Vortragssitzung
Versorgungsforschung und Innovationen
Talks
Die Berücksichtigung des Quadruple Aim in der Evaluation innovativer Versorgungformen
Adriana Poppe, Universität zu Köln, Medizinische Fakultät und Uniklinik Köln, PMV forschungsgruppe an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie
Einleitung / Introduction
Das Quadruple Aim wird gerade im Bereich populationsbasierter Versorgungsmodelle als Model für die umfassende Messung und Optimierung der Leistungsfähigkeit der Modelle verwendet. Es deckt vier Bereiche ab: 1) die Verbesserung der Gesundheit, der Lebensqualität und des Wohlbefindens von Betroffenen, 2) Verbesserung der Patient:innenerfahrung mit der Erbringung von Versorgungsleistungen, 3) Verbesserung der Kosteneffektivität der erbrachten Leistungen und 4) Verbesserung der Arbeitszufriedenheit für Menschen, die in den Versorgungssystemen arbeiten (Bodenheimer und Sinsky 2014). In der Gesundheitsökonomie. auf deren Basis Entscheidungen über die Einführung von Innovationen in die Regelversorgung getroffen werden, werden jedoch häufig klinische Outcomes und Kosten berücksichtigt. Subjektive Faktoren werden selten oder gar nicht einbezogen, auch wenn die Notwendigkeit hierfür besteht (Pirk und Schöffski 2012). Um eine nachhaltige Translation von innovativen Versorgungsformen in die Regelversorgung gewährleisten zu können, sollten alle Dimensionen in die Bewertung einbezogen werden. Eine Möglichkeit, eine derartige Evaluation methodisch und praktisch umzusetzen ist die Durchführung eines sozioökonomischen Impact Assessments (SEIA).
Methode / Method
Methodisch beruht das SEIA auf einem Cost-Benefit Ansatz gemäß der Definition von Drummond (Drummond 2005) und den Empfehlungen von UK HM Treasury (UK HM Treasury). SEIA läuft parallel zum Implementierungsprozess und zur Interventionsstudie und sammelt Daten zu Kosten und Nutzen der Einführung ebenso wie der Durchführung der Innovation. Dazu werden die finanziellen, ressourcen- bzw. zeitbezogenen sowie immateriellen Kosten und Nutzen der Intervention für die an der Versorgung beteiligten Akteur:innen erfasst, soweit nötig monetarisiert und zur Berechnung verschiedener Ertragskennzahlen verwendet. Bereits während des Projektverlaufes kann ein vorläufiges Modell zur Abschätzung der Wirkung der Intervention auf Basis von Expert:innenschätzungen sowie Ergebnissen aus vorhergehenden Studien erstellt werden.
Zusammenfassung / Conclusion
Zusammenfassend bietet die Einbindung von SEIA in die Evaluation zusätzlich zur klassischen Gesundheitsökonomie den Vorteil, dass subjektive Faktoren, welche im Quadruple Aim als notwendig für den Erfolg von Gesundheitsversorgung identifiziert werden, einbezogen werden können. Ein Schätzmodell, womit bereits während der Projektphase evaluiert werden kann, ob auf Basis dieser Schätzungen ein tragfähiges Geschäftsmodell für die neue Versorgungsform vorliegt, kann erstellt werden. Das abschließende Modell lässt Rückschlüsse auf einen möglichen Erfolg oder Misserfolg aufgrund von Vetospieler:innen auf verschiedenen Ebenen zu, sodass der Übergang in die Regelversorgung durch Einbezug der Akteur:innen erleichtert werden kann.
Authors
Adriana Poppe, Universität zu Köln, Medizinische Fakultät und Uniklinik Köln, PMV forschungsgruppe an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie
Ingo Meyer, Universität zu Köln, Medizinische Fakultät und Uniklinik Köln, PMV forschungsgruppe an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie
Die Rolle von Kosten und Nutzen für die Translation eines innovativen Versorgungsmodells zur Arzneimitteltherapiesicherheit – Zwischenergebnisse einer formativen Evaluation.
