Vortragssitzung

Pflege

Vorträge

Innovative Wohn- und Betreuungskonzepte für Menschen mit Demenz: Ein systematischer Review.
Silke Neusser, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen

Einleitung / Introduction

In den letzten Jahrzehnten wurden alternative Wohnformen für Menschen mit Demenz entwickelt, die sich von der traditionellen Pflege, beispielsweise im Pflegeheim, unterscheiden. Ziel dieser systematischen Übersichtsarbeit ist es, die verfügbare Evidenz zu derartigen innovativen Konzepten im Hinblick auf die Lebensqualität der Bewohner, Verhaltensaspekte sowie funktionale, kognitive und emotionale Aspekte zu analysieren.

Methode / Method

Die Suche erfolgte im November 2020 in PubMed, EMBASE und PsycInfo. Selektion und Extraktion wurden durch zwei Personen durchgeführt. Berücksichtigt wurden Studien, die traditionelle und innovative Lebensumgebungen für Menschen mit Demenz vergleichen. Die Konzepte werden auf der Grundlage der Ergebnisse zusätzlicher Recherchen beschrieben. Das Verzerrungsrisiko der eingeschlossenen Studien wurde anhand der Checklisten des Joanna Briggs Institute bewertet.

Ergebnisse / Results

Die Datenbanksuche ergab 5.601 Treffer, von denen 135 im Volltext analysiert wurden. Es wurden 21 Studien zu 11 verschiedenen Konzepten eingeschlossen. Im Rahmen der zusätzlichen Recherchen wurden insgesamt 34 Studien identifiziert, die Informationen zu den Konzepten der Wohn- und Betreuungsformen liefern. Die Konzepte ähneln sich weitgehend in Bezug auf die zugrundeliegenden Wohn- und Betreuungskonzepte, unterscheiden sich aber teilweise in Bezug auf Gruppengrößen, Personalqualifikationen und -verantwortlichkeiten. Einige Studien deuten darauf hin, dass innovative Wohnformen im Vergleich zu traditionelleren Settings das Sozialverhalten fördern, die Fähigkeit zur Durchführung von Aktivitäten erhalten und/oder den emotionalen Status positiv beeinflussen können, während diese Effekte in anderen Studien nicht nachgewiesen werden konnten. Einige Studien zeigen eine Zunahme der verhaltensbezogenen und psychologischen Symptome der Demenz (BPSD) bei Bewohnern, die in innovativeren Wohnkonzepten leben.

Zusammenfassung / Conclusion

Die positiven Auswirkungen könnten auf die besonderen Merkmale innovativer Konzepte zurückzuführen sein, darunter kleine Gruppengrößen, ein anregendes Design und veränderte Rollen und Verantwortlichkeiten des Personals. Möglicherweise sind einige dieser Merkmale auch der Grund für erhöhte BPSD. Die eingeschlossenen Studien sind von unterschiedlicher methodischer Qualität und die Ergebnisse sind entsprechend mit Vorsicht zu betrachten. Eine Besonderheit des Reviews liegt darin, dass die einbezogenen Konzepte innovativer Wohn- und Pflegearrangements anhand von zusätzlichen Recherchen zu Merkmalen der Konzepte detailliert beschrieben wurden sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet wurden.


AutorInnen
Christian Speckemeier, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Anja Niemann, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Milena Weitzel, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Carina Abels, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Klemens Höfer, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Anke Walendzik, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Jürgen Wasem, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Silke Neusser, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Personalmangel in der Pflege – demografische, sozio-ökonomische oder strukturelle Ursachen?
Dörte Heger, RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung

Einleitung / Introduction

Durch den demografischen Wandel erhöht sich die Zahl pflegebedürftiger Menschen. Gleichzeitig sinkt die Zahl potenziell pflegender Menschen, sowohl in der professionellen Pflege als auch in der Angehörigenpflege. Die Folge ist ein zunehmender Personalmangel in der Pflege. Eine hohe Teilzeitquote, ein hoher Krankenstand aufgrund körperlich anstrengender Arbeit und niedrige Löhne verschärfen die Situation. Um dem Personalmangel richtig zu begegnen, ist es wichtig die Ursachen zu verstehen. Dazu untersuchen wir in einer Dekompositionsanalyse verschiedene demografische und sozio-ökonomische Ursachen, die zu der Entwicklung des Personalmangels in der professionellen Pflege beigetragen haben und unterteilen sie in beobachtbare und nicht beobachtbare – strukturelle – Faktoren.

