Vortragssitzung

Versorgungsforschung 1

Vorträge

Patient Journey von Menschen mit Down-Syndrom und Demenz: Zugang zur und Schnittstellen in der medizinischen Versorgung– Ergebnisse von leitfadengestützten Experteninterviews
Anke Walendzik, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH (EsFoMed)

Einleitung / Introduction

Menschen mit Down-Syndrom (MmDS) haben im Vergleich zur normativen Bevölkerung genetisch bedingt ein deutlich erhöhtes Risiko, an einer Early Onset Alzheimer-Demenz zu erkranken. Dadurch ergeben sich sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie besondere Herausforderungen sowie die Notwendigkeit einer zielgruppenspezifischen Patient Journey, die derzeit in der Regelversorgung nicht ausreichend Berücksichtigung finden. Im Rahmen einer Interviewstudie mit medizinischen Leitungserbringenden, Vertreter*innen von Selbsthilfeorganisationen und Wohn- und Arbeitseinrichtungen als Baustein des Innovationsfondsprojektes „DS-Demenz“ (01VSF21030) wurden Hürden und Hemmnisse im medizinischen Versorgungsprozess der Zielgruppe und Ansätze zu ihrer Überwindung erhoben. Die hier vorzustellenden Ergebnisse fokussieren auf Zugang zur und Schnittstellengestaltung in der medizinischen Versorgung der Zielgruppe.

Methode / Method

Es wurden insgesamt 14 Interviews mit Personen der genannten Stakeholder-Gruppen zwischen Mai und August 2023 durchgeführt. Grundlage war ein an die jeweilige Personengruppe angepasster auf Basis eines Scoping Reviews und einer Routinedatenanalyse erstellter teilstrukturierter Gesprächsleitfaden. Die Leitfadeninterviews wurden von einem Moderatorinnenteam per Videokonferenz durchgeführt, aufgezeichnet und transkribiert. Die Auswertung erfolgte mittels des Programms MAXQDA über eine qualitative Inhaltsanalyse in Anlehnung an Mayring.

Ergebnisse / Results

Im Zugang zur Diagnostik wurde von Verzögerungen durch Schwierigkeiten bei der Symptomerkennung durch Betreuende aufgrund der Komorbidität DS berichtet. Bei Erstzugang und Weiterleitung im Rahmen der Patient Journey zeigten sich relevante Hürden aufgrund häufig begrenzter medizinischer Kenntnisse über Erkrankungsrisiko und -ausprägung in der Regelversorgung und eines unzureichenden Angebots spezialisierter Leistungserbringender. Das vorhandene Angebot an spezialisierter Versorgung war häufig sowohl bei medizinischen Leistungserbringenden als auch bei Betreuenden nicht ausreichend bekannt. Auch in der Heilmitteltherapie wurde ein unzureichendes Angebot spezialisierter Leistungserbringender deutlich. Ein Schwerpunkt der Verbesserungsvorschläge lag auf einer gezielteren Patientensteuerung aus einer Hand durch das Versorgungssystem und einfach zugänglicher Information für Patient*innen und ihre Betreuenden sowie auf einer verbesserten Schulung der ärztlichen Leistungserbringenden.

Zusammenfassung / Conclusion

Die hier identifizierten Hürden und Hemmnisse im Versorgungsprozess der Zielpopulation sowie die Lösungsansätze zu ihrer Überwindung gehen in die Entwicklung gesundheitspolitischer Handlungsempfehlungen im Rahmen des Forschungsprojekts ein, um die Versorgungssituation Betroffener nachhaltig zu optimieren.


AutorInnen
Anke Walendzik, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH (EsFoMed)
Milena Weitzel, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Jürgen Wasem, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Johannes Levin, Department of Neurology, LMU University Hospital, LMU Munich, Munich, Germany; German Center for Neurodegenerative Diseases, Site Munich, Munich, Germany; Munich Cluster for Systems Neurology (SyNergy), Munich
Olivia Wagemann, Department of Neurology, LMU University Hospital, LMU Munich, Munich, Germany; German Center for Neurodegenerative Diseases, Site Munich, Munich, Germany; Munich Cluster for Systems Neurology (SyNergy), Munich
Elisabeth Wlasich, Department of Neurology, LMU University Hospital, LMU Munich, Munich, Germany; German Center for Neurodegenerative Diseases, Site Munich, Munich, Germany; Munich Cluster for Systems Neurology (SyNergy), Munich
Johannes Pantel, Institut für Allgemeinmedizin, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Frankfurt am Main
Valentina Tesky, Institut für Allgemeinmedizin, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Frankfurt am Main
Arthur Schall, Institut für Allgemeinmedizin, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Frankfurt am Main
Theresa Hüer, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Georg Nübling, Department of Neurology, LMU University Hospital, LMU Munich, Munich, Germany; German Center for Neurodegenerative Diseases, Site Munich, Munich, Germany; Munich Cluster for Systems Neurology (SyNergy), Munich
Entwicklung eines Wirkmodells (Logic Model) im Rahmen der Evaluation einer kurzstationären allgemeinmedizinischen Versorgungsform
Johannes Jahn, Universität Hamburg (HCHE)