Adriana Poppe, Universität zu Köln, Medizinische Fakultät und Uniklinik Köln, PMV forschungsgruppe an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie
Einleitung / Introduction
Das durch den Innovationsfund geförderte Projekt TOP („Transsektorale Optimierung der Patientensicherheit“ zur Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS)) verfolgt das Ziel einer Sektorübergreifenden Verbesserung von Qualität, Sicherheit, Kosteneffizienz und Koordination der Arzneimitteltherapie sowie der Patientenautonomie und der Selbstmanagementfähigkeit stationär behandelter Patienten mit Polypharmazie. Dies geschieht vor allem durch einen elektronischen Zugriff auf behandlungsrelevante Informationen extrahiert aus Routinedaten der Krankenkassen sowie Einsatz arztunterstützender Apotheker:innen und elektronische Unterstützung der AMT(S) & UAW Prüfung bei Krankenhausaufnahme. Im Folgenden wird die Durchführung und Planung eines sozio-ökonomischen Impact Assessments (SEIA) während des Projektverlaufes beschrieben. Dabei kann die Nachhaltigkeit einer Intervention auf gesellschaftlicher Ebene, für den Versorgungsdienst als Ganzes und für teilnehmende Individuen und Organisationen modelliert werden.
Methode / Method
Methodisch beruht das SEIA auf einem Cost-Benefit Ansatz gemäß der Definition von Drummond und den Empfehlungen von UK HM Treasury. Das SEIA läuft parallel zum Implementierungsprozess und zur Interventionsstudie und sammelt Daten zu Kosten und Nutzen der Einführung ebenso wie der Durchführung. Dazu werden die finanziellen, ressourcen- bzw. zeitbezogenen sowie immateriellen Kosten und Nutzen der Intervention für die an der Versorgung beteiligten Akteure erfasst und zur Berechnung verschiedener Ertragskennzahlen verwendet. Bereits während des Projektverlaufes kann ein vorläufiges Modell zur Abschätzung der Wirkung der Intervention auf Basis von Expert:innenschätzungen sowie Ergebnissen aus vorhergehenden Studien erstellt werden.
Ergebnisse / Results
Bereits während des Projektverlaufes kann ein vorläufiges Modell zur Abschätzung der Wirkung der Intervention auf Basis von Expert:innenschätzungen sowie Ergebnissen aus vorhergehenden Studien erstellt werden. Das während des Projektverlaufs erstellte Schätzdatenmodell, basierend auf Ergebnissen einer Umfrage unter Ärztinnen im Krankenhaus (erste Veröffentlichung unter Straub et al. (2022)), Expert:innenschätzungen sowie Ergebnissen einer Literaturrecherche zeigt, dass für TOP auf dieser Basis ein tragfähiges Geschäftsmodell entwickelt werden kann. Insbesondere der Einbezug von Zeitersparnissen in den Arbeitsschritten der Ärzt:innen zeigt einen positiven Einfluss. Das abschließende Modell lässt Rückschlüsse auf einen möglichen Erfolg oder Misserfolg aufgrund von Vetospieler:innen auf verschiedenen Ebenen zu, sodass der Übergang in die Regelversorgung durch Einbezug der Akteur:innen erleichtert werden kann.
Authors
Adriana Poppe, Universität zu Köln, Medizinische Fakultät und Uniklinik Köln, PMV forschungsgruppe an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie
Ingo Meyer, Universität zu Köln, Medizinische Fakultät und Uniklinik Köln, PMV forschungsgruppe an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie
Ergebnisse der FindHIV Studie: ein Scoring-Instrument zur Unterstützung der HIV Testung
Anja Neumann, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Einleitung / Introduction
Eine hohe Anzahl von Menschen, die mit HIV leben werden erst in einem fortgeschrittenen Stadium der Infektion diagnostiziert, was mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität sowie erhöhten Kosten einhergeht. Das Ziel der FindHIV Studie ist die Entwicklung eines Scoring-Instrumentes und begleitenden Handlungsempfehlungen zur Beförderung einer frühzeitigen Diagnose von HIV Infektionen.
