Organisierte Sitzung

Accountable Care – können Netzwerktreffen und Feedback über gemeinsame Arbeit die Versorgung verbessern?

Im deutschen Gesundheitssystem entscheiden Patient:innen durch ihre Inanspruchnahme maßgeblich mit, welche Versorger bei der Behandlung zusammenwirken. Nicht immer sind aber alle betroffenen Ärzt:innen rechtzeitig informiert: Im Schnitt müsste ein Hausarzt jährlich mit rund 700 niedergelassenen Kolleg:innen sprechen, um sich mit allen an der ambulanten Versorgung seiner Patient:innen beteiligten Ärzt:innen abzustimmen. Auf der Grundlage von Routinedaten wurden deshalb im Innovationsfondsprojekt ACD in Hamburg, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen informelle Netzwerke von Ärzt:innen erfasst, die eine relevante Anzahl an Patienten gemeinsam versorgten und somit für diese „verantwortlich“ (accountable) waren. Rund 100 randomisierte Versorgernetzwerken wurden in moderierten Gesprächsrunden Informationen zur Verfügung gestellt, mit denen die Beteiligten des Netzwerks Ansätze zur Verbesserung der Versorgungsabläufe erkennen und lokal spezifische Behandlungspfade für ausgewählte Krankheitsbilder entwickeln konnten, welche die kontinuierliche Versorgung der Patientinnen und Patienten verbesserten. Das Projekt war auf drei Jahre angelegt und die Ergebnisse der Evaluation des Projekts liegen vor. Die Session soll somit Einblicke in die Erkenntnisse aus dem Projekt in Bezug auf die folgenden Themenbereiche bieten: • Netzwerkerstellung regelmäßig zusammenarbeitender Leistungserbringer basierend auf Routinedaten • Informationen zu Indikatoren zur Versorgung geteilter Patienten basierend auf Routinedaten • Praktische Herausforderungen bei der Bereitstellung von Netzwerkinformationen und Organisation von Netzwerktreffen • Ergebnisse der Prozessevaluation der ACD Studie zu Feedback und Netzwerktreffen

Vorträge

Accountable Care in Deutschland – Identifikation von verantwortlichen (accountable), ambulanten Leistungserbringern durch netzwerkanalytische Methoden
Ronja Flemming, TUM, Lehrstuhl für Gesundheitsökonomie
Thomas Czihal, Zi - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland

Einleitung

Einleitung: Eine koordinierte Gesundheitsversorgung innerhalb und zwischen den Sektoren ist entscheidend für eine hohe Versorgungsqualität und die Vermeidung von unerwünschten und negativen gesundheitlichen Outcomes, wie z.B. vermeidbare Krankenhausfälle. Qualitätszirkel stellen in Deutschland eine Möglichkeit dar, um die Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern im Gesundheitswesen zu stärken und damit die Kontinuität der Versorgung zu verbessern. Die Identifizierung und die Einbeziehung der richtigen Leistungserbringer in solche Treffen ist jedoch eine Herausforderung, insbesondere, weil nicht immer bekannt ist, welche Leistungserbringer an der Versorgung der Patienten beteiligt sind. Im Projekt ACD wurden daher Methoden der sozialen Netzwerkanalyse (SNA) auf Routinedaten angewandt, um Netzwerke von ambulanten Ärzten zu identifizieren, die an der Versorgung bestimmter Patienten beteiligt waren und damit auch verantwortlich für die Versorgung dieser Patienten sind. Methode: Mithilfe von SNA wurden Netze an Ärzten aus Abrechnungsdaten aus drei Bundesländern identifiziert, die gemeinsam an der Gesundheitsversorgung von Patienten beteiligt sind. Durch die Ziele der ACD-Studie wurden Kriterien für die zu identifizierenden Netzwerke vorgegeben, die anschließend datentechnisch umgesetzt wurden. Durch informierte Entscheidungen des Konsortiums ergab sich zum Beispiel, dass eine Verbindung zwischen zwei Ärzten durch die gemeinsame Behandlung von mindestens 20 Patienten definiert wurde und ein Netzwerk aus mindestens 20 und maximal 120 Ärzten bestehen sollte. Die Identifikation der Netze aus der Netzwerkstruktur erfolgte mithilfe eines Multilevelalgorithmus. Ergebnisse: Es konnten 510 ambulante Ärztenetze ermittelt werden, die die vordefinierten Einschlusskriterien erfüllten, von denen 200 Netze für die ACD-Studie herangezogen wurden. Die Netze waren interdisziplinär und 85 % von ihnen schlossen mindestens zehn verschiedene Facharztgruppen ein. Die Allgemeinmediziner machten durchschnittlich den größten Anteil der Ärzte in den Netzen aus (45 %), gefolgt von Gynäkologen (10 %) und Endokrinologen & Diabetologen (8 %). Die Zahl der Patienten, die in den Netzen versorgt wurden, schwankte je nach Anzahl und Facharztgruppen pro Netz zwischen 209 und 20.443. Zusammenfassung: Die Netze wurden entsprechend der vordefinierten Kriterien der ACD-Studie konstruiert, wie zum Beispiel die Vorgabe der Größe und der Zusammensetzung der Facharztgruppen in den Netzen. Die Analyse hat gezeigt, wie man mit netzwerkanalytischen Methoden und Routinedaten, Gruppen von ambulanten Ärzten identifizieren kann, die an der Behandlung einer bestimmten Patientengruppe beteiligt sind. Diese Netze bildeten die Grundlage für die Intervention in der ACD-Studie.