Einleitung / Introduction

Die Versorgung einer älter werdenden Bevölkerung geht mit zahlreichen Herausforderungen und Problemen, wie beispielsweise Fehl- und Unterversorgung sowie Qualitätseinbußen, einher. Um diesen Problemen entgegenzuwirken, bedarf es innovativer Versorgungsmodelle für eine effiziente und bedarfsorientierte Transformation des ambulant-stationären Patientenpfads. Ziel des durch den Innovationsfonds des G-BA geförderten Projektes STATAMED ist die Implementierung einer interdisziplinären, regional-vernetzten, allgemeinmedizinischen und kurzstationären Versorgungform. Die Umsetzung erfolgt an drei ländlichen und drei urbanen Standorten. Interdisziplinäre Kommunikation und Versorgungskoordination sind obligate Bestandteile der neuen Versorgungsform. Ziel ist eine medizinisch angemessene und gleichermaßen effiziente Versorgung, insbesondere älterer Patient:innen, sicherzustellen. Die vorliegende Studie entwickelt ein Wirkmodell als theoretisch-konzeptionelle Grundlage der Evaluation. Das Wirkmodell stellt die kausalen Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Interventionselementen und Zielen der neuen Versorgungsform (u. a. Reduktion von Verweildauer und Re-Hospitalisierung als primärer kombinierter Endpunkt) dar.

Methode / Method

Die Entwicklung des Wirkmodells (Logic Model) erfolgte gemäß anerkannten wissenschaftlichen Standards in einem mehrstufigen, partizipativen Prozess: 1) wissenschaftlich fundiertes Grundgerüst des Wirkmodells mittels Literaturrecherche, Evidenzaggregation und Diskussionen innerhalb des Evaluationsteams, 2) Fokusgruppe 1 mit Vertreter:innen der teilnehmenden Standorte zur Validierung aus Praxisperspektive, 3) Fokusgruppe 2 mit Evaluationsexpert:innen zur Validierung aus Wissenschaftsperspektive. Die Transkripte der Fokusgruppen wurden mit MAXQDA ausgewertet

Ergebnisse / Results

Das Wirkmodell betrachtet die neue Versorgungsform aus unterschiedlichen Perspektiven. Die GKV-Perspektive beleuchtet Endpunkte, die auf Basis der GKV-Routinedaten gemessen werden können. Hierzu zählt auch der primäre kombinierte Endpunkt aus Verweildauer und Re-Hospitalisierung. Die Versichertenperspektive fokussiert auf selbstberichtete Endpunkte der Patienten, die mittels Befragung gewonnen werden, z. B. Patientenerfahrung und gesundheitsbezogene Lebensqualität. Die Leistungserbringerperspektive analysiert u. a. die Auswirkungen auf Arbeitslast, Arbeitszufriedenheit und Akzeptanz der Intervention. Die Interaktionen zwischen diesen drei Perspektiven werden ebenfalls dargestellt.

Zusammenfassung / Conclusion

Das Wirkmodell wird die Grundlage für die Ergebnisinterpretation bilden und maßgeblich zur Erklärung des beobachteten Interventionseffektes beitragen. Es ist somit ein entscheidender Baustein, um die Auswirkung der neuen Versorgungsform auf die Versorgungsqualität bewerten zu können.


AutorInnen
Johannes Jahn, Universität Hamburg (HCHE)
Eva Wild, Universität Hamburg (HCHE)
Theresa Maurer, Universität Hamburg (HCHE)
Daniel Veit, Universität Hamburg (HCHE)
Identifikation und Diskussion von empirischen Patientenpfaden – Versorgung von Patient:innen mit Myokardinfarkt (Projekt PFAD)
Amelie Flothow, Fachgebiet für Gesundheitsökonomie, TU München

Einleitung / Introduction

In Deutschland erleiden jährlich mehr als 300.000 Menschen einen Herzinfarkt. Insbesondere im Jahr nach dem Infarkt besteht ein hohes Risiko eines Reinfarkts und Versterbens. Leitlinien empfehlen daher den behandelnden Ärzt:innen Myokardinfarkt-Patient:innen (MI-P) in diesem Zeitraum entsprechend der aktuellen Versorgungsstandards zu versorgen. Zudem deuten Studien darauf hin, dass auch fehlende Kenntnisse der an der Versorgung beteiligten Ärzt:innen über den Versorgungsablauf, wie die Weiterversorgung nach Entlassung aus der Klinik, die Patientensicherheit negativ beeinflussen kann. Die fehlende Steuerung von Patient:innen kann bspw. durch Doppeluntersuchungen zu erhöhten Kosten in der Versorgung der Patient:innen führen. In PFAD werden daher empirische Patientenpfade ermittelt und hinsichtlich eintretender Gesundheitsereignisse untersucht.