Methode / Method

Zur Messung des Personalmangels verwenden wir Jahresdurchschnitte der monatlichen Anzahl an Stellenausschreibungen für Pflegekräfte auf Kreisebene, basierend auf den Berichten der Bundesagentur für Arbeit aus den Jahren 2009 und 2019. Dabei unterscheiden wir Stellenausschreibungen des ambulanten und stationären Sektors sowie Fach- und Hilfskräfte. Alten- und Krankenpflegekräfte werden zusammengefasst, da sie in der Pflege ähnliche Tätigkeiten abdecken. Für mögliche Ursachen des Personalmangels nutzen wir auf Informationen auf Kreisebene aus den INKAR-Daten („Indikatoren und Karten zur Raum- und Stadtentwicklung“). Um die Entwicklung des Personalmangels und mögliche Ursachen näher zu analysieren, verwenden wir eine Blinder-Oaxaca-Dekomposition. Dazu schätzen wir für 2009 und 2019 jeweils eine OLS-Regression der Anzahl der Stellenausschreibungen auf Kreisebene. Mit Hilfe des Dekompositionsverfahrens vergleichen wir anschließend beide Regressionen, d. h. wir berechnen, wie sich der Personalmangel im Jahr 2019 verändert hätte, wenn man die Ausprägungen der erklärenden Variablen auf das Jahr 2009 fixiert. Der resultierende „erklärte“ Unterschied ist auf eine Veränderung der erklärenden Variablen zurückzuführen (Erhöhung des Anteils stationär Pflegebedürftiger, Veränderung der Altersstruktur, …). Der „unerklärte“ Unterschied ergibt sich aus der Veränderung der Schätzparameter über die Zeit, z.B. wenn sich der Einfluss des Anteils der stationär Pflegebedürftigen auf die Zahl der offenen Stellen verändert.

Ergebnisse / Results

Die Datenaufbereitung ist abgeschlossen, jedoch laufen aktuell noch die Analysen, sodass Ergebnisse erst in Kürze vorliegen.

Zusammenfassung / Conclusion

Personalmangel in der Pflege kann negative Konsequenzen für Pflegekapazitäten und Pflegequalität mit sich bringen. Auch wenn die Dekompositionsmethode keine kausale Interpretation der Ergebnisse zulässt, bietet sie eine deskriptive Übersicht über verschiedene Faktoren, die zu einem zunehmenden Personalmangel geführt haben und kann so helfen, Lösungsansätze zu entwickeln.


AutorInnen
Dörte Heger, RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung
Anna Werbeck, RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung
Christiane Wuckel, RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung
Zielgruppenspezifische Bedarfe an einer Pflege-App vor dem Hintergrund des DVPMG - eine qualitative Interviewstudie
Eva Maria Lutzenberger, AOK Bayern
Ana Babac, AOK Bayern

Einleitung / Introduction

Aufgrund der steigenden Pflegebedürftigkeit wird die Sicherstellung der Pflege in den nächsten Jahren eine herausfordernde Aufgabe. Über 80 Prozent der Pflegebedürftigen werden von ihren Angehörigen im häuslichen Umfeld gepflegt. Pflegende Angehörige stehen deshalb oft vor der Herausforderung, Pflege, Familie und Beruf vereinen zu müssen sowie den daraus resultierenden Belastungen zu begegnen. Im Zeitalter der Digitalisierung bieten digitale Anwendungen (Apps) eine neue Möglichkeit der gesundheitlichen Unterstützung und Entlastung pflegender Angehöriger. Bedarfe an Anwendungen in der Pflegesituation zu erheben, ist daher das Ziel dieser qualitativen Studie.

Methode / Method

Im Fokus der Arbeit steht die Frage, welchen Bedarf potentielle Nutzer an eine Pflege-App haben und welche Inhalte in dieser aufgrund dessen nutzenstiftend sind. Für die Bedarfsanalyse wird die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring gewählt. Es wird eine Expertengruppe aus Spezialisten der Pflegeversicherung (N=5) befragt. Zudem werden semistrukturelle Interviews mit Pflegebedürftigen (N=6) und pflegenden Angehörigen (N=2) zur zielgruppenspezifischen Bedarfsabfrage durchgeführt. Die Kategoriensysteme der Fokusgruppe und der Interviews werden induktiv-deduktiv gebildet. Die jeweiligen Subkategorien stellen die einzelnen Bedarfe der befragten Gruppen dar. Insgesamt wurden 594 Segmente codiert.

Ergebnisse / Results

Mit den Interviews und der Expertengruppe werden Herausforderungen und Bedürfnisse in der Pflegesituation und daraus resultierend gewünschte Inhalte in einer App Anwendung ermittelt. Der Wunsch nach proaktiver und rechtzeitiger Beratung ist ein weiteres der markantesten Ergebnisse der Interviews. Wichtig ist die Balance zwischen digitaler Unterstützung im Alltag und Nähe bzw. persönlicher Betreuung in der Pflegesituation zu ermöglichen. Personalisierung und Interaktion mit dem Anwender sind demnach essenziell, um eine App Anwendung bedarfsorientiert zu gestalten. Vor allem zu Beginn einer Pflegesituation ist ein digitaler Begleiter sinnvoll, um die anfängliche Überforderung in der neuen Pflegesituation abzufangen und frühzeitig zielorientierte Unterstützung zu bieten.

