus der geografischen Distanz ergeben. Beispielsweise kann die fehlende körperliche Untersuchung die Qualität der Anamnese beeinflussen. Die Recherche hat gezeigt, dass Ärzt*innen häufig eine veränderte Arzt-Patienten-Beziehung befürchten und datenschutzrechtliche Aspekte als problematisch bewerten, wohingegen in der Wahrnehmung der Patient*innen die positiven Aspekte (z.B. Flexibilität, Effizienz und verbesserter Zugang) zumeist überwiegen.

Zusammenfassung / Conclusion

Aufgrund der sich verändernden Rahmenbedingungen (demografischer Entwicklung, Ärztemangel, fortschreitende Digitalisierung) erscheint eine umfassendere Implementierung der Videosprechstunde sinnvoll. Die Ergebnisse dienen gemeinsam mit einer Routinedatenanalyse und Fokusgruppen als Grundlage für die Gestaltung eines Discrete-Choice-Experiments, um die Präferenzen von Versicherten und Leistungserbringern für den optimalen Einsatz von Videosprechstunden zu erforschen.


AutorInnen
Theresa Hüer, Lehrstuhl für Medizinmanagement - Universität Duisburg-Essen
Jürgen Wasem, Lehrstuhl für Medizinmanagement - Universität Duisburg-Essen
Anke Walendzik, Lehrstuhl für Medizinmanagement - Universität Duisburg-Essen
Krankheitslast stationär behandelter Influenza bei älteren Menschen
Julian Witte, Universität Bielefeld, Vandage GmbH

Einleitung / Introduction

Daten zur Krankheitslast von Influenza und Influenza-ähnlichen Erkrankungen (ILI) bei älteren Menschen in Deutschland fehlt es häufig an einer Unterscheidung nach dem Vorliegen chronischer Krankheiten, oder sie geben keine detaillierten Einblicke, wie sich die Krankheitslast innerhalb der Altersgruppe von Personen ab 60 Jahren verteilt. Mit dieser Studie soll deshalb eine differenzierte Betrachtung der epidemiologischen und ökonomischen Krankheitslast stationär behandelter Influenza/ILI-Fälle bei älteren Menschen erfolgen.

Methode / Method

Auf Basis von Abrechnungsdaten einer großen deutschen Krankenkasse wurde die Krankheitslast stationär behandelter Influenza/ILI-Fälle bei Personen ≥60 Jahren für die Saisons 2016/17 bis 2018/19 untersucht. Zur Identifikation von Influenza/ILI-Fällen wurden die ICD-10-Codes J09, J10 und J11 verwendet. Bei der Analyse wurde zwischen Personen mit und ohne chronische Grunderkrankungen unterschieden.

Ergebnisse / Results

In die Analyse wurden 18.530 (2016/17), 27.833 (2017/18) und 16.490 (2018/19) Personen mit einer ambulanten oder stationären Influenza/ILI-Diagnose eingeschlossen. Die Influenza/ILI-Inzidenz betrug 691 pro 100.000 in der Saison 2016/17, 1.081 pro 100.000 in der Saison 2017/18 und 633 pro 100.000 in der Saison 2018/19. Der Anteil hospitalisierter Patienten reichte bei Verwendung von stationären Haupt- und/oder Nebendiagnosen für Influenza/ILI von 14 % (Saison 2016/17) bis 20 % (Saison 2018/19) und stieg mit dem Alter der Patienten an. Wurden nur Hauptdiagnosen berücksichtigt, lag der Anteil hospitalisierter Fälle zwischen 8 % (Saison 2016/17) und 12 % (Saison 2018/19). Der Anteil hospitalisierter Fälle war bei Patienten mit chronischen Erkrankungen höher als bei Patienten ohne chronische Erkrankungen. Die durchschnittliche Dauer des Krankenhausaufenthalts mit einer Influenza/ILI-Hauptdiagnose betrug in allen Saisons 9 Tage. Die durchschnittlichen Kosten pro Krankenhausaufenthalt (basierend auf stationären Fällen mit einer Influenza/ILI-Hauptdiagnose) reichten von 3.631 € in der Saison 2016/17 bis 4.106 € in der Saison 2018/19. Patienten mit Grunderkrankungen verursachten höhere Krankenhauskosten als Patienten ohne chronische Erkrankungen (z. B. 4.205 € vs. 2.756 € in der Saison 2018/19).

Zusammenfassung / Conclusion

Die Auswertung von Krankenkassenabrechnungsdaten konnte zeigen, dass ein bedeutender Anteil älterer Menschen mit Influenza/ILI hospitalisiert wird. Zugrundeliegende chronische Erkrankungen gingen mit höheren Hospitalisierungsquoten und -kosten einher. In zukünftigen Analysen sollte daher ein stärkerer Fokus auf der Differenzierung von Personen mit und ohne chronische Erkrankungen liegen.


AutorInnen
Julian Witte, Universität Bielefeld, Vandage GmbH
Manuel Batram, Universität Bielefeld, Vandage GmbH
Oliver Damm, Sanofi-Aventis Deutschland GmbH
Rolf Kramer, Sanofi-Aventis Deutschland GmbH
Wolfgang Greiner, Universität Bielefeld