Methode / Method

Bundesweite Abrechnungsdaten von TK-Versicherten mit MI-P in 2018/19 werden analysiert, um empirische Patientenpfade zu identifizieren und visualisieren. Dafür werden Ereignisse unterschiedlicher Versorgungsbereiche berücksichtigt, deren Relevanz durch einen Delphi-Prozess validiert wurde. Data Mining Methoden werden angewandt, um individuelle Inanspruchnahmeabfolgen zu extrahieren. Für die Auswahl der Methodik wurde zuvor ein Scoping Review angefertigt. Paarweise Ähnlichkeiten innerhalb der Population werden berechnet, und durch Clustering-Algorithmen werden sich stärker ähnelnde Populationscluster bestimmt. Deskriptive Datenanalysen zeigen patientenseitige Unterschiede zwischen den Clustern, bspw. hinsichtlich Komorbidität, Alter und Geschlecht, und Steuerungsmöglichkeiten wie die Einschreibung in ein Disease Management Programm. Explorative und induktive Statistik ermöglicht die Berechnung von Assoziationen zu Gesundheits-Outcomes.

Ergebnisse / Results

Erste Analysen der rund 20.000 TK-Versicherten identifizierten Patientencluster, die charakteristische Versorgungsmuster hinsichtlich der Medikation, der in Anspruch genommenen Prozeduren und der ärztlichen Betreuung im Beobachtungsjahr aufweisen. Im nächsten Schritt werden die Populationscluster hinsichtlich patienten- und versorgungsrelevanter Merkmale sowie im Zusammenhang mit gesundheitlichen Ereignissen wie z.B. Reinfarkt oder Rehospitalisierung auf mögliche Steuerungsdefizite weiter untersucht. Unterschiede in der Versorgung basierend auf bestehenden Steuerungselementen wie der Hausarztzentrierten Versorgung werden aufgezeigt.

Zusammenfassung / Conclusion

Die Identifikation und Visualisierung typischer Patientenpfade ermöglicht ein vertieftes Verständnis der tatsächlichen Versorgungssituation von MI-P und lässt Muster und Unterschiede in der Inanspruchnahme erkennen. Die Erkenntnisse haben das Potential, evidenzbasiert Stellschrauben zu identifizieren, die eine Verbesserung der Versorgung erwarten lassen.


AutorInnen
Amelie Flothow, Fachgebiet für Gesundheitsökonomie, TU München
Wiebke Schüttig, Fachgebiet für Gesundheitsökonomie, TU München
Olaf Reddemann, Institut für Allgemeinmedizin, Heinrich-Heine Universität Düsseldorf
Stefan Wilm, Institut für Allgemeinmedizin, Heinrich-Heine Universität Düsseldorf
Udo Schneider, Techniker Krankenkasse
Leonie Sundmacher, Fachgebiet für Gesundheitsökonomie, TU München
A comparison of seasonal influenza vaccine demand planning and procurement systems and implications for Germany
Pauline zur Nieden, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH

Einleitung / Introduction

Influenza is a contagious respiratory disease that, in severe cases, can lead to hospitalisation and death. Seasonal vaccination is the most important measure for the prevention of influenza infections. However, processes of influenza vaccine demand planning and procurement face challenges due to the seasonal adaptation of vaccines to the expected virus variants and long production times, among others. Due to limited re-ordering possibilities, reliable information on influenza vaccine demand is required to ensure an adequate supply of vaccine doses and to prevent shortages or oversupply. The aim was to analyse how other countries manage the demand planning and procurement of seasonal influenza vaccines and what implications can be derived for the German demand planning and procurement system of seasonal (influenza) vaccines.

Methode / Method

Literature searches and surveys were carried out. Six comparator countries and states were selected based on their different healthcare systems and structures to incorporate variation (Australia, Canada, Singapore, Switzerland, UK, USA). Targeted searches in PubMed and Google Scholar and on websites of agencies and organizations involved in influenza demand planning and procurement were conducted to examine different practices. Further information was requested through e-mail correspondence with ministries of health and other relevant institutions in these countries. In addition, written surveys were completed by pharmaceutical industry experts working in the selected countries to address specific questions. The results were summarised and compared with the challenges in Germany in order to draw conclusions.

Ergebnisse / Results

A wide range of information from various sources was included. Responses to the survey were received from four out of the six countries. Different processes and approaches to influenza vaccine demand planning and procurement were identified in the selected countries and states. Some of these approaches could help addressing the challenges in Germany. These include measures to reduce bureaucracy (e.g., through a central ordering platform), various measures aimed at generating reliable data on demand (e.g., through extended monitoring and forecasting), and dealing with the risk of recourse (e.g., through innovative return and redistribution systems), among others. The individual approaches were analysed in terms of their advantages and disadvantages in relation to the German health care system.

Zusammenfassung / Conclusion

Approaches that may be suitable for improving the challenges in the German influenza vaccine demand planning and procurement system could be derived from other countries. In the next step, the potential transferability and adaptation of these approaches to the German health care system for seasonal vaccines need to be examined.


AutorInnen
Anna Bußmann, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH
Christian Speckemeier, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH
Pauline zur Nieden, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH
Jürgen Wasem
Bernhard Ultsch, Moderna Germany GmbH