Vortragssitzung

Routinedatenanalysen

Vorträge

Routinedatenanalyse der Verschreibung opioidhaltiger Analgetika bei nicht-tumorbedingten Schmerzen in Deutschland: Überversorgung durch hochdosierte Langzeittherapie?
Nils Frederik Schrader, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen

Einleitung / Introduction

Um die Sicherheit der Langzeitanwendung mit opioidhaltigen Analgetika (OA) bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen (CNTS) in Deutschland zu erhöhen, wurde die S3-Leitlinie "Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen (LONTS)" erstellt. Diese empfiehlt, die Tageshöchstdosis (THD) von 120 mg orales Morphinäquivalent (oMME) pro Tag nur in Ausnahmefällen zu überschreiten. So wird eine Überschreitung dieser Dosierung sowohl mit einem Anstieg der Sterblichkeit als auch mit mehr Krankenhausaufenthalten in Verbindung gebracht. Die vorliegende Untersuchung ist Teil der durch den Innovationsfonds des G-BA geförderten Studie Op-US (Opioidhaltige Analgetika – Untersuchung zu Entwicklungstrends in der Versorgung bei nicht-tumorbedingten Schmerzen; Förderkennz. 01VSF19059), welche sich der OA-Versorgung bei CNTS aus unterschiedlichen Perspektiven widmet. In der vorliegenden Untersuchung sollen folgende Fragestellungen beantwortet werden: 1. Gibt es Hinweise auf Über-/Fehlversorgung durch Überschreiten der empfohlenen THD? 2. Welche prädiktiven Faktoren liegen in den Gruppen mit und ohne Hinweis auf Überschreitung der THD vor?

Methode / Method

Für die Untersuchung wurden Routinedaten der DAK-Gesundheit von Q1/2018 bis Q1/2021 herangezogen. Eingeschlossen wurden alle Versicherten >17 Jahre, die in mindestens zwei aufeinanderfolgenden Quartalen wenigstens eine OA-Verschreibung und keine Hinweise auf bösartige Neubildungen oder palliative Versorgung aufwiesen. Alle Personen wurden nach Einschluss zwei Jahre nachbeobachtet. Die Berechnung der Gesamtdosis jeder Patient*in erfolgte mittels Defined Daily Dose, welche in oMME umgerechnet wurde. Für den Tagesdurchschnitt wurden die berechneten Dosen durch die Beobachtungsdauer in Tagen dividiert. Therapieunterbrechungen und -beendigungen wurden berücksichtigt, indem nur Quartale mit OA-Verordnungen zur Beobachtungsdauer gezählt wurden.

Ergebnisse / Results

Etwa 11,2 % der 113.476 eingeschlossenen Patient*innen überschritten die über 2 Jahre gemittelte THD. Signifikante Mittelwertunterschiede (p<,001) zwischen den Gruppen mit und ohne Überschreiten der THD konnten hinsichtlich der Anzahl der verschreibenden Ärzt*innen, Frequenz der Verschreibungen sowie der Durchschnittsdosierungen in mg/Einheit und oMME/Einheit ermittelt werden. In weiteren Auswertungsschritten sollen prädiktive Faktoren für das Überschreiten der THD mittels logistischer Regression untersucht werden.

Zusammenfassung / Conclusion

Innerhalb der Studie dient die Untersuchung der OA-Dosierung dazu, Hinweise auf Über-/Fehlversorgung in der Langzeitanwendung von OA bei CNTS und davon betroffene Patientengruppen zu identifizieren. Auf Basis der Ergebnisse des Projektes werden Versorgungsstrategien und gesundheitspolitische Reformansätze erarbeitet.


