Organisierte Sitzung

Messung und Evaluation von Qualität im Gesundheitswesen

Diese Organisierte Sitzung widmet sich der Messung und Evaluation von Qualität im Gesundheitswesen aus methodischer und empirischer Perspektive. Im Rahmen von insgesamt vier Vorträgen werden die folgenden Themen adressiert: 1) Ausgehend von grundlegenden statistischen Herausforderungen der Qualitätsmessung wird eine Methodik zum Design von Mehrebenen-Qualitätsindikatoren (Multilevel Quality Indicators, MQI) vorgestellt, die die Ableitung von Qualitätsindikatoren sowohl auf Ebene der Leistungserbringer als auch auf Ebene geographischer Regionen ermöglicht. 2) Durch die im Jahr 2017 implementierte „Richtlinie zu planungsrelevanten Qualitätsindikatoren“ (plan. QI-RL) stehen politischen Entscheidungsträgern insgesamt elf Qualitätsindikatoren zur Verfügung, welche bei der Krankenhausplanung berücksichtigt werden können. Im Rahmen der Sitzung werden die Ergebnisse einer Difference-in-Difference-Analyse zur Schätzung der Effektivität der plan. QI-RL hinsichtlich der Verbesserung der Versorgungsqualität präsentiert. 3) Als Kernelemente der plan. QI-RL werden die QS-Daten der Krankenhäuser mittels Datenvalidierung überprüft und die Ergebnisse in einem Stellungnahmeverfahren bewertet. Am Beispiel der Versorgung von Frühgeborenen wird gezeigt, wie die Nutzbarkeit von Qualitätsindikatoren erhöht werden kann, indem aufbauend auf den qualitativen Bewertungsprozess im Rahmen einer mixed-methods-Analyse ursächliche Qualitätsdefizite identifiziert und davon abgeleitet Stellschrauben für eine verbesserte Versorgungsqualität entwickelt werden können. 4) Der Nationale Krebsplan der Bundesregierung benennt die Bildung von onkologischen Behandlungszentren als ein Instrument zur Verbesserung der Versorgung von KrebspatientInnen. Vor diesem Hintergrund werden die Ergebnisse des Projektes „Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren“ (WiZen) mit Fokus auf Überlebensvorteile von PatientInnen in DKG-zertifizierten Zentren vorgestellt.

Vorträge

Multilevel Quality Indicators (MQI)
Martin Rößler, BARMER Institut für Gesundheitssystemforschung (bifg)

Einleitung

Qualitätsindikatoren werden häufig zur Bewertung und zum Vergleich von Leistungserbringern im Gesundheitswesen eingesetzt. Hierbei kommen statistische Verfahren der Risikoadjustierung zur Anwendung, die die Vergleichbarkeit von Leistungserbringern mit unterschiedlichem Case-Mix gewährleisten sollen. Ansätze der indirekten Standardisierung – z.B. auf Basis der standardisierten Mortalitätsrate (SMR) – sind in der Praxis etabliert. Methodische Studien zeigten jedoch, dass indirekte Standardisierung zu relevanten Verzerrungen des Leistungserbringervergleichs führen kann. Darüber hinaus besteht ein Grundproblem etabliertet Ansätze der Qualitätsmessung in der hohen Varianz der eingesetzten Schätzer, die eine verlässliche Abbildung der Versorgungsqualität insbesondere bei Leistungserbringern mit kleinen Fallzahlen erschwert. Neben der Qualität einzelner Leistungserbringer stellt die Qualität der Gesundheitsversorgung innerhalb geographischer Regionen eine politisch relevante Größe dar. Entsprechende Area-Indikatoren stehen in der Praxis jedoch kaum zur Verfügung. Ausgehend von diesen grundlegenden methodischen Problemen der Risikoadjustierung und Schätzung von Qualitätsindikatoren wird im Rahmen des Vortrags eine Methodik zur Konstruktion von Mehrebenen-Qualitätsindikatoren (Multilevel Quality Indicators, MQI) vorgestellt. Diese Methodik ermöglicht die Ableitung von direkt standardisierten Qualitätsindikatoren für Leistungserbringer und geographische Regionen auf Basis eines statistischen Mehrebenenmodells. Ein solches Modell kann sowohl Charakteristika von Leistungserbringern (z.B. Fallvolumen) als auch von Regionen (z.B. Indikatoren zur Erreichbarkeit relevanter Versorgungsleistungen) beinhalten. Die statistischen Eigenschaften der abgeleiteten MQI wurden mittels Monte-Carlo-Simulationen untersucht und mit den Eigenschaften etablierter Ansätze - z.B. unter Nutzung der SMR oder der risk-standardized mortality rate (RSMR) - verglichen. Die Simulationsergebnisse zeigen für beinahe allen simulierten Szenarien eine deutliche Überlegenheit der MQI gegenüber etablierten Verfahren bei der Abbildung von Versorgungsqualität.