Indikatoren zur Bewertung der Qualität und von Patientenpfaden in der interdisziplinären Versorgung von Patienten ambulant-sensitiven Erkrankungen
Wiebke Schüttig, TUM, Lehrstuhl für Gesundheitsökonomie

Einleitung

Hintergrund: Im ambulanten Sektor in Deutschland sind Daten über die Ergebnisse von Behandlungen, die von mehreren niedergelassenen Ärzten erbracht werden, häufig nicht verfügbar. Auf der Grundlage von Routinedaten sollte daher ein Set an Indikatoren für die Qualität der Gesundheitsversorgung und die Inanspruchnahme für 14 ambulant-sensitive Erkrankungen entwickelt werden. Methoden: Unser Indikatorenset wurde im Rahmen des Projekts ACD im Rahmen eines pragmatischen Konsensansatzes entwickelt. Die sechs Stufen des Ansatzes stützten sich auf eine Auswertung der Literatur, die Expertise von Ärzten, Gesundheitswissenschaftlern und Vertretern von Kassenärztlichen Vereinigungen und gesetzlichen Krankenkassen sowie auf die Ergebnisse einer Pilotstudie mit sechs Netzwerktreffen, die sich dieselben Patienten teilten. Ergebnisse: Der Prozess führte zu einem Set von 248 allgemeinen und krankheitsspezifischen Indikatoren für 14 Krankheitsgruppen. Die Indikatoren geben Aufschluss über die Qualität der Versorgung und die Patientenpfade und umfassen Patientencharakteristika, Arztbesuche, ambulante Versorgungsprozesse, Arzneimittelverordnungen und Ergebnisindikatoren. Schlussfolgerung: Unser Indikatorenset liefert nützliche Informationen über die Inanspruchnahme der ambulanten Versorgung durch die Patienten, die Prozesse der Versorgung und die gesundheitlichen Ergebnisse für 14 häufig behandelte Gruppen von Erkrankungen, die für die ambulante Versorgung von Bedeutung sind. Diese Informationen können als Grundlage für Diskussionen in interdisziplinären Qualitätszirkeln im ambulanten Sektor dienen und eine patientenzentrierte Versorgung fördern.

Welche Herausforderungen ergaben sich in der Bereitstellung von Netzwerkinformationen über gemeinsame Arbeit und der Durchführung von Netzwerktreffen?
Matthias Brittner, Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe

Einleitung

Im Rahmen der ACD Intervention wurden niedergelassenen Ärzt:innen Informationen gemeinsamer Arbeit in Form von Netzwerkinformationen vierteljährlich gesendet. Weiterhin wurden halbjährlich Netzwerktreffen organisiert und moderiert, die auf die Stärkung der Zusammenarbeit und Verbesserung der Patientenergebnisse abzielten. Organisiert wurden die Netzwerktreffen von den Kassenärztlichen Vereinigungen in den vier Interventionsregionen. Im Verlauf des Projekts ergaben sich verschiedene Herausforderungen in der Umsetzung des Projekts. Beispielsweise zeigten sich zunächst Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von geeigneten Moderatoren für die Durchführung der Intervention. Weiterhin kamen im Studienverlauf Netzwerktreffen teilweise nicht zustande, da Teilnehmerraten gering waren. Im Projektverlauf wurden zu diesen Herausforderungen Lösungsansätze erarbeitet. Der vorliegende Beitrag zielt somit darauf ab, die Besonderheit in der Durchführung der Intervention im ambulanten Sektor sowie Lösungsansätze und Erkenntnisse aufzuzeigen.

Bewertung von Maßnahmen zur Vernetzung und informierten Dialog durch Netzwerkärzt*innen– Prozessevaluation der Interventionsstudie Accountable Care in Deutschland
Verena Leve , Institute of General Practice, Centre for Health and Society (chs), Medical Faculty, Heinrich Heine University Düsseldorf, Düsseldorf, Germany

Einleitung

Hintergrund: Um die intra- sowie intersektorale Koordination der Versorgung von Patient*innen zu verbessern, werden in der ACD-Interventionsstudie Akteure, die gemeinsam Patient*innen versorgen, anhand von Routinedaten identifiziert und vernetzt. Ergänzend zur Wirksamkeitsstudie wird eine Prozessevaluation durchgeführt, auf die sich der vorliegende Beitrag bezieht. Fragestellung: Welche Faktoren beeinflussen die Umsetzung und Implementierung der Intervention aus Sicht der Moderator*innen und Netzwerkärzt*innen? Methode: In der Prozessevaluation wurden quantitative und qualitative Verfahren kombiniert. Netzwerk-Moderator*innen und Teilnehmenden wurden im Anschluss an Treffen schriftlich befragt. Zusätzlich wurden mit Netzwerkärzt*innen leitfadengestützte, qualitative Telefoninterviews durchgeführt. Die Interviews wurden in einem multiprofessionellen Team computergestützt inhaltsanalytisch ausgewertet. Ergebnisse: Moderator*innen äußern in allen beteiligten KV-Regionen eher Skepsis in Bezug auf die Annahme von 2,5-stündigen Netzwerktreffen durch Netzwerkärzt*innen. In der Durchführung zeigt sich, dass es bei der tatsächlichen Teilnahmebereitschaft an Treffen deutliche regionale Unterschiede gibt. Vorbehalte der Teilnehmenden beziehen sich dabei weniger auf die Dauer einzelner Treffen als auf knappe Zeitressourcen insgesamt. Vorerfahrungen in anderen Netzwerkkontexten nehmen Einfluss auf die Teilnahmebereitschaft. Netzwerktreffen mit geringen Teilnehmendenzahlen werden sowohl von Moderator*innen als auch von teilnehmenden Netzwerkärzt*innen als schwierig bewertet. Wünsche für die Zusammenarbeit im Netzwerk betreffen die Verbesserung der niedrigschwelligen Zugänge untereinander, die zuverlässige Informationsweitergabe sowie den fallbezogenen kollegialen Austausch. Auch die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen ambulanter und stationärer Versorgung wird als wichtig bewertet. Diskussion: Eine Kombination aus moderiertem Feedback und kollegialem Austausch im Rahmen von Netzwerktreffen erscheint für die gemeinsame Arbeit im Versorgungsnetzwerk vielversprechend. Um sich im interdisziplinären Netzwerk zu beteiligen, muss für Teilnehmende ein deutlicher Mehrgewinn durch die Vernetzung im Vergleich zur aktuellen Versorgungssituation und bereits bestehenden Angeboten sichtbar sein. Entscheidend für eine positive Einschätzung der Arbeit im Netzwerk ist das Engagement der Netzwerkmitglieder, die direkten Zugänge und der direkte Austausch. Take Home Message: Für die Durchführung von Interventionen zur Stärkung von ambulanten Netzwerken gilt es, den individuellen Mehrwert durch die gemeinsame Arbeit im Vorfeld deutlich zu kommunizieren. Der Aufwand für die Beteiligung sollte dabei möglichst gering und in den eigenen Praxisalltag gut integrierbar sein.