AutorInnen
Nils Frederik Schrader, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Anja Niemann, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Christian Speckemeier, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Carina Abels, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Nikola Blase, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Godwin Giebel, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Cordula Riederer, DAK-Gesundheit
Joachim Nadstawek, Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland – BVSD e.V.
Wolfgang Straßmeir, Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland – BVSD e.V.
Jürgen Wasem, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Silke Neusser, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Routinedatenanalyse: Verschreibungen opioidhaltiger Analgetika trotz Kontraindikationen bei nicht-tumorbedingten Schmerzen in Deutschland?
Anja Niemann, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement

Einleitung / Introduction

Angesichts steigender Verordnungszahlen von opioiden Analgetika (OA) in Deutschland, wird im vorliegenden Projekt die Versorgungssituation mit OA bei chronischen, nicht-tumorbedingten Schmerzen (CNTS) betrachtet. Im Rahmen der aus dem Innovationsfonds geförderten Studie Op-US (OA – Untersuchung zu Entwicklungstrends in der Versorgung bei nicht-tumorbedingten Schmerzen; Förderkennz. 01VSF19059) wird eine Routinedatenanalyse durchgeführt. Für Deutschland liegt eine S3 Leitlinie (LONTS 2020) für die Langzeitanwendung von OA bei CNTS vor, welche Kontraindikationen (KI) für OA-Verschreibungen aufführt. Ziel der Analyse ist es, mögliche Hinweise auf eine Fehlversorgung in Deutschland im Sinne eines zeitgleichen Vorliegens von KI und Verordnungen eines OA zu identifizieren. Außerdem wird analysiert, inwiefern vermutet werden kann, dass verordnende ÄrztInnen Kenntnis von der KI hatten.

Methode / Method

Für die Routinedatenbasis aus dem Zeitraum 1.1.18-31.3.21 der DAK-Gesundheit wurden erwachsene Versicherte mit mind. einer Verordnung eines OA in wenigstens zwei aufeinanderfolgenden Quartalen, ohne Vorliegen von Krebsdiagnosen und Hinweisen auf palliative Versorgung eingeschlossen. Der Nachbeobachtungszeitraum betrug zwei Jahre. Mittels ICD-10-GM-Kodierungen wurde das Auftreten von acht, auf der Leitlinie basierenden, KI-Gruppen bei zeitgleichem Vorliegen einer OA-Verordnung identifiziert. Außerdem wurde betrachtet, inwiefern in einem Quartal die Arztnummer der OA-Verordnung mit einer KI-assoziierten Arztnummer übereinstimmt.

Ergebnisse / Results

Die Stichprobe umfasst 113.476 Personen. Das durchschnittliche Alter liegt bei 72 Jahren (SD 14,4). 75% sind weiblich. Die häufigsten KI, die zeitgleich mit OA-Verordnungen auftreten sind affektive Störung (F32-F34) bei 44%, Schmerzen bei funktionellen/somatoformen Störungen (F45.40, F45.41) bei 24% und primäre Kopfschmerzen (G43.-, G44.0, G.44.2) bei 9% der eingeschlossenen Versicherten. In den weiteren KI-Gruppen waren 2% oder weniger der Versicherten vertreten. Über alle KI-Gruppen hinweg konnte ein hoher Anteil (43-79%) von Versicherten mit einer Übereinstimmung der Arztnummer gezeigt und somit eine Kenntnis des/der Arztes/Ärztin der KI bei der OA-Verordnung vermutet werden. Derzeit werden multivariate Analysen hinsichtlich prädikativer Faktoren für das Vorliegen von KI durchgeführt.

Zusammenfassung / Conclusion

Im Rahmen des Projektes Op-US kann die Darstellung von Kontraindikationen in den Routinedaten bei der Langzeittherapie mit OA bei CNTS Hinweise auf Fehlversorgung identifizieren. Subgruppenanalysen zeigen prädiktive Faktoren für Versorgungsprobleme auf. Basierend auf den Studienergebnissen werden Reformansätze abgeleitet, um eine zielgruppenspezifische alternative Versorgungsstrategie zu entwickeln.