Welchen Einfluss hat die Richtlinie zu planungsrelevanten Qualitätsindikatoren auf die Behandlungsqualität?
Stefan Gehrig, Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG)

Einleitung

Seit dem 1. Januar 2017 gilt in Deutschland die „Richtlinie zu planungsrelevanten Qualitätsindikatoren“ (plan. QI-RL), nach der bei der Krankenhausplanung systematisch die Qualität der medizinischen Versorgung einer Klinik berücksichtigt werden kann. Bei Einführung der Richtlinie wurden zunächst aus den bestehenden Qualitätsindikatoren (QI) der externen Qualitätssicherung elf QI ausgewählt, welche die Häufigkeit bestimmter unerwünschter Ereignisse in der Krankenhausversorgung messen (z.B. die Abwesenheit eines Pädiaters bei Frühgeburten oder die vollständige operative Entfernung des Ovars ohne pathologischen Befund). Eine rigorose empirische Evaluation des Einflusses der plan. QI-RL auf die Qualität der Patientenversorgung ist schwierig, da lediglich Beobachtungsdaten zur Verfügung stehen. Durch die bundesweite Einführung des Verfahrens gibt es auch keine Vergleichspopulation von Krankenhäusern. Die vorliegende Arbeit stützt sich stattdessen auf einen Vergleich mit einer geeigneten Kontrollgruppe von Qualitätsindikatoren der externen Qualitätssicherung, die nicht Teil der plan. QI-RL sind. Für alle betrachteten Indikatoren liegen sowohl Ergebnisse vor (2013-2016) als auch nach Einführung der plan. QI-RL vor (2017-2020). Die Ergebnisse werden mit einem klassischen, nicht-linearen Difference-in-Differences-Design analysiert, welches unter bestimmten Annahmen die Schätzung eines mittleren kausalen Effekts der plan. QI-RL auf die Wahrscheinlichkeit unerwünschter Ereignisse ermöglicht. Unsere ersten Ergebnisse legen eine starke Reduktion von unerwünschten Ereignissen durch die plan. QI-RL nahe. Tendenziell schrumpft der Effekt mit Beginn der Coronapandemie 2020. Wir diskutieren mögliche Mechanismen des Effekts, sowie Verzerrungsrisiken der Analyse.

Am Beispiel der Versorgung Frühgeborener in Geburtskliniken Level IV: Wie kann man Qualitätsindikatoren nutzen, um die Versorgungsqualität zu verbessern?
Britta Zander-Jentsch, Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG)

