Vortragssitzung

Analyse von Routinedaten

Vorträge

Krankenhausaufenthalte und Antibiotikagaben von Kindern MS-kranker Mütter im Vergleich zu Kindern nicht MS-kranker Mütter ─ eine Routinedatenanalyse
Kathrin Pahmeier, Universität Duisburg-Essen

Einleitung / Introduction

In Deutschland leben mehr als 200.000 Menschen mit Multipler Sklerose (MS), wobei Frauen 3,5-mal häufiger betroffen sind als Männer. Die Erstdiagnose wird meist in der 2. Lebensdekade gestellt, sodass insbesondere junge Frauen im gebärfähigen Alter an dieser Erkrankung leiden. Bislang wurde nicht systematisch untersucht, ob die zum Zeitpunkt der Schwangerschaft bereits diagnostizierte mütterliche MS-Erkrankung einen Einfluss auf das Auftreten schwerwiegender Gesundheitsereignisse beim Kind hat. Im Rahmen des vom Innovationsfonds geförderten Projektes „Kinderwunsch und MS“ (KuMS) wird daher unter anderem analysiert, inwiefern diesbezüglich Unterschiede zwischen Kindern MS-kranker Mütter und Kindern nicht MS-kranker Mütter bestehen.

Methode / Method

Die Datengrundlage bildeten Routinedaten der AOK Rheinland/Hamburg. Es wurden nur Kinder von statistisch vergleichbaren Müttern mit MS und Müttern ohne MS betrachtet. Mittels eines 1:2 Propensity-Score-Matchings und anhand vordefinierter Kriterien (Alter der Mutter bei Entbindung, Versichertenstatus, Schwangerschaftsausgang, Schwangerschaftskomplikationen) wurden den Müttern mit MS statistische Zwillinge ohne MS zugewiesen, deren Kinder in den Vergleich eingeschlossen wurden. Die Routinedaten der Kinder umfassten Daten aus den Leistungsbereichen stationäre Versorgung, ambulante Krankenhausversorgung, ambulant-ärztliche Versorgung, Arzneimittel, Heilmittel und Rehabilitation. Die Daten des Zeitraums zwischen der Geburt des Kindes bis maximal einschließlich des 7. Lebensjahres wurden zur Auswertung herangezogen. Die Analysen zielten unter anderem auf Unterschiede hinsichtlich der Krankenhausaufenthalte, Antibiotikaverschreibungen und Kosten der beiden Vergleichsgruppen.

Ergebnisse / Results

In der Analyse konnten die Daten von 1.174 Kindern von 1.109 Müttern ausgewertet werden. Die Frühgeburtenrate lag in der MS-Gruppe mit 10 % minimal höher als in der non-MS-Gruppe (7,8 %). 491 Kinder (42,9 % MS, 41,3 % non-MS) waren mindestens einmal im Krankenhaus. 807 Kinder (70,2 % MS, 65,8 % non-MS) haben mindestens einmal ein Antibiotikum verschrieben bekommen. Hinsichtlich der Krankenhausaufenthalte und der Antibiotikaverschreibungen konnte in bivariaten Analysen kein statistisch signifikanter Zusammenhang zur MS-Erkrankung der Mutter festgestellt werden.

Zusammenfassung / Conclusion

Diese Untersuchung leistet einen wichtigen Beitrag, um herauszufinden, inwiefern Kinder von MS-erkrankten Frauen im Vergleich zu Kindern von nicht an MS erkrankten Frauen Unterschiede in der Anzahl ihrer Krankenhausaufenthalte und Antibiotikaverschreibungen (als zwei Indikatoren für schwerwiegende Gesundheitsereignisse) aufweisen. Auch können vorsichtige Hinweise gegeben werden, inwiefern eine Arzneimitteltherapie der an MS erkrankten Mutter zu Auffälligkeiten in der Kindesentwicklung führen können.


