Vortragssitzung

Langzeitpflege und Palliativversorgung

Vorträge

Präferenzen für Wohnformen bei Demenz: ein Discrete Choice Experiment.
Christian Speckemeier, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen

Einleitung / Introduction

In Deutschland leiden ca. 1,6 Mio. Menschen unter einer Demenz, von denen ein Großteil zu Hause versorgt wird. Die ambulante Pflege stößt jedoch bei Fortschreiten der Erkrankung an Grenzen. Auch der demografische Wandel und die Veränderung traditioneller Lebensformen führen dazu, dass immer mehr ältere Menschen ohne familiäre Unterstützung leben müssen. Diese Entwicklung fordert die zukünftige Organisation der Demenzversorgung heraus und es werden innovative Versorgungskonzepte benötigt. Im Projekt wird die Allgemeinbevölkerung zwischen 50 und 65 Jahren in städtischen und ländlichen Regionen befragt, um Präferenzen für Wohnarrangements bei Demenz zu erheben.

Methode / Method

Es wurde ein Discrete Choice Experiment (DCE) durchgeführt, um Präferenzen in ländlichen Gemeinden und einem großstädtischen Ballungsraum zu erheben. Vorarbeiten umfassten Literaturrecherchen und Fokusgruppen, auf deren Basis relevante Attribute abgeleitet wurden. Das finale DCE besteht aus sieben Attributen (Gruppengröße, Qualifikation der Pflegenden, Organisation der Pflege, Angebot an Aktivitäten, Religionsausübung, Zugang zu Garten, Essensvorlieben) mit jeweils drei Levels. Ein fraktioniertes faktorielles d-optimales Design mit 27 DCE-Fragen, aufgeteilt in drei Fragebogenversionen mit jeweils neun DCE-Fragen, kam zum Einsatz. Es wurden Personen im Alter zwischen 50 und 65 Jahren über Einwohnermeldeämter in drei ländlichen Gemeinden und Gelsenkirchen identifiziert. Im Mai 2022 wurden schriftliche Fragebögen an jeweils über 2.000 Personen in den ländlichen Gemeinden und in Gelsenkirchen (+350 Bögen im Rahmen einer Nachrekrutierung bzgl. einer Fragebogenversion in Gelsenkirchen im Juni) verschickt.

Ergebnisse / Results

Es nahmen 840 Personen an der Befragung teil (428 Personen aus ländlichen Gemeinden, 412 Personen aus Gelsenkirchen). Die Auswertungen sind noch nicht abgeschlossen, die Ergebnisse werden aber Ende Januar vorliegen. Die relative Bedeutung der einzelnen Attribute wird mit Hilfe von logistischen Regressionsmodellen untersucht. Subgruppenanalysen umfassen neben der regionalen Unterteilung auch eine Unterscheidung nach Migrationshintergrund sowie weitere explorative Analysen.

Zusammenfassung / Conclusion

Der gute Rücklauf verdeutlicht die Relevanz des Themas. Die Befragung ist Teil eines größeren Projekts des Leibniz Science Campus Ruhr, dessen Ergebnisse dazu beitragen sollen, den Herausforderungen beim Aufbau und bei der Ausgestaltung von innovativen Wohnformen für Menschen mit Demenz zu begegnen.


AutorInnen
Christian Speckemeier, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Carina Abels, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Klemens Höfer, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Anja Niemann, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Jürgen Wasem, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Anke Walendzik, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Silke Neusser, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Auswirkungen der ambulanten Palliativversorgung auf die Gesundheitsausgaben am Lebensende in Deutschland
Melissa Hemmerling, AOK Niedersachsen

Einleitung / Introduction

Primäres Ziel von Palliativversorgung ist die Verbesserung der Lebensqualität von Menschen in der letzten Lebensphase. Durch frühzeitige Behandlung von Symptomen soll Leiden vorgebeugt und gelindert werden. Internationale Studien zeigen, dass Palliativversorgung zu geringeren Versorgungskosten am Lebensende führt. Für Deutschland gibt es bislang nur wenige Erkenntnisse. Ziel der Analyse ist es daher, anhand von GKV-Routinedaten die Auswirkungen der ambulanten Palliativversorgung (aPV) auf die Gesundheitsausgaben im letzten Lebensjahr in Deutschland zu analysieren.

Methode / Method

Die Untersuchung erfolgte auf Basis von GKV-Routinedaten. In die Analysen wurden Verstorbene mit Todeszeitpunkt im Jahr 2019 eingeschlossen (n=34.012) und dahingehend gekennzeichnet, ob sie im letzten Lebensjahr eine Leistung der aPV erhalten haben. Zusätzlich wurden Alter, Geschlecht und Morbidität anhand von kodierten Diagnosen aus den Daten extrahiert. In den Analysen wurden folgende Kostenbereiche betrachtet: (1) stationäre und (2) ambulante Versorgung, (3) Arzneimittel, (4) Hospiz und (5) spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV). Die Analysen wurden anhand von drei Gruppen durchgeführt: alle Verstorbenen (1), Verstorbene mit (2) und ohne (3) onkologischen Erkrankungen. Statistische Auswertungen erfolgten deskriptiv und mittels linearer Regressionsmodelle.