Zusammenfassung / Conclusion

Als Resultat der Befragungen und der Diskussion der Expertengruppegruppe konnte der Bedarf einer Pflege-App bestätigt werden. Der Nutzen einer solchen App wird gerade dann wahrgenommen, wenn die Anwendung als digitaler Begleiter zu einer Arbeits- und Alltagserleichterung führt. Aus den Ergebnissen kann ein Grundgerüst für mögliche Inhalte eines digitalen Begleiters abgeleitet werden.


AutorInnen
Eva Maria Lutzenberger, AOK Bayern
Franz Benstetter, Technische Hochschule Rosenheim
Ana Babac, AOK Bayern
Übereinstimmung von Patient*innenpräferenzen von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen und ärztlichen Beurteilungen zu personenzentrierter Versorgung – eine Analytic Hierarchy Process-Studie
Wiebke Mohr, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Standort Rostock/ Greifswald

Einleitung / Introduction

Personenzentrierte Versorgung (PZV) bedarf Wissen um Patient*innenpräferenzen. Von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen (MmkB) existieren nur wenig Daten zu Versorgungspräferenzen, welche mit quantitativen, entscheidungsbasierten Präferenzinstrumenten erhoben wurden. Darüber hinaus ist unbekannt, ob Patient*innenpräferenzen und ärztliche Beurteilungen für PZV übereinstimmen. Mit Hilfe solcher Informationen soll die Implementierung von PZV, d.h. leitlinienbasierte Versorgung in Übereinstimmung mit Patient*innenpräferenzen, ermöglicht werden. Ziel dieser Studie war die Erhebung von Patient*innenpräferenzen und ärztlichen Beurteilungen für PZV, inkl. einer Beurteilung ihrer Kongruenz.

Methode / Method

Die Auswertung erfolgte anhand von erhobenen Daten im Rahmen der sequentiellen Mixed-Methods PreDemCare-Studie, welche die Entwicklung, Pilotierung und Durchführung einer paper-and-pencil, (assistierten) Querschnittsbefragung mit n=50 MmkB und n=25 Ärzt*innen mittels multikriterieller Analytic-Hierarchy-Process (AHP)-Methode beinhaltete. Individuelle AHP-Gewichte wurden anhand der Prinzipalen-Eigenvektoren-Methode ermittelt und pro Gruppe anhand der Aggregation-von-individuellen-Prioritäten-Methode mit arithmetischen Durchschnitt aggregiert. Individuelle Konsistenzverhältniszahlen (CRs) wurden berechnet und pro Gruppe aggregiert. Präferenzunterschiede zwischen den Gruppen wurden deskriptiv mittels Durchschnitten und Standardabweichungen (SD) der AHP-Gewichte, sowie der resultierenden Ränge untersucht. Zusätzlich wurden Gruppenunterschiede mittels unabhängigen gepaarten T-Tests bzw. Mann Whitney U-Tests untersucht. Die Sensitivität der Resultate wurde mittels Ausschluss von inkonsistenten Antworten mit einem akzeptierten Grenzwert von CR≤0,3 für MmkB und CR≤0,2 für Ärzt*innen (aufgrund besserer kognitiver Fitness) überprüft.

Ergebnisse / Results

Patient*innenpräferenzen und ärztliche Beurteilungen stimmten annähernd überein. Die Ränge auf Kriterienebene lauteten für MmkB (Ärzt*innen): 1. (1.) Unterstützung bei Alltagstätigkeiten, 2. (3.) Sozialer Austausch, 3. (2.) Gestaltung des Gesundheitswesens, 4. (4.) Eigenschaften der Schwestern & Pfleger, 5. (6.) Gedächtnisübungen, 6. (5.) Körperliche Tätigkeiten. Signifikante Unterschiede konnten lediglich für Gedächtnisübungen festgestellt werden, wobei MmkB Gedächtnisübungen mehr Gewicht gaben als Ärzt*innen. Es ergaben sich keine Rangänderungen nach Ausschluss von inkonsistenten Teilnehmenden. Das durchschnittliche CR auf Kriterienebene betrug 0,261 für die MmkB und 0,181 für Ärzt*innen, d.h. die Antworten beider Gruppen befanden sich im innerhalb des akzeptierten Inkonsistenzrahmens.

Zusammenfassung / Conclusion

Es konnte eine Kongruenz von Präferenzen für die PZV von MmkB ermittelt werden, was als positiver Fund für die PZV im Primärversorgungssetting gewertet werden kann.


AutorInnen
Wiebke Mohr, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Standort Rostock/ Greifswald
Wolfgang Hoffmann, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Standort Rostock/ Greifswald; Institute for Community Medicine, Section Epidemiology of Health Care and Community Health, Universitätsmedizin Greifswald
Adel Afi, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Standort Rostock/ Greifswald
Bernhard Michalowsky, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Standort Rostock/ Greifswald
Anika Rädke, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Standort Rostock/ Greifswald