Vortragssitzung

Digitale Tools in der Gesundheitsversorgung

Vorträge

Vergütungsbeträge digitaler Gesundheitsanwendungen – eine Analyse der Spruchpraxis der DiGA-Schiedsstelle
Daniel Gensorowsky, Vandage GmbH

Einleitung / Introduction

Angemessene Preise stellen seit der Einführung der digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) einen zentralen Streitpunkt dar. Nach Ablauf des ersten Jahres nach Markteintritt wird der freie Herstellerpreis einer DiGA durch einen Vergütungsbetrag abgelöst, auf den sich DiGA-Anbieter und der GKV-Spitzenverband in gemeinsamen Preisverhandlungen verständigen. Kommt keine Einigung zustande, wird der Vergütungsbetrag von der Schiedsstelle nach § 134 Abs. 3 SGB V festgelegt. Neben verschiedenen untergeordneten Faktoren benennen die regulatorischen Vorgaben den positiven Versorgungseffekt (pVE) einer DiGA als im Besonderen zu berücksichtigendes Preisbemessungskriterium. Eine Konkretisierung, wie der pVE in einen angemessenen Preis übersetzt werden soll, existiert jedoch nicht.

Methode / Method

Auf Grundlage der bislang vorliegenden Schiedssprüche zu DiGA-Vergütungsbeträgen analysiert und diskutiert dieser Beitrag, wie die Schiedsstelle die regulatorischen Vorgaben zur Bestimmung der Vergütungsbeträge umsetzt.

Ergebnisse / Results

Alle fünf derzeit (November 2022) dauerhaft im DiGA-Verzeichnis gelisteten Anwendungen mit geschiedsten Vergütungsbeträgen stammen aus dem Bereich der psychischen Erkrankungen. Den Ausgangspunkt des Preisbemessungsmodells der Schiedsstelle stellen die Kosten einer vergleichbaren GKV-Versorgung dar. In den vorliegenden Fällen wird die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) im Gruppenformat als „Preisanker“ herangezogen. Die Kostenermittlung erfolgt anhand einschlägiger EBM-Ziffern sowie der in einem Quartal pro Versichertem erwartbaren und/oder beobachtbaren KVT-Sitzungen basierend auf Angaben aus der Literatur und/oder Abrechnungsdatenanalysen. Die Berücksichtigung des pVE (d.h. Effektausmaß und Evidenzqualität) sowie weiterer Faktoren (z.B. Epidemiologie) erfolgt über einen prozentualen Aufschlag auf die ermittelten Kosten der vergleichbaren GKV-Versorgung. Der Vergütungsbetrag entspricht entweder den so berechneten „nutzenadjustierten Versorgungskosten“ oder einem gewichteten Mittelwert aus ebendiesen sowie weiteren Preisinformationen (z.B. Selbstzahlerpreise).

Zusammenfassung / Conclusion

Die Schiedsstelle nutzt einen maßgeblich auf die quartalsbezogenen Kosten der etablierten GKV-Versorgung referenzierenden Ansatz zur Herleitung von DiGA-Vergütungsbeträgen. Um dem Ziel der Nutzenorientierung der Vergütungsbeträge umfassend Rechnung zu tragen, wäre aus gesundheitsökonomischer Sicht ein Einbezug von Kosten-Nutzen-Abwägungen in das Modell wünschenswert. Aus Anreizperspektive problematisch ist zudem die dem Ansatz inhärente direkte Kopplung der Vergütungsbeträge mit den in der Regelversorgung beobachtbaren KVT-Sitzungszahlen. Diese impliziert sinkende ökonomische Anreize zum Engagement im DiGA-Markt, je größer ein etwaiger Versorgungsengpass im Bereich der persönlich erbrachten Psychotherapie wird.


AutorInnen
Daniel Gensorowsky, Vandage GmbH
Julian Witte, Vandage GmbH
Die Umsetzung von Potenzialen Digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) in der ambulanten Versorgung psychischer Erkrankungen (DiGAPsy) – ein Studienprotokoll
Klemens Höfer, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement
Carina Abels, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement

Einleitung / Introduction

Psychische Erkrankungen sind komplex und ca. 28 % der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland pro Jahr von ihnen betroffen. Bei Versicherten der TK konnten 20 % aller Fehlzeiten im Jahr 2020 diesem Bereich zugeordnet werden; dem höchsten Wert seit Beginn der Aufzeichnung. In Deutschland existiert ein vielfältiges Versorgungssystem für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Zugleich bestehen Zugangs- und Schnittstellenprobleme. Eine Chance diese zu reduzieren und die Versorgungslage zu verbessern, wird in Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) gesehen. Viele der im DiGA-Verzeichnis aufgenommenen Apps sind zur Anwendung bei psychischen Erkrankungen vorgesehen. Das bisherige Verordnungsverhalten deutet jedoch auf Hemmnisse und Hürden für den bedarfsgerechten Einsatz hin, so zeigte eine Studie der TK, dass Psychotherapeut*innen durchschnittlich nur 1,7 DiGA im Jahr 2021 verordneten. Im Rahmen des Projekts „Die Umsetzung von Potenzialen Digitaler Gesundheitsanwendungen in der ambulanten Versorgung psychischer Erkrankungen“ (DiGAPsy) wird die optimale Einbindung von DiGA im genannten Kontext untersucht.

Methode / Method

Die Projektziele sollen mit Hilfe eines Mixed-Methods-Ansatzes erreicht werden. Zuerst wird ein Scoping Review zu bestehenden Konzepten und Hemmnissen durchgeführt, an den eine GKV-Routinedatenanalyse und eine qualitative Analyse (Experteninterviews sowie Fokusgruppen) anschließt. Die Ergebnisse werden in einer Entscheidungsmatrix systematisiert. Diese wird mit Ergebnissen einer schriftlichen Befragung von Leistungserbringer*innen und Versicherten, die den nächsten Analyseschritt darstellt, ergänzt. Abschließend werden gesundheitspolitische Handlungsempfehlungen in Form eines Blue Prints zur Verbesserung der Versorgung abgeleitet.

Ergebnisse / Results

In DiGAPsy sollen Potenziale von DiGA in den Versorgungsprozess psychischer Erkrankungen für eine bedarfsgerechte Versorgung ermittelt werden. Durch die Realisierung der DiGA-Potenziale in der Versorgungspraxis soll eine Verbesserung der Versorgungsqualität erreicht werden. DiGA ermöglichen neue Behandlungswege, in denen Versicherte zu selbstständigen Akteuren im Umgang mit ihrer Krankheit werden. So könnte bspw. dazu beigetragen werden, dass sich der Gesundheitszustand der Erkrankten während der Wartezeit bis zu einer Therapie nicht verschlechtert ggf. sogar eine Verbesserung eintritt, wodurch weitere Maßnahmen nicht mehr notwendig wären.

Zusammenfassung / Conclusion

Mit dem vom Innovationsfonds geförderten Projekt soll untersucht werden, wie DiGA optimal in die Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen implementiert werden können. Berücksichtigt werden dabei potenzielle Einsatzbereiche der DiGA von einem alleinigen Behandlungsansatz für leichtere psychische Störungen über Wartezeitüberbrückung bis zur Integration in den Behandlungsprozess.


AutorInnen
Dieter Best, Deutsche PsychotherapeutenVereinigung
Udo Schneider, Techniker Krankenkasse
Felix Plescher, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement
Carina Abels, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement
Sarah Schlierenkamp, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement
Stefanie Solar, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement
Janine Biermann-Stallwitz, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement
Anna Bussmann, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement
Klemens Höfer, Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Medizinmanagement
Wirksamkeit digitaler Pflegeanwendungen bei Personen mit häuslichem Pflegebedarf – ein systematisches Review
Sandy Scheibe, WIG2 GmbH

Einleitung / Introduction

Die steigende Anzahl Pflegebedürftiger stellt Gesundheits- und Pflegesysteme vor Herausforderungen. Um diesen zu begegnen, wurden in Deutschland Digitale Pflegeanwendungen (DiPA) in den Leistungskatalog der Pflegekassen eingeführt. Deren Ziel ist es, einer Verschlimmerung der Pflegebedürftigkeit entgegenzuwirken und/oder die Selbstständigkeit in der Häuslichkeit zu fördern (Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz, 2021). Bisher existiert keine systematische Übersichtsarbeit, welche die Wirksamkeit von digitalen Anwendungen bei Pflegebedürftigen, entsprechend der DiPA-Definition, auf deren Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) und/oder damit verbundenen gesundheitsbezogenen Outcomes im häuslichen Pflegekontext untersucht.

Methode / Method

Die Übersichtsarbeit wurde nach PRISMA-Richtlinien durchgeführt. Es erfolgte eine systematische Recherche in Medline und Cinahl sowie eine ergänzende Handsuche nach vordefinierten Ein- und Ausschlusskriterien. Sowohl der zweistufige Studieneinschluss (Titel-Abstract-, und Volltextscreening) als auch die Bewertung der Studienqualität (anhand des Cochrane Risk-of-Bias Tool) erfolgte durch zwei Reviewer unabhängig voneinander. Die Datenextraktion erfolgte anhand einer vordefinierten Extraktionstabelle.

Ergebnisse / Results

Insgesamt wurden 2.661 relevante Artikel identifiziert. Nach dem Titel-Abstract-Screening verblieben 44 Studien, die im Volltext geprüft wurden. Insgesamt wurden 8 randomisierte kontrollierte Studien in die qualitative Analyse eingeschlossen. Die Ergebnisse beschränken sich auf internationale Literatur. Die identifizierten Studien untersuchten vorwiegend die Wirksamkeit von DiPA bei Personen mit kognitiven Defiziten (N=5). Studienendpunkte bildeten kognitive Funktionen (n=5), die gesundheitsbezogene Lebensqualität (n=2), ADL (n=2), die Zufriedenheit mit der Medikation (n=1), Mobilität (n=1) und Sturzprävention (n=1). In vier Studien wurden signifikante Verbesserungen hinsichtlich Kognition, ADL und Mobilität nachgewiesen. Die Studienqualität ist aufgrund vorwiegend unverblindeter Studiendesigns (n=4) niedrig bis moderat.

Zusammenfassung / Conclusion

Obwohl die Studienergebnisse erste Hinweise zur Verbesserung von Kognition, ADL und Mobilität durch DiPA zeigen, ist insgesamt eine nur wenig belastbare Evidenzbasis verfügbar. Zudem zeigt sich ein heterogenes Bild hinsichtlich der untersuchten Studienpopulationen, was durch die zugrundeliegende Operationalisierung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs begründet werden kann. Hinzu kommt, dass sich die Interventionen grundlegend in ihrem Funktionsumfang unterscheiden. Weiterhin wird eine Vielzahl unterschiedlicher Studienendpunkte genutzt. Neben diesen Heterogenitätsquellen und der schwachen Evidenzbasis, erschwert eine niedrige bis moderate Studienqualität die Ableitung evidenzbasierter Empfehlungen.


AutorInnen
Sandy Scheibe, WIG2 GmbH
Patrick Timpel, WIG2 GmbH
Melanie Mäder, WIG2 GmbH
Ria Heinrich, WIG2 GmbH
Tonio Schönfelder, WIG2 GmbH
Economic Evaluation of Digital Therapeutic Care Apps for Unsupervised Treatment of Low Back Pain Using Monte Carlo Simulation
Martin Siegel, TU Berlin

Einleitung / Introduction

Digital therapeutic care (DTC) programs are unsupervised app-based treatments that provide video exercises and educational material online to patients with non-specific low back pain (LBP) during episodes of pain and functional disability. German statutory health insurance can reimburse DTC programs since 2019, but evidence on efficacy and reasonable pricing remains scarce. This paper presents a probabilistic sensitivity analysis (PSA) to evaluate efficacy and cost-utility of a DTC app against treatment-as-usual (TAU) in Germany.

Methode / Method

The PSA builds upon a state-transition Markov chain with four weeks cycle length over a model time horizon of three years from a recently published deterministic cost-utility-analysis. The model includes seven discrete states with low and high levels of pain, remission, healthy and three stages for treatment week 1-4, 5-8, and 9-12. Monte-Carlo-simulation with 10,000 iterations and cohort size of 10,000 was employed to evaluate the cost-utility from a societal perspective. Quality-adjusted life years (QALYs) were derived from the VR-6D and SF-6D single utility scores.

Ergebnisse / Results

The simulation yielded on average €135.97 incremental cost and 0.004 incremental QALYs per person and year for DTC compared to TAU, the ICUR is €34,315.19 per additional QALY. DTC yielded more QALYs in 54.96% of the iterations. DTC dominates TAU in 24.04% of the iterations for QALYs. The Cost-Effectiveness-Acceptability-Curve remains below 60% for any positive value for the willingness to pay.

Zusammenfassung / Conclusion

Decision-makers should be cautious when considering the reimbursement of DTC apps since no significant treatment effect was found, and the probability of cost-effectiveness remains below 60% even for an infinite WTP.


AutorInnen
Daniel Lewkowicz, Hasso-Plattner-Institut, Universität Postdam
Erwin Böttinger, Hasso-Plattner-Institut, Universität Postdam
Martin Siegel, TU Berlin