Ergebnisse / Results

Die deskriptiven Ergebnisse zeigen, dass Verstorbene mit aPV im Mittel höhere Gesundheitsausgaben im letzten Lebensjahr hatten als Verstorbene ohne aPV (26.838€ vs. 18.648€). Gleichzeitig weisen Personen, die eine aPV bekommen haben eine deutlich höhere Morbidität auf. Die Kosten der stationären Versorgung sind sowohl für Verstorbene mit (17.485€ vs. 18.713€) und ohne (11.505€ vs. 12.667€) Tumorerkrankungen geringer, wenn sie im letzten Lebensjahr eine aPV erhalten haben. Die Ergebnisse der Regressionsmodelle zeigen für alle betrachteten Gruppen, dass aPV am Lebensende mit signifikant höheren Gesundheitsausgaben einhergeht. Für Verstorbene mit Tumorerkrankungen in ambulanter Palliativversorgung zeigt sich ein leichter Trend zu geringeren Kosten im Krankenhaussektor.

Zusammenfassung / Conclusion

Internationale Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen Palliativversorgung und geringeren Kosten am Lebensende. Die vorliegende Arbeit ergänzt die aktuelle Studienlage und kommt zu dem konträren Ergebnis, dass aPV nicht zu geringeren Ausgaben am Lebensende führt. Die Ergebnisse decken sich mit einer deutschen Studie, die keine geringeren Kosten bei Patienten in stationärer Palliativversorgung ermitteln konnte. Weitere Studien sollten den Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt der Integration von aPV und der Kosten betrachten, da die Lebensqualität verbessert werden könnte und möglicherweise geringere Kosten entstehen.


AutorInnen
Melissa Hemmerling, AOK Niedersachsen
Sabrina Schütte, AOK Niedersachsen
Katharina van Baal, Institut für Allgemeinmedizin und Palliativmedizin, Medizinische Hochschule Hannover
Stephanie Stiel, Institut für Allgemeinmedizin und Palliativmedizin, Medizinische Hochschule Hannover
Sveja Eberhard, AOK Niedersachsen
Jona Theodor Stahmeyer, AOK Niedersachsen
Optimierte Arzneimittelversorgung im Pflegebereich: Propensity-Score-Matching und Difference-in-Difference-Schätzung bei zeitlich versetztem Interventionsstart
Martin Siegel

Einleitung / Introduction

Die untersuchte Intervention verfolgt das Ziel, über eine Sensibilisierung des Personals und systematische Medikationsanalysen in Pflegeeinrichtungen potenziell gefährliche Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen zu vermeiden und so die Versorgungssicherheit zu erhöhen und die Inzidenz von unerwünschten Arzneimittelereignissen (UAE) und Krankenhauseinweisungen zu verringern. Die Intervention wurde in verschiedenen Pflegeeinrichtungen zwischen Februar 2017 und Januar 2021 getestet. Ziel dieser Studie ist es, die Intervention gesundheitsökonomisch zu evaluieren.

Methode / Method

Die Evaluation erfolgt anhand von Routinedaten. Da die Intervention in den Einrichtungen zeitversetzt startete, wird ein stufenweises Propensity-Score-Matching durchgeführt, um der Kontrollgruppe für jeden Startzeitpunkt und jede Person in der Interventionsgruppe zwei vergleichbare Personen zuzuordnen. Die Auswertung erfolgt mittels Difference-in-Difference-Analysen für UAE nach Stausberg, Krankenhauseinweisungen und Behandlungskosten, jeweils pro Patientenmonat. Für UAE und Krankenhauseinweisungen werden negativ-binomiale Modelle, für die Kostenverteilung wird ein lineares Regressionsmodell geschätzt. In allen Modellen werden Zeit und verschiedene Patientencharakteristika wie Alter und Komorbidität kontrolliert.

Ergebnisse / Results

Es können 1.325 in der Interventions- und 2.483 in der Kontrollgruppe für mindestens 4 Monate nach Interventionsbeginn beobachtet werden. Die Difference-in-Difference-Analysen zeigen, dass in der Interventionsgruppe UAE um 27,5 Prozent (Incidence-Rate-Ratio: 0,725, 95%-CI 0,592-0,887) und Krankenhauseinweisungen um 17,5% (Incidence-Rate-Ratio 0,825, 95%-CI 0,719-0,948) geringer waren als in der Kontrollgruppe. Die ICER pro vermiedene UAE beträgt 15.185,52 (95%-CI 7.894,90-34.978,53) mit und 2.532,31(-3.631,16-15.033,60) ohne Fix- und Schulungskosten, die ICER pro vermiedener Krankenhauseinweisung beträgt 4.126,63 (95%-CI 2.102,84-8.638,22) mit und 688,15 (-923,19 – 3.995,05) ohne Fix- und Schulungskosten.

Zusammenfassung / Conclusion

Die Intervention verringert die Inzidenz von UAE und Krankenhauseinweisungen statistisch signifikant und in einem für die Versorgung relevanten Ausmaß. Besonders die Umrechnung der Fix- und Schulungskosten auf Patientenmonate ist mit Unsicherheit behaftet, sodass die ICERs mit und ohne diese Kostenbestandteile als Ober- und Untergrenzen interpretiert werden können. Aufgrund der zeitlichen Ungenauigkeit ambulanter Routinedaten können nur UAE in Verbindung mit stationären Krankenhausaufenthalten berücksichtigt werden, sodass die niedrige UAE-Inzidenz zu einer Überschätzung der ICER führen könnte.


AutorInnen
Benedikt Langenberger, TU Berlin
Verena Vogt, TU Berlin
Reinhard Busse, TU Berlin
Martin Siegel, TU Berlin
Evaluation der Auswirkungen digitaler Pflegedokumentation in Verbindung mit KI-gestützter Spracherkennung auf den Pflegeprozess
Wolfgang Becker, HFH • Hamburger Fern-Hochschule

Einleitung / Introduction

In der Pflege ist Dokumentationsarbeit wichtig, um die Versorgungsqualität sicherzustellen. Dokumentationsaufgaben nehmen viel Zeit in Anspruch, die im Pflegealltag angesichts des akuten Fachkräftemangels ohnehin knapp bemessen ist. Daraus resultiert die Fragestellung, wie der zeitliche Dokumentationsaufwand für Pflegekräfte und Verwaltungsmitarbeitende reduziert werden kann. Im Vortrag werden die Evaluationsergebnisse eines vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) unter dem Dach der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) geförderten Projektes zum Einsatz einer digitalen Pflegedokumentation in Verbindung mit KI-gestützter Spracheerfassung vorgestellt. Es wird dargelegt, welche Auswirkungen diese Art der Dokumentationsarbeit auf die pflegerische Versorgung hat.

Methode / Method

Mittels eines Mixed-Methods-Designs werden die Implementierung einer sprachgesteuerten, digitalisierten Pflegedokumentation in drei Lern- bzw. Experimentierräumen (ambulant, stationär, Verwaltung) der Diakonie Ruhr gGmbh untersucht. Konkret werden die Effekte des Einsatzes dieser Technologie auf den Workflow „Pflege“ als auch im Hinblick auf Arbeitsbedingungen, Prozessoptimierung und Qualitätssteigerung aufgezeigt.

Ergebnisse / Results

Die Ergebnisse der Evaluationen zeigen, dass der Einsatz einer digitalen Pflegedokumentation in Verbindung mit KI-basierter Spracherkerfassung zu einer Reduzierung der Dokumentationszeiten führt. Es zeigen sich positive Effekte auf Arbeitsbelastungen und Prozessabläufe. Deutlich wird aber auch, dass für eine erfolgreiche Implementierung dieser Technologien bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Effektivität und Effizienz sprachgesteurter digitaler Pflegedokumentation steigt in dem Maße, wie in einer Pflegeeinrichtung - die notwendigen Voraussetzungen hinsichtlich Hardware, Software, Serverkonfigurationen und Lizenzrechten gegeben sind. - Pflegende über die Vorteile des Technikeinsatzes frühzeitig aufgeklärt und mit den notwendigen Änderungen im Pflegealltag vertraut gemacht werden. - systematisch und kontinuierlich Mikroschulungen (Erstschulungen, Vertiefungsschulungen, Auffrischungsschulungen) in Abhängigkeit der individuellen Bedarfe der Nutzenden angeboten und durchgeführt werden. - Klarheit über datenschutzrechtliche Sachverhalte, die sich z. B. auf Aspekte einer möglichen Leistungsbeobachtung und Verhaltenskontrolle durch Arbeitgeber bzw. Vorgesetzte beziehen, besteht.

Zusammenfassung / Conclusion

Der Vortrag zielt auf die Evaluation des Einsatzes einer sprachgesteuerten, digitalen Pflegedokumentation auf den Pflegeprozess. Es wird dargelegt, welche Auswirkungen diese Art der KI-gestützten Dokumenationsarbeit auf Erfassungszeiten, Arbeitsbelastungen und Prozessabläufe hat.


AutorInnen
Wolfgang Becker, HFH • Hamburger Fern-Hochschule