Methode / Method
Im ersten Teil dieser mixed-method-Studie wurden bundesweit Daten von Menschen mit neuer HIV Diagnose in den letzten 6 Monaten erhoben. Dabei wurden u.a. Informationen zu Symptomen und Erkrankungen erfragt, die als verpasste Chancen einer früheren HIV Diagnosestellung gewertet werden können. Basierend auf den Ergebnissen der quantitativen Studienphase wurde im zweiten Teil der Studie ein Scoring-Instrument zur Beförderung einer frühzeitigen HIV Diagnose entwickelt. Dieses wurde in 3 verschiedenen, aufeinander folgenden Fokusgruppen (Ärzte aus der HIV-Versorgung; aus den Facharztgruppen, in denen eine hohe Anzahl verpasster Chancen ermittelt wurde; Vertreter der systemischen Ebene sowie Patientenvertreter) diskutiert und angepasst.
Ergebnisse / Results
Von Januar 2019 bis Mai 2020 wurden 706 Studienteilnehmer in 40 Studienzentren rekrutiert. Bei 55% der Studienteilnehmer handelte es sich um Patienten mit später HIV-Diagnosestellung („Late Presenter“) (CD4-Zellzahl <350 und/oder AIDS-definierende Erkrankungen). Die am häufigsten angegebenen Symptome und Erkrankungen, die mit verpassten Chancen einer Diagnose der HIV Infektion einhergingen, wurden in das Scoring-Instrument aufgenommen: ungeklärter Gewichtsverlust, ungeklärtes Fieber oder Nachtschweiß, allgemeine Leistungsminderung (je 1 Punkt); Hautausschlag , chronische Durchfälle ohne nachgewiesene Erreger, akuter hochfieberhafter Infekt, Lymphadenopathie (je 2 Punkte); sexuell übertragbare Erkrankungen, Indikator-/HIV-assoziierte Erkrankungen und AIDS-definierende Erkrankungen (je 3 Punkte). Das Scorings-Instrument bezieht sich dabei auf die vergangenen 2 Jahre. Im Fall von ≥3 Punkten wird empfohlen dem Patienten einen HIV-Test anzubieten. Zusätzlich zum Scoring-Instrument wurden Handlungsempfehlungen erstellt, die das Scoring-Instrument erläutern und eine Vielzahl von Beispielen in Hinblick auf Symptome und Erkrankungen beinhalten, die auf eine HIV Infektion hindeuten können.
Zusammenfassung / Conclusion
Basierend auf den Daten der FindHIV Studie, wurde ein Scoring-Instrument entwickelt, das auf Symptomen und Erkrankungen basiert - mit dem Ziel, eine späte HIV-Diagnosestellung zu vermeiden, insbesondere auch bei Personen, die nicht den häufig beschriebenen Risikogruppen für eine HIV-Infektion angehören. Insgesamt hat das Instrument das Potential, Aufmerksamkeit für die HIV-Infektion zu schaffen und bei Anwendung eine frühzeitige Diagnosestellung zu befördern.