AutorInnen
Nils Schrader, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement
Christian Speckemeier, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement
Carina Abels, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement
Nikola Blase, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement
Godwin Giebel, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement
Cordula Riederer, DAK-Gesundheit, Versorgungsforschung und Innovation
Joachim Nadstawek, Bundesverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V.
Wolfgang Straßmeir, Bundesverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V.
Jürgen Wasem, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement
Silke Neusser, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement
Messung der stationären Behandlungsqualität mittels Routinedaten am Beispiel von Sterblichkeit und ungeplanten Wiederaufnahmen
Philipp Hengel, Fachgebiet Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin

Einleitung / Introduction

Die Behandlungsqualität ist eine zentrale Stellschraube zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung zur Erreichung einer möglichst guten Gesundheit für alle. Gleichzeitig ist die Messung von Behandlungsqualität aufgrund von Herausforderungen in der Operationalisierung und Datenverfügbarkeit oftmals regional oder zeitlich begrenzt. In einem Pilotprojekt zur Messung der Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems (Health System Performance Assessment, HSPA) wurden für die Dimension Qualität Indikatoren zur routinemäßigen Erfassung der Versorgungsqualität in Deutschland identifiziert. Für die stationäre Versorgung beinhalten diese 1) die Sterblichkeit sowie 2) ungeplante Wiederaufnahmen, welche für sechs Krankheitsbilder ausgewertet werden.

Methode / Method

Beide Indikatoren basieren auf Routinedaten als Datengrundlage. Für die Krankenhaussterblichkeit wurde die DRG-Statistik herangezogen. Der Indikator misst den Anteil der Behandlungsfälle, der innerhalb von 30 Tagen nach der stationären Aufnahme im selben Krankenhaus verstirbt. Die Rate der ungeplanten Wiederaufnahmen nach einem Krankenhausaufenthalt wurde durch das Wissenschaftliche Institut der AOK anhand der administrativen Daten aller AOK-Versicherten berechnet. Der Indikator berücksichtigt im Nenner alle Behandlungsfälle die das Krankenhaus lebend verlassen haben und im Zähler diejenigen, die innerhalb von 30 Tagen nach Entlassung aus der stationären Behandlung mit dem Aufnahmegrund „Notfall“ erneut im Krankenhaus aufgenommen wurden. Alle Analysen beziehen sich auf Personen ab 15 Jahren und wurden je für die Jahre 2014-2020 und je für Fälle mit Hauptdiagnose 1) Herzinfarkt, 2) Hirninfarkt, 3) Hirnblutung, 4) Pneumonie, 5) Herzinsuffizienz und 6) hüftgelenksnahe Fraktur berechnet. Zudem werden die Ergebnisse jeweils nach Alter, Geschlecht, Bundesland und Verstädterungsgrad stratifiziert.

Ergebnisse / Results

Vorläufige Ergebnisse liegen für die Diagnosen Herzinfarkt und Hirninfarkt vor. Bei den zuletzt etwa 212.000 Fällen mit Herzinfarkt pro Jahr liegt die Krankenhaussterblichkeit im betrachteten Zeitverlauf stabil bei etwa 8 %. Von den etwa 260.000 stationären Fällen mit Hirninfarkt verstarben ca. 6 %, ebenfalls über die Jahre gleichbleibend. Die ungeplanten Wiederaufnahmeraten liegen bei den AOK-Versicherten bei 10 % der grob 75.000 Herzinfarkt- und 8 % der 90.000 Hirninfarktpatient*innen pro Jahr.

Zusammenfassung / Conclusion

Die vorläufigen Auswertungen zeigen, dass die Krankenhaussterblichkeit in Deutschland bei Herzinfarkt oberhalb und bei Hirninfarkt etwa im Durchschnitt der Nachbarländer liegt, wobei sich die relative Lage Deutschlands im Zeitverlauf leicht verschlechterte. Insgesamt bieten Routinedaten trotz bestehender Einschränkungen eine gute Möglichkeit, um überregional und im Zeitverlauf Hinweise zur stationären Behandlungsqualität zu erhalten.


AutorInnen
Philipp Hengel, Fachgebiet Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin
Katharina Achstetter, Fachgebiet Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin
Miriam Blümel, Fachgebiet Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin
Matthias Haltaufderheide, Fachgebiet Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin
Corinna Hentschker, Wissenschaftliches Institut der AOK
Andreas Klöss, Wissenschaftliches Institut der AOK
Reinhard Busse, Fachgebiet Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin