Vortragssitzung

Gesundheitssysteme und Reformen

Vorträge

Lost in Translation? - Wie Erkenntnisse des Innovationsfonds in die Regelversorgung gelangen
Prof. Dr. Lutz Hager, Bundesverband Managed Care (BMC)

Einleitung / Introduction

In den letzten sechs Jahren konnten wir beobachten, wieviel Innovationspotenzial im Gesundheitswesen steckt. Zahlreiche Innovationsfondsprojekte haben neue Versorgungsformen erprobt und mit ihnen eindrücklich belegt, wie Versorgungsqualität und Patientenorientierung verbessert werden kann. Im Zuge der gesundheitsökonomischen Evaluationen wurden vielfach auch positive Effekte auf die Wirtschaftlichkeit der Versorgung nachgewiesen. Trotz dieser Erfolge gelangen Erkenntnisse aus dem Innovationsfonds auch bei positiven Ergebnissen bislang nicht in die Regelversorgung, denn eine 1:1 Übertragung der Projekte ist in den meisten Fällen schlicht nicht möglich. Was muss geschehen, damit Projekterkenntnisse ihren Platz jenseits des Projektstatus im Gesundheitswesen finden? Der Vortrag liefert Anregungen, was Projektpartner bei der Konzeptionierung und Umsetzung neuer Projekte beachten sollten und wo strukturelle Anpassungen durch die Politik notwendig sind, um Innovationen den Weg in die Breitenversorgung zu ebnen.

Methode / Method

Die Anregungen basieren auf einem langjährigen Austausch mit Projektverantwortlichen in der AG Geförderte Innovationsfondsprojekte im Bundesverband Managed Care (BMC). Sie wurden mit Akteuren aus allen Bereichen des Gesundheitswesens diskutiert und stellen somit ein unabhängiges, branchen- und berufsgruppenübergreifendes Konzept zur Optimierung des Innovationsfonds dar.

Ergebnisse / Results

Der Vortrag präsentiert neben einer aktuellen Analyse zum Stand der Überführung von Erkenntnissen insgesamt neun konkrete Vorschläge zur Optimierung des Innovationsfonds: 1. Strukturelle Veränderungen der Regelversorgung als Ziel verfolgen 2. Projektübergreifende Cluster bilden 3. PatientInnen bei Konzipierung und Bewertung beteiligen 4. Bürokratie abbauen 5. Transparentes Projektmonitoring und Portfoliomanagement etablieren 6. Translation der Ergebnisse frühzeitig vorbereiten 7. Projektdauer und -umsetzung flexibilisieren 8. Ausschreibungsfristen frühzeitig ankündigen 9. Förderlücken schließen

Zusammenfassung / Conclusion

Basierend auf zahlreichen Erfahrungsberichten bietet der Vortrag einen Überblick über die Optimierungsbedarfe des Innovationsfonds und stellt praxistaugliche Lösungen vor, mit denen seine Potenziale gehoben werden können.


AutorInnen
Prof. Dr. Lutz Hager, Bundesverband Managed Care (BMC)
DELIVER-CARE - qualitative Evaluation zu der Akzeptanz einer MFA-Sprechstunde
Juliana Rachel Hoeper, Leibniz Universität Hannover, Institut für Versicherungsbetriebslehre

Einleitung / Introduction

Das primäre Ziel der DELIVER-CARE Studie ist die Entwicklung eines disziplin-übergreifenden generischen Modells für die Delegation ärztlicher Tätigkeiten an medizinische Fachangestellte (MFA) bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen in der ambulanten Versorgung. Krankheitsbilder aus der Rheumatologie (z.B. rheumatoide Arthritis), der Dermatologie (Psoriasis) und der Gastroenterologie (chronisch-entzündliche Darmerkrankungen) wurden aufgrund von Ähnlichkeiten in der Behandlung aufgenommen. Für eine funktionierende Implementierung in die Regelversorgung muss jedoch auch die Akzeptanz der MFA-Sprechstunde auf Seiten der Ärzte, MFAs und Patienten gegeben sein.

Methode / Method

Für eine Prozessevaluation und die daraus resultierende Implementierung in die Regelversorgung wurden teilstrukturierte, Leitfadeninterviews geführt und die Transkripte analysiert. Ärzte, MFAs und Patienten sowohl aus der Interventionsgruppe, als auch der Kontrollgruppe aus allen Fachrichtungen wurden interviewt. Die Transkripte wurden von zwei Mitarbeitern unabhängig voneinander in MAXQDA codiert und sowohl induktiv als auch deduktiv analysiert. Die Datenerhebung wird Ende 2022 abgeschlossen.

Ergebnisse / Results

Insgesamt haben 57 Praxen an der Studie teilgenommen. 28 aus der Rheumatologie, 19 aus der Dermatologie und 10 aus der Gastroenterologie. In die Studie wurden 606 Patienten eingeschlossen. Bislang wurden 57 Interviews geführt (20 Ärzte, 18 MFA, 19 Patienten). Erste Ergebnisse aus dem Fachbereich der Rheumatologie zeigen die Motivation hinter der Delegation auf Seiten der Ärzte (n=14). Am häufigsten genannt wurde die Erhöhung der Patientenzahl, die Wertschätzung / Anerkennung der MFAs, und der Wunsch, die Qualität der Patientenbetreuung zu verbessern. Die Ärzte berichteten auch über die Hürden bzw. Herausforderungen der Implementierung von Delegation. In den Antworten auf die Frage nach dem erlebten Zusatzgewinn der durch die Delegation entstanden ist, spiegelt sich die initiale Motivation wider. In der Dermatologie wurden vier Ärzte befragt. Die Gruppengröße ist zu gering für eine eigene Auswertung, die Antworten ähneln denen der Rheumatologen jedoch stark. Die zusätzliche Analyse der MFA- bzw. Patienteninterviews ermöglicht eine Gegenüberstellung von Antworten der drei Anspruchsgruppen.

Zusammenfassung / Conclusion

Die ersten vorläufigen Ergebnisse der Interviews aus der Fachrichtung der Rheumatologie deuten darauf hin, dass aus ärztlicher Perspektive eine MFA-Sprechstunde von allen beteiligten Gruppen akzeptiert wird und für alle Gruppen ein Zusatzgewinn entsteht. Auf ärztlicher Seite werden mehr Ressourcen für neue und kompliziertere Patienten, auf Seiten der MFAs die Verantwortung, sowie steigende Wertschätzung des Berufsbildes betont, während von Patienten der längere zeitliche Austausch mit ihren Behandlern positiv gesehen wird.


AutorInnen
Juliana Hoeper, Leibniz Universität Hannover, Institut für Versicherungsbetriebslehre
Kathrin Damm, Leibniz Universität Hannover, Institut für Versicherungsbetriebslehre
Kristine Kreis, Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Rheumatologie und Immunologie
Nicolas Pardey, Leibniz Universität Hannover, Center for Health Economics Research Hannover (CHERH)
Jan Zeidler, Leibniz Universität Hannover, Center for Health Economics Research Hannover (CHERH)
Katharina Achtert, inav - privates Institut für angewandte Versorgungsforschung GmbH, Berlin
Sebastian Liersch, AOK Niedersachsen, Hannover
Torsten Witte, Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Rheumatologie und Immunologie
Kirsten Hoeper, Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Rheumatologie und Immunologie
Die Bewertung der Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems – Einblicke in die Pilotierung eines Health System Performance Assessment (HSPA)
Katharina Achstetter, Technische Universität Berlin

Einleitung / Introduction

Die Bewertung der Leistungsfähigkeit und Effizienz eines Gesundheitssystems - Health System Performance Assessment (HSPA) - bezeichnet ein Werkzeug für die evidenzbasierte Politiksteuerung von Gesundheitssystemen. Ziel dabei ist es, Stärken und Schwächen zu identifizieren, Fortschritte zu messen und zur Evaluierung von Reformmaßnahmen beizutragen. Auf Grundlage einer vorangegangenen Machbarkeitsstudie wurde erstmalig ein länderspezifisches HSPA für Deutschland mit dem Fokus auf Trend- und Equity-Analysen pilotiert.

Methode / Method

Die Durchführung des ersten HSPA des deutschen Gesundheitssystems wird im Zeitraum von 2020 bis 2023 durchgeführt und stützt sich auf den in der Machbarkeitsstudie entwickelten konzeptionellen Rahmen. Dieser beinhaltet 90 international anschlussfähige Indikatoren, die jeweils einer von neun Dimensionen (z.B. Zugang zum Gesundheitssystem, Qualität der erhaltenen Versorgung, Bevölkerungsgesundheit, Responsiveness, Effizienz) zugeordnet sind. Ziel der Pilotierung sind Trendanalysen über den Zeitraum von 2000 bis 2020 sowie Equity-Analysen (z.B. hinsichtlich Alter, Geschlecht, Region). Für die Analysen wurden Daten aus 56 verschiedenen Sekundärdatenquellen (z.B. Daten aus klinischen und epidemiologischen Registern, Abrechnungsdaten sowie nationale und internationale Survey-Daten) akquiriert und ausgewertet.

Ergebnisse / Results

Im Rahmen der Pilotierung konnten insgesamt 84 der 90 Indikatoren mit Daten für Deutschland abgebildet werden. Weiterhin wurden Empfehlungen zur Schließung von Datenlücken und zur Verbesserung der bereits bestehenden Datengrundlage abgeleitet. Eine Vielzahl der Indikatoren kann im internationalen Vergleich mit acht ausgewählten europäischen Nachbarländern (z.B. Dänemark, Frankreich, Österreich), als Trendanalyse und hinsichtlich verschiedener Equity-Aspekte dargestellt werden. Die Ergebnisse bilden die Grundlage zur Identifizierung von Ungleichheiten und Verbesserungsbedarfen im deutschen Gesundheitssystem.