AutorInnen
Kathrin Pahmeier, Universität Duisburg-Essen
Kerstin Hellwig, Klinikum Bochum
Nina Timmesfeld, Ruhr-Universität Bochum
Olga Dortmann, AOK Rheinland/Hamburg
Anja Neumann, Universität Duisburg-Essen
Routinedatenanalyse im Rahmen des Innovationsfondsprojektes „Präferenzgerechter Einsatz von Videosprechstunden in ländlichen und städtischen Regionen (PräVi)“
Theresa Hüer, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen

Einleitung / Introduction

Insbesondere in ländlichen Regionen wird eine angemessene ambulante Versorgung durch eine geringere Arztdichte und lange Anfahrtswege erschwert. Aber auch städtische Regionen können bspw. durch steigende Wartezeiten von Versorgungsdefiziten betroffen sein. Ein Versorgungsmodell, das Abhilfe schaffen soll, ist die Durchführung von Videosprechstunden. Mit der hier vorgestellten Routinedatenanalyse, die im Rahmen des Innovationsfondsprojektes „Präferenzgerechter Einsatz von Videosprechstunden in ländlichen und städtischen Regionen“ durchgeführt wurde, sollen der Einsatz von Videosprechstunden sowie die Charakteristika der Nutzergruppen erhoben werden.

Methode / Method

Um die Perspektiven der Versicherten und Leistungserbringer*innen vollständig abbilden zu können, werden Routinedaten der am Projekt beteiligten Krankenkassen (Techniker Krankenkasse, AOK Nordost, AOK NordWest) und Kassenärztlichen Vereinigungen für die Regionen Westfalen Lippe, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Berlin für den Zeitraum April 2017 bis Ende 2020 herangezogen. Neben Daten zur Inanspruchnahme von Videosprechstunden werden Versichertenstamm- und Diagnosedaten einbezogen. In der Analyse der KV-Daten sollen zudem typische Arztgruppen und soziodemographische Merkmale der Leistungserbringer*innen ermittelt werden. Auch der Einfluss des Wohn- bzw. Praxisstandortes auf die Nutzung von Videosprechstunden wird untersucht. Es werden deskriptive Analysen, differenziert nach Subgruppen (Versicherte: Altersklasse, Geschlecht, Personengruppe, Regionstyp; Leistungserbringer*innen: Facharztgruppe, Altersklasse, Geschlecht, Betriebsform und Anstellungstätigkeit, Regionstyp), durchgeführt.

Ergebnisse / Results

In den Jahren 2017 bis 2019 spielt die Videosprechstunde nahezu keine Rolle in der ambulanten Versorgung. Erst seit Beginn der Covid-19-Pandemie ist die Inanspruchnahme um ein Vielfaches gestiegen: im 1. Quartal 2020 hat diese in allen betrachteten KV-Regionen einen enormen Abrechnungsschub erfahren; dies hat sich im 2. Quartal fortgesetzt. Vom 2. bis zum 3. gab es einen Rückgang, wobei die Abrechnungshäufigkeiten dann im 4. Quartal wiederum stark angestiegen sind. Psychotherapeutische Leistungen machten bei den per Videosprechstunde erbrachten Leistungsgruppen den größten Anteil aus. Behandlungsfälle, in denen ausschließlich Videokontakte stattfanden, kamen vorwiegend bei Psychotherapeuten und hausärztlich tätigen Ärzten vor.

Zusammenfassung / Conclusion

Die flächendeckende und langfristige Nutzung wird nur gelingen, wenn Versicherte und Leistungserbringer*innen diese Form der Leistungserbringung akzeptieren und Vorteile darin erkennen. Deshalb werden im Projekt PräVi weitere Methoden (Fokusgruppen, Befragungen mit Discrete-Choice-Experimenten) genutzt, um deren Präferenzen für den optimalen Einsatz von Videosprechstunden zu erforschen.


AutorInnen
Theresa Hüer, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Jürgen Wasem, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Klemens Höfer, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Udo Schneider, Techniker Krankenkasse
Anja Wadeck, Techniker Krankenkasse
Carolin Polte, AOK Nordost
Katharina Schwarze, AOK NordWest
Pascal Pettke, AOK NordWest
Beatrice Nauendorf, KV Berlin
Juliane Malsch, KV Berlin
André Aeustergerling, ´KV Mecklenburg-Vorpommern
Paul Brandenburg, KV Schleswig-Holstein
Matthias Brittner, KV Westfalen-Lippe
Anke Walendzik, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Leitfragen zur Verwendung von Routinedaten der Gesetzlichen Krankenversicherung
Udo Schneider, Techniker Krankenkasse

Einleitung / Introduction

Die Nutzung von Routinedaten in der Versorgungsforschung nahm in den vergangenen Jahren stetig zu. Stellvertretend sei auf Projekte des Innovationsfonds verwiesen, bei denen die Daten der Gesetzlichen Krankenkassen für die Analyse des Versorgungsgeschehens oder die Evaluation neuer Versorgungsformen verwendet werden. Neben dieser Nutzung oder der durch die Krankenkassen selbst, stehen diese Daten prinzipiell für weitere Vorhaben zur Verfügung. Hierbei - so zeigt die Erfahrung - stellt aus Sicht der klinischen Forschung die mangelnde Kenntnis über das Potential der Sekundärdatenanalyse die größte Hürde dar. Das vorgestellte Projekt soll Forschenden beim Einstieg in die Sekundärdatenwelt eine Orientierung geben. Dazu werden Leitfragen formuliert, mit Hilfe derer im Rahmen einer Anfrage an den Datenhalter, bspw. eine Krankenkasse, möglichst umfassend auf zu prüfende Tatbestände eingegangen werden kann.

Methode / Method

Ziel des Projekts war es, Leitfragen zu erarbeiten, die Forschende dabei unterstützen können, zu überprüfen, ob die adressierte Forschungsfrage mithilfe von GKV-Routinedaten beantwortet werden kann. Die Leitfragen reichen von der Formulierung der Fragestellung über die Definition der Zielpopulation und ggfs. einer Kontrollgruppe bis hin zur Skizzierung des für die Beantwortung der Fragestellung benötigten Datenkranzes. Die Leitfragen werden flankiert durch Hinweise auf datenschutzrechtlich relevante Aspekte bei Anträgen auf Datenübermittlung.

Ergebnisse / Results

Die Leitfragen umfassen Punkte wie die Informationen zur Zielpopulation und den zu untersuchenden Versorgungssektoren, zeitliche und regionale Abgrenzungen, erforderliche Merkmale für den Aufgriff der Analysepopulation oder auch Hinweise zur Begründung von benötigten Variablen und Formaten. Dabei soll nicht eine einheitliche und abschließende Checkliste entworfen werden. Vielmehr ist das Ziel der Arbeit, Forschende in die Lage zu versetzen, Datenanfragen an die datenhaltende Institution aus ihrer spezifischen (klinischen) Sicht möglichst vollständig zu formulieren, um ein beiderseitiges Verständnis der Forschungsfrage und der Notwendigkeit der Nutzung von Routinedaten für ein gemeinsames Versorgungsprojekt zu erzielen.

Zusammenfassung / Conclusion

Ziel der Arbeit ist es, Empfehlungen in Form von Leitfragen für Anträge an datenhaltende Institutionen zu formulieren. Dabei stehen sowohl die Forschenden als auch die Krankenkassen als angesprochene Eigentümer der Daten im Fokus. Für Forschende stellen die Leitfragen eine Hilfestellung bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Anträge dar, während für Krankenkassen der Vorteil darin besteht, dass der Bezug der Forschung zu den GKV-Routinedaten dargestellt wird und sich die (Vor-)Prüfung von Anträgen sowohl aus thematischer Sicht als auch aus datenbezogenen und datenschutzrelevanten Aspekten vereinfacht.