Authors
Frederik Valbert, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Eva Wolf, MUC Research GmbH
Stefan Preis, ClinovateNET GmbH & Co KG
Knud Schewe, Infektionsmedizinisches Centrum Hamburg
Nikola Hanhoff, Deutsche Arbeitsgemeinschaft ambulant tätiger Ärztinnen und Ärzte für Infektionskrankheiten und HIV-Medizin
Birgit Mück, MUC Research GmbH
Paul Lauscher, MUC Research GmbH
Christine Kögl, MUC Research GmbH
Silke Neusser, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Robin Rüsenberg, Deutsche Arbeitsgemeinschaft ambulant tätiger Ärztinnen und Ärzte für Infektionskrankheiten und HIV-Medizin
Katharina Schwarze, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Markus Bickel, Infektiologikum Frankfurt
Ramona Pauli, MVZ am Isartor
Christoph Stephan, Universitätsklinikum Frankfurt
Jürgen Wasem, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Sven Schellberg, Novopraxis Berlin GbR,
Anja Neumann, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
Herausforderungen der gesundheitsökonomischen Evaluation in der Versorgungsforschung am Beispiel von STROKE OWL
Juliane Düvel, AG 5 - Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld
Einleitung / Introduction
In der Versorgungsforschung hat sich mittlerweile der Einbezug einer gesundheitsökonomischen Perspektive etabliert. Die Interpretation und Kommunikation von Kosten-Effektivitätsanalysen gestalten sich jedoch bei relativen Effektmaßen bisweilen herausfordernd. Obwohl regressionsbasierte Analysen die Ergebnissicherheit der betrachteten Outcomes erhöhen, sind die dadurch ermittelten klinischen Kennzahlen häufig schwierig in ICER-Berechnungen integrierbar und an Entscheidungsträger zu kommunizieren. Ziel des Beitrags ist eine Diskussion über relative Ergebnisgrößen bei Kosten-Effektivitätsanalysen am Beispiel eines konkreten Versorgungsforschungsprojektes.
Methode / Method
Mit dem Innovationsfondsprojekt STROKE OWL wurde ein quasi-experimentelles Studiendesign auf Basis von GKV-Routinedaten für die Wirksamkeits- und gesundheitsökonomische Evaluation einer Lotsenintervention nach initialem Schlaganfall angewandt. Der Endpunkt Schlaganfallrezidiv wurde mit Hilfe einer Cox-Regression, die Krankheitskosten mit einem log-linearen Regressionsverfahren analysiert. Darüber hinaus wurden Subgruppenanalysen zum Alter, Geschlecht und Schlaganfallsubtypus durchgeführt. Die Kosten-Effektivitätsanalyse wurde mittels ICER für den primären Endpunkt Rezidiv berechnet. Um Modell- und Parameterunsicherheiten zu begegnen, wurde eine probabilistische Sensitivitätsanalyse mittels Bootstrapping-Verfahren angewandt.
Ergebnisse / Results
Im Vergleich zu der gematchten Kontrollgruppe sank bei der Subgruppe der Patienten mit transitorischer ischämischer Attacke (TIA) das Risiko eines Rezidivs in der Interventionsgruppe mit Einsatz der Schlaganfalllotsen um etwa 80%. Der geschätzte Effekt liegt nahe der Signifikanzgrenze. Außerdem zeigt sich bei der Subgruppe mit initialer TIA, dass die verursachten Kosten der Interventionsgruppe durchschnittlich knapp 27% (p<0,05) höher sind als die der Kontrollgruppe. Daraus ergibt sich eine Kostendifferenz von etwa 230€ bei Verringerung des Hazards um etwas mehr als 80% aus Sicht der Interventionsgruppe. Dies führt zu einem ICER von ~3€ pro Prozent Änderung des Hazard. Unter Annahme einer fiktiven Zahlungsbereitschaft von 5€ ist die STROKE OWL-Intervention in 99,8% der Schätzungen kosteneffektiv.
Zusammenfassung / Conclusion
Die ermittelten gesundheitsökonomischen Ergebnisse deuten auf Effizienzpotenziale des Case Management-Ansatzes bei TIA-Patienten hin. Ungeachtet der Unsicherheiten in der Effektivität der Intervention eignen sich die Berechnung des ICER sowie die Annahme von unterschiedlichen Zahlungsbereitschaften für als Richtwert für Entscheidungsträger nur bedingt, da die Zahlungsbereitschaft für eine prozentuale Reduktion des Hazards unbekannt und somit jeder Schwellenwert vollkommen arbiträr ist. Zukünftige Forschung sollte sich daher damit mit der Übersetzung relativer in reelle Endpunkte befassen.