Zusammenfassung / Conclusion

Die Pilotierung eines HSPA für Deutschland liefert eine umfangreiche und datenbasierte Übersicht zur Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems, welche perspektivisch zu einer evidenzbasierten Politiksteuerung in Deutschland beitragen kann.


AutorInnen
Katharina Achstetter, Technische Universität Berlin
Miriam Blümel, Technische Universität Berlin
Matthias Haltaufderheide, Technische Universität Berlin
Philipp Hengel, Technische Universität Berlin
Reinhard Busse, Technische Universität Berlin
Erstkontakte zur psychotherapeutischen Versorgung vor und nach der Strukturreform der Psychotherapie-Richtlinie: eine Analyse von Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung im Projekt Eva PT-RL (Evaluation der Psychotherapie-Richtlinie)
Sarah Schlierenkamp, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH (EsFoMed)

Einleitung / Introduction

Im Jahr 2017 ist eine Strukturreform der Psychotherapie-Richtlinie in Kraft getreten. Zentrales Ziel war es den Zugang zur Psychotherapie sowie den gesamten Versorgungs- und Behandlungsverlauf zu verbessern. Im Zuge der Reform wurden neue Versorgungselemente, wie bspw. die psychotherapeutische Sprechstunde, eingeführt. Zur Evaluation dieser neuen Versorgungselemente und zur Identifikation möglicher Implementierungsschwierigkeiten wird u.a. eine Prä-Post-Analyse von Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vorgenommen. Diese beinhaltet neben anderen Outcomes eine Analyse von Erstkontakten zur psychotherapeutischen Versorgung nach Erhalt einer Depressionsdiagnose nach der Reform im Vergleich zum Zeitraum vor der Reform.

Methode / Method

Die Analyse erfolgt anhand anonymisierter Routinedaten zweier bundesweit tätiger GKVen. Einbezogen werden Erwachsene (EW) sowie Kinder und Jugendliche (KJ), die in den Indexquartalen Q1/2016 (Zprä) bzw. Q1/2018 (Zpost) erstmalig eine gesicherte Depressionsdiagnose (F32, F33, F34.1, F38.1, F92.0 (nur bei KJ)) innerhalb der letzten 12 Monaten erhalten haben. Die Versicherten sollten zudem u.a. mindestens das 21. Lebensjahr vollendet (EW) bzw. das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet (KJ) haben und mindestens eine weitere gesicherte Depressionsdiagnose in einem späteren Quartal innerhalb der nächsten 12 Monate erhalten haben. Es wird jeweils ein Jahr lang nachbeobachtet. Die Auswertung der Erstkontakte erfolgt anhand von ambulanten Leistungsdaten und ist definiert als erste abgerechnete psychotherapeutische Leistung nach der Indexdiagnose.

Ergebnisse / Results

Für die Analyse wurden 284.773 Erwachsene (Zprä: n=149.941; Zpost: n=134.832) und 11.038 Kinder (Zprä: n=5.396; Zpost: n=5.642) eingeschlossen. Das durchschnittliche Alter liegt bei den Erwachsenen bei 54,1 (Zprä) bzw. 53,2 Jahren (Zpost) und bei den Kindern bei 15,1 (Zprä) bzw. 15,2 (Zpost) Jahren. Im Prä- bzw. Post-Zeitraum sind 65,3% bzw. 63,6% (EW) und 62,9% bzw. 65,3% (KJ) weiblich. Im Prä-Zeitraum hatten 17,5% (EW) bzw. 40,9% (KJ) und im Post-Zeitraum 22,8% (EW) bzw. 54,7% (KJ) der Versicherten einen Erstkontakt. Im Prä-Zeitraum war die häufigste Leistung beim Erstkontakt die Probatorik (86,3% EW; 82,7% KJ), im Post-Zeitraum war dies die psychotherapeutische Sprechstunde (82,6% EW; 80,2% KJ).

Zusammenfassung / Conclusion

Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass sich der Anteil der Versicherten, die einen Erstkontakt hatten, erhöht hat. Die häufigste Leistung im Erstkontakt war die psychotherapeutische Sprechstunde (Zpost) bzw. die Probatorik (Zprä). Die Ergebnisse sollen zusammen mit weiteren Ergebnissen der Prä-Post-Analyse sowie einer Querschnittserhebung, die Basis für Empfehlungen zur Weiterentwicklung der psychotherapeutischen Versorgung bilden.


AutorInnen
Sarah Schlierenkamp, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH (EsFoMed)
Sandra Diekmann, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH (EsFoMed)
Pauline zur Nieden, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH (EsFoMed)
Gerald Lux, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH (EsFoMed)
Anke Walendzik, Lehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen
Carina Abels, Lehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen
Klemens Höfer, Lehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen
Jürgen Wasem, Lehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen
Dieter Best, Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV)
Kathrin Klipker, AOK-Bundesverband
Ursula Marschall, Barmer
Christa Schaff, Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (BKJPP)
Helene Timmermann, Vereinigung Analytischer Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten in Deutschland e.V. (VAKJP)
Silke Neusser, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH (EsFoMed)