Einleitung

Als Kritik wird der datengestützten Qualitätssicherung entgegengebracht, dass Qualitätsindikatoren keine Aussagen über die Ursachen von Qualitätsproblemen machen können. Vor dem Hintergrund der seit 2017 in Kraft gesetzten „Richtlinie zu planungsrelevanten Qualitätsindikatoren“ (plan. QI) soll am Beispiel der Versorgung von Frühgeborenen gezeigt werden, wie die Nutzbarkeit von Qualitätsindikatoren erhöht werden und somit eine Verbesserung der Versorgungsqualität erreicht werden kann. Als Kernelement der plan. QI-RL werden die QS-Daten der Krankenhäuser, die plan. QI-relevante Fälle behandelt haben, im Rahmen einer Datenvalidierung überprüft und die Ergebnisse in einem Stellungnahmeverfahren (STNV) bewertet. Mit Blick auf den QI 318 „Anwesenheit eines Pädiaters bei Frühgeburten“ wurden in einem ersten Schritt mittels qualitativer Inhaltsanalyse und quantitativer Prozessanalyse anhand der Stellungnahmen der Jahre 2019 und 2022 die Gründe für die Nicht-Anwesenheit des Pädiaters identifiziert sowie die zeitlichen Abläufe der Prozesse zur Versorgung der Schwangeren und des Frühgeborenen analysiert. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass insbesondere in Kliniken Level IV Probleme beim rechtzeitigen Eintreffen des päd. Dienstes feststellbar sind und dass insb. lange Wegezeiten (über 30 Minuten) bei zwei Dritteln aller Fälle zu Verzögerungen führten. Gleichzeitig zeigte sich ein verzögertes Rufen des pädiatrischen Teams bei raschen, fortgeschrittenen Geburtsverläufen sowie eine häufig verspätet gestellte Diagnose bei Notfällen. Die Daten für 2022 werden derzeit ausgewertet. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen wurden in einem weiteren Schritt mit Hilfe von fokussierten Experteninterviews problembehaftete Bereiche identifiziert und Empfehlungen für Verbesserungen erarbeitet. Diese betreffen die Abläufe vor der stationären Aufnahme der Schwangeren, die Abläufe im Krankenhaus, Verfahrenspflege sowie die regionale Erreichbarkeit von geeigneten Krankenhäusern und werden derzeit im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beraten.

Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren (WiZen) - Design und wichtigste Ergebnisse des WIZEN Projekts
Olaf Schoffer, Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV)

Einleitung

Hintergrund: Die Behandlung von Krebspatient:innen in zertifizierten Zentren ist ein nationales Ziel der Gesundheitsversorgung in Deutschland. Bisherige Studien lieferten zwar Hinweise darauf, dass die Behandlung in von der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) zertifizierten Krebszentren mit besseren Behandlungsergebnissen verbunden ist, es fehlten jedoch umfassende Analysen über große Populationen. Die Studie "Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren" (WiZen) hat diese Lücke geschlossen. Methoden: WiZen ist eine retrospektive Kohortenstudie, die bezüglich elf verschiedener Krebsentitäten Patient:innen mit Krebserkrankung im Zeitraum 2007-2017 erfasste. Die Studie basierte auf bundesweiten Krankenkassendaten des Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) und Daten aus klinischen Krebsregistern (KKR). Wir schätzten mittels des relativen Überlebens und der Cox-Regression Überlebensunterschiede zwischen Patient:innen, die in Krankenhäusern mit und ohne DKG-Zertifikat behandelt wurden. In der Cox-Regression wurde dabei umfassend für zahlreiche Patienten-, Tumor- und Krankenhausmerkmale sowie zeitliche Trends adjustiert. Ergebnis: 781.594 Patienten (AOK) und 242.192 Patienten (KKR) wurden eingeschlossen. In Übereinstimmung mit der relativen Überlebensanalyse zeigten die aus Cox-Regressionen abgeleiteten Hazard Ratios (HRs), die für potenzielle Störfaktoren sowohl auf Patienten- als auch auf Krankenhausebene adjustiert wurden, für alle Krebsarten ein niedrigeres Sterberisiko bei Patient:innen, die in DKG-zertifizierten Zentren behandelt wurden (HR’s im Bereich von 0,74; 95%-CI [0,63;0,87] bis 0,98; 95%-CI [0,92;1,03]). Diese HR-Schätzer waren für die meisten Krebsentitäten signifikant kleiner 1 und es gab eine hohe Übereinstimmung der Schätzergebnisse aus den GKV- und den KKR-Daten. Diskussion: Unsere Ergebnisse, die sich auf eine große Stichprobe aus zwei verschiedenen Datenquellen stützen und bezüglich potenzieller Störfaktoren umfassend adjustiert wurden, belegen, dass die Behandlung in DKG-zertifizierten Zentren Krebspatient:innen einen Überlebensvorteil bieten. Schlussfolgerung: Diese Beobachtungsergebnisse deuten stark darauf hin, dass die Zertifizierung von Krankenhäusern ein wirksames Mittel zur Verbesserung der Ergebnisqualität in der Krebsbehandlung ist.