AutorInnen
Udo Schneider, Techniker Krankenkasse
Peter Ihle, PMV forschungsgruppe
Verena Vogt, Technische Universität Berlin
Differenzierung klinischer Behandlungspfade in GKV-Routinedaten am Beispiel der Notfallversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung
Dirk Horenkamp-Sonntag, Techniker Krankenkasse

Einleitung / Introduction

In den Notaufnahmen deutscher Krankenhäuser werden jährlich 20 Mio. Patienten versorgt. Um deren bestmögliche Versorgung zu sichern, müssen Struktur-, Ergebnis- und Prozessqualität standardisiert erfasst und ausgewertet werden. Dies erfolgte bislang nur unzureichend. Das Projekt ENQuIRE unter-sucht daher die Art des Einflusses bestimmter Qualitätsindikatoren auf die Ergebnisqualität der Versorgung. Um die spätere Ergebnis-Interpretation besser verstehen zu können, wird eine Nullmessung mit GKV-Routinedaten im Sinne einer Referenzmessung durchgeführt.

Methode / Method

Auf Basis von TK-Abrechnungsdaten (n= 10,8 Mio. Versicherte) wird analysiert, wie viele Versicherte differenziert nach Alter, Geschlecht, Mortalität und Wohnort eine Notfallbehandlung im ambulanten Setting hatten und inwiefern sich dabei Unterschiede hinsichtlich des Orts der Leistungserbringung (Krankenhaus vs. Arztpraxis) mit der Systematik der Betriebsstättennummern (BSNR) extrahieren lassen.

Ergebnisse / Results

Für das Untersuchungsjahr 2019 wurden 1.570.884 Versicherte (Prävalenz von 14,6%) identifiziert, bei denen eine ambulante Notfallbehandlung in einer Notaufnahme (n = 1.400 Krankenhäuser) oder einer Arztpraxis (n = 35.001 Praxen) in Anspruch genommen worden ist. Von diesen Versicherten sind im selben Jahr 45.714 (2,9%) verstorben. Bei Jungen ≤ 10 Jahre (27,4%) ist die Notfallinanspruchnahme größer als bei Mädchen (24,1%), bei Frauen im Alter von 21-40 Jahre (16,5%) größer als bei gleichaltrigen Männern (12,5%), ansonsten sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede nicht so ausgeprägt. Bei Kindern ≤ 10 Jahre wird bei einem Notfall häufiger eine Arztpraxis aufgesucht (16,4% vs. 13,6%), während alle anderen Altersgruppen vermehrt ein Krankenhaus aufsuchen. Krankenhäuser mit hoher Fallzahl (≥ 2.000 Versicherte pro Jahr) machen einen Anteil von 7,1% an allen Krankenhäusern aus und behandeln 28,4% aller Versicherten, während Arztpraxen mit niedriger Fallzahl (< 5) einen Anteil von 38,0% an allen Praxen ausmachen, aber nur 3,1% aller Versicherten behandeln. Die Prävalenz einer Notfallbehandlung im Krankenhaus ist in den Stadtstaaten Hamburg (10,2%) und Berlin (11,4%) und in Rheinland-Pfalz wesentlich größer als in einer Arztpraxis (6,4% / 3,3%/ 4,5%). In Thüringen ist der Effekt genau entgegengesetzt: dort ist die Arztpraxis-Prävalenz (11,6%) um ein vielfaches höher als die Krankenhaus-Prävalenz (2,3%).

Zusammenfassung / Conclusion

Mit GKV-Routinedaten lässt sich sektorenübergreifend die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen transparent darstellen und in demographischen Subgruppen sowie regional ausdifferenzieren. Dieses gelingt mit Primärdatenerhebungen nur unter Inkaufnahme von Bias-Effekten. Allerdings lässt sich die Notaufnahme als Ort der Leistungserbringung in GKV-Routinedaten nicht vollständig eindeutig abgrenzen.


AutorInnen
Dirk Horenkamp-Sonntag, Techniker Krankenkasse
Aaron Smith, Techniker Krankenkasse
Oliver Riedel, Techniker Krankenkasse
Kathrin Thöne, Techniker Krankenkasse
Udo Schneider, Techniker Krankenkasse
Martin Möckel, Charité Universitätsmedizin Berlin, Notfallmedizinische Versorgungsforschung / Notfall- und Akutmedizin CVK, CCM
Anna Slagman, Charité Universitätsmedizin Berlin, Notfallmedizinische Versorgungsforschung / Notfall- und Akutmedizin CVK, CCM